Gefühlt mehr Krätze
Skabies-Bekämpfung ist sehr aufwendig - auch enge Kontaktpersonen müssen behandelt werden
Schon vor Urzeiten piesackten Krätzmilben die Menschheit. Das schlägt sich auch in der Redewendung »Ich krieg die Krätze« nieder. Leider sind die winzigen Spinnentiere, die hinter der Hautinfektion stecken, alles andere als ausgestorben. In den vergangenen Monaten wurden immer wieder Ausbrüche aus Kindergärten, Seniorenheimen oder sogar Kliniken bekannt. Eigentlich ist das kein Grund zur Panik: Die Krankheit ist, abgesehen von unangenehmen Begleiterscheinungen wie Juckreiz, relativ harmlos. Sie hat auch nichts mit mangelnder Hygiene zu tun. Doch die Bekämpfung ist aufwendig und hinzu kommt der Ekel, den die Vorstellung auslöst, dass sich kleine Parasiten in die Haut bohren und dort von der Zell- und Lymphflüssigkeit leben.
»Ich habe das Gefühl, dass die Zahl der Fälle zugenommen hat«, sagt der Dermatologe Henning Hamm von der Universitätsklinik Würzburg. »Von Kollegen habe ich Ähnliches gehört. Einen Beleg dafür gibt es aber nicht.« Skabies, wie Mediziner den Krätzmilbenbefall nennen, ist nämlich nur eingeschränkt meldepflichtig: Wenn es Verdachtsfälle in Gemeinschaftseinrichtungen gibt, muss das Gesundheitsamt vor Ort benachrichtigt werden. Diese Meldungen werden aber nicht an andere Behörden übermittelt. Anton Aebischer, Experte für Pilz- und Parasiteninfektionen am Robert-Koch-Institut (RKI), erklärt: »Es gibt keine verlässlichen Daten dazu, wie sich die Zahl der Skabies-Fälle in Deutschland entwickelt hat.«
Wenn Sie verdächtige Symptome an sich oder Ihrem Kind bemerken, sollten Sie möglichst bald zum Arzt gehen.
Befolgen Sie seinen Rat genau. Je nach Bedarf werden eine Creme zum Auftragen oder Tabletten zum Einnehmen verordnet.
Um niemanden anzustecken, sollten Sie auf enge Körperkontakte verzichten. Nach ein- bis zweimaliger Behandlung ist normalerweise niemand mehr ansteckend.
Gehen Sie möglichst offen mit der Krankheit um und informieren Sie Menschen, zu denen Sie engen Kontakt hatten. Wer an Krätze erkrankt ist oder bei wem der Verdacht besteht, der darf Gemeinschaftseinrichtungen (Schulen, Kindergärten) vorübergehend nicht besuchen. Außerdem sind diese zu informieren.
Bis zur Nachkontrolle gilt: Wechseln Sie Unterwäsche, Kleidung und Bettwäsche täglich und waschen Sie diese bei 60 Grad. Gegenstände, die nicht gewaschen werden können, mit denen aber längerer Hautkontakt besteht (Pantoffeln, Kuscheltiere), sollten für mindestens drei Tage bei über 21 Grad in verschlossenen Plastiksäcken trocken gelagert werden. Polstermöbel kann man absaugen oder sollte sie mindestens zwei Tage lang nicht benutzen.
Mehr Informationen finden sich im Internet unter: www.rki.de/skabies ast
Allerdings sind im vergangenen Jahr bundesweit wesentlich mehr Medikamente gegen Krätze verordnet worden. Das zeigen Erhebungen von Krankenkassen. So ist etwa die Zahl der Verordnungen bei den Barmer-Versicherten 2017 gegenüber dem Vorjahr um 60 Prozent auf mehr als 60 000 gestiegen.
Sind die Milben also doch »auf dem Vormarsch«, wie es oft heißt? Die Daten aus Krankenhäusern deuten in eine andere Richtung: Die Zahl der Skabies-Diagnosen dort schwankte in den letzten 15 Jahren stark, wie Aebischer berichtet. Lag sie im Jahr 2000 noch bei über 2700, sank sie zehn Jahre später auf 760. Im Jahr 2015 waren es wieder fast 2800. »Wie diese Schwankungen zu bewerten sind, ist unklar«, sagt der Wissenschaftler. Möglicherweise tritt die Infektion in bestimmten Zyklen auf.
Eindeutig ist für Aebischer jedenfalls: »An der Behauptung, dass Geflüchtete die Milben eingeschleppt hätten, ist nichts dran. Skabies hat es in Deutschland immer gegeben.«
Aus Flüchtlingsunterkünften werden aber häufiger Fälle gemeldet: Wenn Menschen auf engstem Raum zusammenleben, ist das für die Parasiten ideal. Sie verbreiten sich nämlich über intensiven Hautkontakt, also beim gemeinsamen Spielen, Kuscheln oder beim Sex. Dann haben die winzigen Milben, die mit bloßem Auge kaum erkennbar sind, Gelegenheit, sich einen neuen Wirt zu suchen.
Die Parasiten graben sich in die obere Hautschicht ein und leben dort vier bis acht Wochen. Währenddessen legen sie in den Hautgängen Eier und Kot ab. Dieser löst in der Regel eine Abwehrreaktion des Immunsystems aus, die mit Juckreiz verbunden ist. Hat man sich zum ersten Mal infiziert, dauert es zwei bis fünf Wochen, bis sich solche Anzeichen zeigen. In dieser Zeit kann man unbemerkt weitere Menschen anstecken.
Auch deshalb ist es mitunter schwer, einen Krätzeausbruch in den Griff zu bekommen. Hamm berichtet: »Skabies in Gemeinschaftseinrichtungen zu bekämpfen, ist eine große Aktion, die mit einem enormen Aufwand verbunden ist.« So müssen alle engen Kontaktpersonen betroffener Menschen behandelt und die Umgebung saniert werden. Besonders vorsichtig muss man sein, wenn jemand an Borkenkrätze erkrankt ist: Diese Skabies-Form kann sich bei Menschen mit einer Immunschwäche, etwa unter einer Chemotherapie, entwickeln. Sie ist besonders ansteckend, da extrem viele Milben auf der Haut leben.
Krätze lässt sich auch deshalb schwer ausrotten, da die Infektion nicht leicht zu erkennen ist. Gerade bei Patienten, die intensiv Körperpflege betreiben, kann es sein, dass die Hautveränderungen - etwa einzelne Bläschen - wenig auffallen. »Es kommt immer wieder vor, dass Skabies als Ekzem fehldiagnostiziert wird«, sagt Hamm. Entscheidender Hinweis sind die winzigen, gewundenen Milbengänge, die der Arzt per Dermatoskop (Lupenleuchte) entdecken kann. »Man muss aber immer wissen, wonach man sucht«, erklärt der Dermatologe.
Behandeln lässt sich Skabies dagegen in der Regel gut. In vielen Fällen verschreibt der Arzt eine Creme mit dem Insektizid Permethrin, die man am ganzen Körper aufträgt und über Nacht einwirken lässt. Neben weiteren Lotionen und Salben ist seit 2016 auch ein Mittel zum Einnehmen (Ivermectin) auf den Markt. Abgesehen davon gibt es einige Hygienemaßnahmen, die man beachten muss. Ein kleiner Trost: Über Polster, Kissen oder Decken, auf denen Milben kriechen, infiziert man sich laut RKI nur selten.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.