Früher Snack von Baum und Strauch

Essbare Knospen versprechen leichte Süße und geballte Pflanzenkraft

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.
Blütenknospen der Schwarzen Johannisbeere
Blütenknospen der Schwarzen Johannisbeere

Vor der Globalisierung und dem Import vitaminreicher Südfrüchte verspürten viele Menschen im Frühling mehr Appetit auf frische Kräuter und Salate. Noch weiter zurück in der Menschheitsgeschichte waren es die Sammlerinnen der Steinzeit, die nicht nur übrig gebliebene Beeren unter der Schneedecke suchten, sondern auch die ersten Knospen von Bäumen und Sträuchern für die eigene Ernährung pflückten.

Die im Frühling anschwellenden Knospen von Obstbäumen, Wildrosen, Beerensträuchern, aber auch von Linde, Pappel, Birke oder Esche sind essbar und enthalten Vitamine. Jedoch ist es heute nicht mehr möglich, dass alle Menschen ihren Vitaminbedarf im Frühjahr mit Knospen decken. Die Natur würde in kurzer Zeit völlig zerstört, es wären keine Knospen da, die sich zu Laubblättern öffnen und einen wichtigen Anteil an Sauerstoff produzieren. Ein rücksichtsvolles Pflücken ist also gefragt. Vertreter der Knospennutzung empfehlen, vor allem solche Äste zu verwenden, die sowieso im Zuge des Frühjahrsschnitts anfallen. Sind die »Pflanzenembryos« noch zu wenig entwickelt, können die Zweige in Vasen gestellt werden. So dienen die sich öffnenden Knospen nicht nur zur Dekoration, sondern laden zum Naschen ein.

Knospen von Obstbäumen, Wildrosen, Beerensträuchern, aber auch von Linde, Pappel, Birke oder Esche sind essbar und enthalten Vitamine.

Um den Gesundheitswert frischer Knospen zu veranschaulichen, sind nicht nur ihre Inhaltsstoffe wie Aminosäuren, Mineralstoffe, Vitamine, Bitterstoffe, Chlorophyll sowie hormonähnliche Stoffe, etwa Phytoöstrogene, zu betrachten. Einheimische Laubbäume und Sträucher haben sich nahezu perfekt an das kontinentale Klima der Nordhalbkugel mit den ausgeprägten Jahreszeiten angepasst. Mit Beginn des Frühlings, wenn die Sonne wieder kräftiger wird, nehmen die Pflanzen mithilfe ihrer Knospen die Intensität des Sonnenlichts wahr. Dafür besitzen sie Hunderte sogenannter Phytochromen, die als Photosensoren arbeiten. Sobald die länger andauernde Helligkeit von ihnen registriert ist, können die Knospen mithilfe hormoneller Botenstoffe den Beginn des pflanzlichen Stoffwechsels einleiten.

Diese Botenstoffe gelangen durch Äste und Stamm zu den Wurzeln und regen dort die Bildung von Enzymen an, welche wiederum in der Wurzel gespeicherten Stoffe in Zuckermoleküle zerlegen. Das sind zum Beispiel der Birkenzucker in den europäischen Birken oder der Ahornzucker in den nordamerikanischen Ahornbäumen. In der Folge steigt die Konzentration des Zuckers in den Wurzeln an. Es entsteht ein osmotisches Konzentrationsgefälle, wie die Pflanzenökologin Robin Wall Kimmerer in ihrem Buch »Geflochtenes Süßgras« anhand der Prozesse in Ahornbäumen erläutert.

Aufgrund des Konzentrationsgefälles steigt der mit Holzzucker angereicherte Saft im Baumstamm auf, wird in die Äste und schließlich zu den Knospen transportiert. Dadurch werden diese prall und schmecken leicht süßlich, wobei Bitterstoffe meist doch dominieren. Wenn die Knospen beginnen, sich zu öffnen, ist der beste Zeitpunkt, sie zu pflücken.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Um zu wissen, welche Knospen essbar sind, ist es wichtig, die Pflanzen der Umgebung genau zu kennen. Birken sind an ihrem weißen Stamm zweifelsfrei zu bestimmen, auch bevor sie ab Ende März ihre Blätter entwickeln. Deren Knospen können in kleinen Mengen frisch verzehrt oder zu einem Tee aufgegossen werden. Beerentragende Sträucher sind aus dem Sommer in Erinnerung. Die Knospen von Apfelbäumen oder Beerensträuchern erinnern geschmacklich ein wenig an deren Früchte. Mit Rücksicht auf die Pflanze sollten nur zwei bis drei Knospen gepflückt werden.

Von einem unbekannten Baum dürfen keine Knospen oder Triebe gesammelt werden, denn einige Bäume haben giftige Teile oder sind als gesamte Pflanze giftig. So sind Triebe von Eibe oder Holunder nicht zu verwenden.

Bei der Nutzung beobachteten vornehmlich Frauen, dass bestimmte Knospen zur Linderung von Krankheiten beitragen. Ab Mai können beispielsweise die jungen Triebe von Tanne oder Fichte gesammelt werden, deren Wirksamkeit gegen Husten oder bei Skorbut (Vitamin-C-Mangel) schon lange bekannt ist.
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Knospenmedizin, die Gemmotherapie, entwickelt. Das lateinische Wort »gemma« bedeutet Knospe. Um aus den Knospen eine haltbare Medizin herzustellen, werden diese in eine Flüssigkeit, etwa eine Essig-Honig-Mischung oder eine Mischung von Glycerin, Alkohol und Wasser gegeben. Darin werden die Knospen bis zu sechs Wochen eingeweicht. Der entstehende Auszug, das sogenannte Mazerat, wird filtriert und in eine Glasflasche gefüllt.

Der Vorteil dabei besteht darin, dass alle Substanzen kalt verarbeitet werden und so besser erhalten bleiben. Hersteller von pflanzlichen Arzneien betonen, dass der Alkoholgehalt selbst für Kinder unproblematisch ist, weil nur wenige Tropfen pro Tag einzunehmen sind. Jedoch für Menschen, die nach einem Entzug zeitlebens Alkohol vollständig meiden müssen, sind so hergestellte pflanzliche Arzneimittel tabu.

Für akute Erkrankungen ist die Knospenmedizin wenig hilfreich, wie Stéphane Boistard, der Autor des Buches »Knospen für die Gesundheit« einräumt. Das Einsatzgebiet der Knospenmedizin liegt vor allem bei chronischen Beschwerden.
Stofflich gesehen wirken in erster Linie bestimmte Phytohormone, die von Rezeptoren für Hormone im menschlichen Organismus erkannt werden. Bislang gibt es Erfahrungen vor allem mit der Knospenmedizin der Brombeere und der Schwarzen Johannisbeere. Auch Himbeere, Wildrose, Weinrebe, Tanne, Kiefer, Erle und Linde wurden genutzt.

Für die Knospen des Brombeerstrauches wird aus dessen wachstumsfreudigen Ranken ein Einfluss auf den Knochenaufbau abgeleitet. Für Frauen nach der Menopause wird die Schutzwirkung durch Phytoöstrogene der Brombeerknospen erklärt. Daher werden diese Knospen bei Knochenbrüchen und Osteoporose empfohlen. Beweiskräftige Studien mit größeren Teilnehmerzahlen fehlen noch. Weil in der Knospenmedizin eher selbst hergestellte Hausmittel verwendet werden und ein Handelsprodukt kaum Gewinn verspricht, besteht wenig Interesse, sie in größerem Maßstab zu erforschen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.