Wie man eine Milliarde verzehnfacht
Niedersachsen: Viele wollen einen Teil vom VW-Strafgeld
Das Geld aus Wolfsburg ist bereits in Niedersachsens Landeskasse angekommen. Am Montag wurde dort die Euro-Milliarde verbucht, die dem VW-Konzern von der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen »Dieselgate« aufgedrückt worden war. Das bestätigte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Mittwoch dem Landtag.
Dort stand nun die Frage im Raum: Was machen wir mit dem zehnstelligen Betrag? Eine Antwort gab es noch nicht. Zunächst muss sich am Donnerstag der Finanzausschuss mit dem unerwarteten pekuniären Zufluss befassen. Und am Wochenende werde das Thema auf einer Haushaltsklausur der SPD/CDU-Koalition erörtert, kündigte der Regierungschef an. An Vorschlägen zum Verwenden der Milliarde mangelt es nicht, einer kam auch schon aus den Reihen des Parlaments: von FDP-Fraktionschef Stefan Birkner.
Im Rahmen einer aktuellen Stunde beschwor er das Plenum. Man möge das Geld nicht »verfrühstücken«, sondern - so wie es auch Niedersachsens Steuerzahlerbund fordert - zum Abbau der Landesschulden einsetzen: derzeit gut 61 Milliarden Euro. Doch schon erkenne er »mit Sorge große Begehrlichkeiten« angesichts des Bußgeldes, so der Liberale.
Begehrlichkeiten gibt es in der Tat, wenn sie auch im Verlauf der Landtagssitzung nicht zur Sprache kamen. Die Krankenhausgesellschaft etwa wünscht sich, das Land möge Geld aus der VW-Buße in Kliniken investieren. Der Richterbund fordert 250 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte, und der DGB meint, das Land könne doch das einst gestrichene Weihnachtsgeld für Beamte wieder einführen.
Ja, eine Milliarde sei in Hannover eingegangen, erinnerte Stephan Weil. Die »von sehr viel Phantasie« geprägten Vorschläge zu ihrer Verwendung jedoch summierten sich schon auf rund zehn Milliarden. Wenn das Konzept zum Einsatz des Geldes stehe, »werden wir demnach für neun Milliarden Enttäuschung auslösen«, bemerkte der Regierungschef.
Weil und weitere Abgeordnete warnten auch davor, die Milliarde schon jetzt als Betrag anzusehen, der voll zur Verfügung stehe. Denn: Reines Bußgeld, gewissermaßen die »Strafe« für VW, sind davon nur fünf Millionen. Die übrigen 995 Millionen Euro hatte die Justiz dem Unternehmen als sogenannten Abschöpfungsanteil auferlegt, weil Volkswagen durch die Abgasmanipulation einen rechtswidrigen wirtschaftlichen Vorteil erlangt habe.
Tatsächlich ist noch nicht geklärt, ob und inwieweit VW diesen Abschöpfungsbetrag steuerlich geltend machen kann. Sofern dies geschieht, hätte das Land letztlich einen Nachteil bei den Steuereinnahmen, der dann wiederum von der einen Milliarde abgezogen werden müsste. Man solle sich deshalb nicht voreilig auf jenen Bruttobetrag festlegen, mahnte nicht nur Stephan Weil.
Mahnende Worte parat hatte auch Anja Piel, Fraktionschefin der Grünen. Man könne die FDP-Idee nachvollziehen, »die uns noch unbekannte Summe« zum Abbau von Schulden zu verwenden. »Aber Schulden haben wir doch vor allem beim Klima und noch mehr bei den Menschen in Niedersachsen, die unter schlechter Luft leiden«, sagte die Abgeordnete. Und: »Diese Schulden tragen wir nur ab, wenn wir das Bußgeld in eine Mobilitätswende investieren.«
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