Pesäpallo ist kein Plagiat
Schweizer Lehrer Reto Brotschi schwört auf Baseball à la Finnland
Baseball im Original können Laien nur ganz schwer durchschauen. Was ist demgegenüber der Vorzug von Päsepallo, der finnischen Baseballvariante?
Die ganze Sache wird im Pesäpallo deutlich leichter. Allerdings weniger bezogen auf das Regelwerk, das bleibt relativ anspruchsvoll, aber dafür im realen Spiel auf dem Platz. So ist die Trefferquote des Balls per Schläger in der skandinavischen Variante viel höher. Denn der Werfer muss den Auftaktschlag vertikal ausführen, mindestens einen Meter über den eigenen Kopf, also nicht so stringent horizontal - und deshalb viel schwerer zu treffen - wie bei der herkömmlichen US-Version.
Überall in der Welt wird inzwischen nach US-Vorbild Baseball gespielt. Doch die Finnen bastelten sich den Sport nach eigenem Geschmack um. Herausgekommen ist Pesäpallo, das seit Jahrzehnten zwischen Helsinki und Oulo boomt. Pesäpallofans gibt es aber längst auch anderswo, beispielsweise in der Schweiz. Meisterschaftsfavorit ist dort erneut das Team von Solothurn. Frontmann und Vereinspräsidenten ist Reto Brotschi, ein 38-jähriger Oberstufenlehrer. René Gralla bekam von ihm eine knackige Kurzeinführung.
Klar, wenn der Ball von oben kommt, dürfte er leichter zu treffen sein. Was ist bei Pesäpallo noch anders?
Das Feld ist im Vergleich zum US-Baseball deutlich kleiner. Das begünstigt eben die präzise Arbeit am Ball, vom Standpunkt der Verteidigung.
Die Finnen zeigen einen Hang zu seltsamen Wettbewerben; legendär ist die alljährliche Weltmeisterschaft im Frauentragen. Und sie adaptieren gern Freizeitvergnügen, die von weit her kommen. Können Sie uns das als Schweizer erklären?
Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Vielleicht ist das deren spezielle Art von Humor, schließlich pflegen die Finnen auch den Gummistiefelweitwurf, sogar als absolut ernst gemeinten Mannschaftssport.
Warum haben Sie sich als Schweizer für die finnische Baseballvariante entschieden und nicht fürs US-Original?
Das war eher zufällig. Ich stamme aus einem Dorf nahe Solothurn. Zwei Fußballmannschaften haben wir als Jungs da in der 600-Seelen-Gemeinde nicht zusammen bekommen. Aber wir durften bei ein paar Finnen mitmachen, die auch dort wohnten und nach Feierabend Pesäpallo spielten. Seitdem hat mich dieser Sport gepackt.
Haben Sie nie Lust gekriegt, zwischendurch auch echt Baseball auszuprobieren?
Nein. Ich spiele Pesäpallo aus Leidenschaft. Der Sport ist schnell und zugleich äußerst taktisch, verlangt perfekt aufeinander abgestimmte Aktionen. Überraschungen inklusive: Ein Team, das vielleicht nicht die beste Truppe ist, kann eine Partie drehen, wenn die Mannschaft nur in einigen wenigen Schlüsselsituationen entschlossen zuschlägt. Das liebe ich.
Obwohl es nur ein Plagiat ist?
Pesäpallo ist kein Plagiat. Baseball und Pesäpallo sind längst eigenständig. Und im übrigen ist Pesäpallo in Finnland gleich nach Eishockey die beliebteste Sportart.
Bekommen Sie beim Thema »finnischer« Baseball nicht eine Menge ironischer Kommentare zu hören?
Natürlich fragen manche: »Hä?!« Aber nehme ich solche Leute mit zu einem Match, sind die meist überrascht, wie spannend Pesäpallo ist.
Als Vater von Pesäpallo gilt Lauri Pihkala, der 1981 starb. Der sympathisierte zeitlebens mit extremen rechten politischen Strömungen. Bereitet Ihnen das Bauchschmerzen?
Zwischen dem Menschen Pihkala und dessen zweifelhaften politischen Ideen einerseits und dem Sport Pesäpallo andererseits vermag ich definitiv keinen Zusammenhang zu erkennen. Daher dürfen wir finnischen Baseball ungeachtet seines sicher zu recht umstrittenen Erfinders ohne Bedenken genießen.
In Deutschland gab es bis zu Beginn der 2000er Jahre eine aktive Pesäpallo-Szene, die aber eingeschlafen ist. Ganz anders die Schweiz, dort funktioniert ein richtiger Ligabetrieb.
Wir konzentrieren die Begegnungen auf drei Punktspieltage, mit einem weiteren Wochenende für das Meisterschaftsfinale; das ist in diesem Jahr angesetzt auf den 22. und 23. September in Zürich. Übrigens sollten Sie die Deutschen nicht völlig abschreiben. Frühere Leistungsträger aus ansonsten aufgelösten Clubs tun sich mitunter zusammen und nehmen sogar an großen Turnieren teil. Ein solches deutsches Team wurde 2017 im finnischen Turku hinter den Gastgebern sogar Vizeweltmeister!
Wie war die sonstige Platzierung?
Die Finnen dominierten, Australien und wir kamen auf Platz drei und vier.
Die Finnen schlägt keiner, oder?
Gegen die Finnen verlierst du immer! Die sind absolut überlegen, bleiben aber total fair und treten niemals überheblich auf.
Zur nächsten Pesäpallo-WM lädt Indien ein. Wird die Schweiz dann wieder oben mitmischen?
Mindestens die Nummer vier sollte erneut drin sein, besser noch wäre ein Platz auf dem Podest. Momentan vordringlicher ist aber die Aufgabe, einen Sponsor zu finden. Wir sind nämlich - im Gegensatz zu den Finnen - alles Amateure, die mit Herzblut das Pesäpallo nach vorne bringen wollen. Aber unserem kleinen Verband fehlen die Mittel, um aus eigener Kraft die WM-Teilnahme zu stemmen.
Finnisches Brauchtum ohne Sauna ist kaum denkbar, auch bei Pesäpallo nicht?
Wir haben tatsächlich einen - und zwar von finnischen Experten - zur mobile Sauna umgebauten Wohnwagen. Und nach den Spielen finden sich regelmäßig Leute, die da auch gern reingehen.
Den ganz Harten reicht Schwitzen auf dem Platz allein also nicht aus.
Genau!
Weitere Infos: www.finnpesissolothurn.ch
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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