Wenn die Rente nicht reicht
Der Humanistische Verband berät ältere Menschen in Neukölln
Was tun, wenn die Rente nicht reicht? Verschuldung im Alter, zu hohe Mieten, fehlende Unterstützung durch Verwandte - und Betrüger*innen, die durch falsche Versprechungen alten Menschen das Geld aus der Tasche ziehen: Die Gründe für Altersarmut sind vielfältig. Umso wichtiger ist es, dass Senior*innen frühzeitig professionelle Beratung aufsuchen, um sich vorbeugend helfen zu lassen, bevor es zu spät ist, findet Jana Langbein. Die Sozialarbeiterin und Gerontologin berät seit mittlerweile fünf Jahren Menschen ab 60 für den Humanistischen Verband Deutschland (HVD). Gemeinsam mit zwei Kolleginnen hält sie im Auftrag des Bezirksamtes Neukölln zweimal pro Woche Sprechstunden im Bürgerzentrum Neukölln.
»Wir vermitteln den Seniorinnen und Senioren in erster Linie Beratungsangebote und Hilfe«, sagt Langbein. Dafür greift der Verband auf ein breit gefächertes Netzwerk zurück. »Aber wir helfen natürlich auch, zum Beispiel bei komplizierten Antragsformularen, bei Behördengängen oder drohenden Mietschulden.« Nicht nur ältere Menschen hätten mit dem teils unverständlichen Beamtensprech der Bezirksämter zu kämpfen, sagt sie. Im Rahmen der Seniorenberatung werden aber nicht nur allgemeine Informationen und Auskünfte über Hilfen und Dienstleistungen für ältere Menschen vermittelt, sondern auch Hilfepläne erarbeitet, Unterstützungsangebote koordiniert und notwendige Antragsstellungen in die Wege geleitet. »Wir begleiten unsere Klient*innen so lange, bis ein funktionierendes Versorgungssystem aufgebaut wurde«, so Langbein.
Mittlerweile werden 788 Klient*innen von den drei Mitarbeiterinnen des HVD beraten. Davon ist die Mehrzahl (456) weiblich. »Wir beobachten, dass Frauen besonders betroffen sind von Altersarmut«, sagt Langbein. Insbesondere Selbstständige, die in ihrem Leben nur wenig in die Rentenkasse eingezahlt haben, seien davon betroffen. Auch Frauen, die lange in Erziehungszeit waren oder viel in Teilzeit gearbeitet haben, haben häufig mit Armut im Alter zu kämpfen. »Neben der Altersarmut spielt auch die Verschuldung im Alter eine immer größere Rolle für die Menschen im Bezirk«, so Langbein. Viele Leute kämen einfach nicht mit dem Geld zurecht, das sie bekommen. »Daher ist es wichtig, frühzeitig zu uns zu kommen, damit wir einen funktionierenden Plan ausarbeiten können.«
Doch ob Menschen Hilfe annehmen, ist bei manchen auch eine Frage des Schamgefühls, sagt Langbein und erinnert sich an eine Klientin, die trotz unzureichender Rente auf eine Grundsicherung verzichtet, weil sie niemandem »auf der Tasche liegen will«. Laut dem Regionalen Sozialbericht für Berlin und Brandenburg 2017 führt Neukölln (26,8 Prozent) die Liste der armutsgefährdeten Einwohner*innen an, noch vor den Bezirken Mitte (24,8 Prozent) und Spandau (23,2 Prozent). Von den 57 000 Menschen über 65 Jahren seien laut dem Sozialbericht 10,2 Prozent von Armut im Alter bedroht.
Von den knapp 800 Klient*innen habe mittlerweile ein Viertel einen migrantischen Hintergrund, sagt Neuköllns Sozialstadtrat Jochen Biedermann (Grüne). »Es geht um die Frage, wie wir künftig unser Angebot erweitern können, damit wir auch Menschen mit Migrationshintergrund erreichen.« Bei dem Thema Gesundheit zeige die Statistik, dass Migrant*innen einen wesentlich schlechteren Gesundheitszustand haben. Grund hierfür sei, dass diese viel später auf medizinische Angebote zurückgreifen.
Besonders ärgert er sich über die Verdrängung von Kiezstrukturen durch profitorientierte Immobilieneigentümer*innen. »Viele Senioren haben zum Teil noch recht alte Mietverträge. Ich kann mir gut vorstellen, dass es sich für Eigentümer*innen lohnt, diese Mietverhältnisse aufzulösen, um dann das Vierfache der Miete zu kassieren«, so Biedermann.
Seit 2016 bietet der Humanistische Verband eine Beratung für ältere Personen an, die sich im Strafvollzug befinden. Unter dem Titel »Drehscheibe Alter - Beratung zu altersspezifischen Fragen im Strafvollzug und bei der Entlassung« will der HVD auf die besonderen Bedürfnisse der wachsenden Zahl von älteren Menschen in den Gefängnissen eingehen. In allen zwölf Berliner Strafvollzugsanstalten ist das Projekt mittlerweile für die Gefangenen erreichbar.
An diesem Samstag startet die Berliner Seniorenwoche mit zahlreichen Veranstaltungen. Das Programm finden Sie unter: seniorenwoche.berlin/
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.