Kluft im Bildungssystem wächst
Kitas und Schulen sind laut nationalem Bildungsbericht nach wie vor unterfinanziert
Rund 17,1 Millionen Menschen besuchten 2016 eine Bildungseinrichtung - eine Rekordzahl; zehn Jahre zuvor waren es knapp ein Drittel weniger. Der Anstieg geht im Wesentlichen auf den Bereich der Frühen Bildung sowie auf den universitären Sektor zurück. Nutzten 2006 lediglich 11,6 Prozent der Eltern ein öffentliches Betreuungsangebot für ihre Kinder, waren es 2017 bereits 36,6 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Studienanfängerquote von 44 auf 56 Prozent.
Dieser Zuwachs stelle die Bildungseinrichtungen vor große Herausforderungen, betonten die Verfasser des Berichts bereits am Mittwoch vor Journalisten. Die Investitionen in Bildung hätten mit dem Zuwachs an Bildungsbeteiligung nicht Schritt gehalten. Der Bericht »Bildung in Deutschland 2018« prognostiziert allein für den Kita-Bereich bis 2025 eine Personallücke von bis zu 309 000 Stellen. Die Entwicklung in der frühkindlichen Bildung habe eine »ungeheure Dynamik«, betont der Leiter des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München, der Erziehungswissenschaftler Thomas Rauschenbach. »In sieben Jahren wird es mehr Kita-Erzieherinnen geben müssen als Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen.«
Wie wichtig Kitas sind, zeigt folgende Statistik: Die Lese- und Mathematikkompetenzen von Grundschülern, die weniger als zwei Jahre eine öffentliche Einrichtung besuchten, liegen etwa zwei Punkte unter denen von Kindern, die länger als zwei Jahre in eine Kita gingen; das entspricht etwa einem halbem Schuljahr.
Insgesamt hält der Trend zur höheren Bildung an. So ist der Anteil von Absolventinnen und Absolventen mit Abitur von 34 Prozent im Jahr 2006 auf 43 Prozent im Jahr 2016 gestiegen. Auch der Anteil von Auszubildenden mit Hochschulreife ist gewachsen. Erfreulich sei auch, so die Verfasserinnen der Studie, dass immer mehr Kinder aus Migrantenfamilien eine Kita besuchen.
Der Bericht listet aber auch die Probleme auf, die die Autorinnen und Autoren als »steigenden Handlungsbedarf« umschreiben. Bildung wirke sich zwar positiv auf das Einkommen und auf die Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe sowie auf die Gesundheit und Zufriedenheit aus, doch die Kluft zwischen denen, die das Bildungssystem erfolgreich durchliefen, und denen mit schlechterem Start und weniger Entwicklungschancen sei gestiegen. Auch zeigten sich verstärkt regionale Unterschiede. Dies gelte vor allem für Ostdeutschland. Hier stellt der Bericht einen teils dramatischen Rückgang der Bildungsangebote in der Fläche fest. So sankt die Zahl der Grundschulen in den ostdeutschen Landkreisen und kreisfreien Städten zwischen 2006 und 2016 um 11 Prozent, die Zahl der Beruflichen Schulen ging gar um mehr als ein Viertel (26 Prozent) zurück. Weiterhin gibt es auch große Ost-West-Unterschiede bei den Personalschlüsseln in den Kitas. Während etwa in Baden-Württemberg eine Erzieherin statistisch gesehen drei Kinder betreut, kommen in Sachsen 5,9 Kinder auf eine Pädagogin.
Eine besondere Herausforderung für das Bildungssystem stellt zudem die Integration von Zugewanderten dar. Durch diese sei zwar auch der Anteil der Personen mit Hochschulabschluss leicht gestiegen, gleichzeitig habe sich in den zurückliegenden Jahren auch der Anteil der Personen ohne Schul- und Berufsabschluss erhöht.
Einigen politischen Maßnahmen, mit denen in den zurückliegenden Jahren mehr soziale Gerechtigkeit hergestellt und eine bessere Bildungsqualität erreicht werden sollte, stellt der Bericht insgesamt ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus. So seien durch den Ausbau von Ganztagsschulangeboten zwar die arbeitsmarktpolitischen Ziele erreicht worden (Zunahme der Erwerbstätigkeit von Müttern), auch die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung habe sich verbessert, auf die schulischen Leistungen habe die Reform jedoch keine Auswirkung gehabt. Auch der von der Politik erhoffte »kompensatorische Effekt für sozial benachteiligte Gruppen« habe sich nicht eingestellt. Gleiches gelte für Maßnahmen im Bereich der Inklusion.
Federführend für den Bericht »Bildung in Deutschland« war das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). An dem Bericht haben zudem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Organisationen mitgewirkt. Auftraggeber der Expertise waren die Kultusministerkonferenz (KMK) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
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