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Heldenepos
Abseits! Die WM-Kolumne
Werbung wurde dafür erfunden, Helden zu schaffen. Väter, die einen Gartentisch eigenhändig zusammenbauen, Mütter, die Waschmaschinen eigenhändig befüllen, RentnerInnen, die vor dem unkontrollierbaren Harndrang nachts von selbst aufwachen und Tabletten einschmeißen. Das ist die erste, ehrlichste Ebene: Produkt mit Funktion xy wird in seiner natürlichen Umgebung vorgeführt. Keine Schnörkel, keine große Inszenierung. Nur Klischee, abgefilmt in Studio 3.
Irgendwann kamen Agenturen auf die Idee, auch eine Geschichte, ein Image zu verkaufen. Mehrminütige Epen wurden erdacht, Stars engagiert, die Sepia-Filter überstrapaziert. Die letzte Evolutionsstufe bisher: Selbstironie, wie sie die BVG perfektioniert hat. Deutsche Fußballer und ihr Auftreten in Werbespots waren bisher ausschließlich der ersten Ebene vorbehalten, in der es unter Todesstrafe verboten ist, abstrakt zu denken, humorvolle Elemente einzubinden oder irgendeine Art Idee zu haben, die über das Gegenständliche hinausgeht. Manuel Neuer duscht, es geht um Schuppenshampoo. Thomas Müller steht vor dem Spiegel, jongliert einen Ball auf dem Kopf und rasiert sich: Wir sollen Rasierklingen kaufen.
Seit letzter Woche nun der Evolutionsbruch in diesem Genre schlechthin. Ein Mobiltelefonhersteller inszeniert Mario Götze als gefallenen Engel der WM 2014. Die Einstiegsszene zeigt einen kleinen Mann im Halbschatten, allein vor einem Fußballtor aus Eisenstreben. Aus dem Off spricht Jogi Löw zu uns: »In dieser Saison war es einfach nicht der Mario Götze, den wir uns alle wünschen.« Dann beginnt tatsächlich noch Johnny Cash zu singen: »I hurt myself today...« In dem Lied geht es um einen Abschiedsbrief und den Selbstmord des Protagonisten. Woah. Schließlich fackelt ein Götze-Trikot in spontaner Selbstentzündung ab, warum auch immer. Man erwartet in der nächsten Szene mindestens eine Blut weinende Madonnenfigur. Kommt nicht, stattdessen Krankenhausflure und Röntgenaufnahmen. Die schlimmste Szene ist die, in der Götze in einer Badewanne, im Profijargon »Abklingbecken« genannt, hockt und mit wehleidigem Dackelblick in die Kamera sagen will: Heute nicht, aber morgen beiße ich euch alle weg - vielleicht, falls ich jemals aus der Badewanne herauskomme.
Für das Russland-Aufgebot hat Löw ihn verschmäht, und das auch noch mit den Worten:»Es tut mir für ihn leid, weil ich weiß, was er geleistet hat.« Jetzt versucht sich also Mario Götze im Spot wieder an die Weltspitze zu flanken, zu hüpfen, zu strampeln und zu jonglieren. Eigentlich keine schlechte Idee: der Verlierer, der übrig Gebliebene, als Held und Antithese zum grinsenden Deoroller-unter-der-Achsel-Stammspieler. Aber warum hat man die ganze Zeit das Gefühl, hier wird von allen Seiten mit der fast verzweifelt wirkenden Hoffnung eines Jungen gespielt, in zwei Jahren noch irgendwie relevant zu sein? Aus Mitleid erwächst nicht so einfach ein Heldenepos. Insbesondere nicht, weil man gar nicht weiß, wie es ausgeht. Vielleicht hat sich der Mobiltelefonhersteller zu sehr auf eine Statistik verlassen, die inzwischen vier Jahre alt ist, genauso alt wie Götzes größter Triumph. Laut der ist Götze als Marke der »wertvollste« deutsche Nationalspieler.
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