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  • Ausstellung in Eisenhüttenstadt

Du liebes altes Haus in dieser Stadt

Die Künstlerinnengruppe Endmoräne spürt in Eisenhüttenstadt den sozialen Dimensionen der Industriepolitik der DDR nach

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Sieben mal sieben kleine Fußpaare stehen auf einem weiß bestäubten Boden. Sie sind rot, aus rot gefärbtem Kautschuk, und von der Form her sehr lebensecht. Über dem Knöchel sind sie abgetrennt. Die Körper zu den Füßen fehlen. Ihnen gegenüber hat die Künstlerin Frauke Danzer ein Paar ausgewachsener Füße gestellt; darüber weht ein weißes Kleid. Einem Morgenappell oder einer Gymnastikstunde mag diese Anordnung von Füßen nachempfunden sein. Die rote Farbe symbolisiert die Anstrengung, das Blut, das gewissermaßen in die Füße geströmt ist und Hautfärbungen bewirkt, die sonst bei großer Anstrengung oder auch großer Scham entstehen. Die soldatisch wirkende Aufstellung erinnert zugleich daran, dass Menschengruppen immer irgendwie organisiert sind - selbstorganisiert recht selten, hierarchisch strukturiert viel häufiger.

Kinderwochenheime waren eine Form sozialer Organisation, die für den Industriestaat DDR zwar nicht prägend war - dazu war deren Zahl im Vergleich zu konventionellen Kindergärten doch zu gering -, die aber doch eine logische Begleiterscheinung industrieller Arbeitsrhythmen im sozialen Feld darstellte. Kinder im Vorschulalter von Schichten arbeitenden Eltern wurden hier für die Tage, die die Eltern im Werk verbrachten, aufgenommen und an den freien Tagen wieder abgeholt. Klassische Wochenenden gab es also für die Heimerzieherinnen, die Kinder und natürlich auch die Eltern nicht. Die Hochöfen in Eisenhüttenstadt, damals noch Stalinstadt, mussten glühen, 24 Stunden lang, sieben Tage die Woche. Das erzählen frühere Betreuerinnen, die selbst das Ausstellungsprojekt besuchen und angesichts der künstlerisch wiederbelebten Räume ins Reden kommen.

Die früheren Erzieherinnen berichten von einer durchweg schönen und aufregenden Zeit in dieser in den 1950er Jahren aus der Endmoränenlandschaft des Warschau-Berliner Urstromtales gestampften Stadt. Ihre Sprüche finden sich an den Wänden des von Katrin Glanz gestalteten früheren Aufenthaltsraums im Erdgeschoss wieder. »Alles gut« steht da, »Du liebes altes Haus in dieser Stadt« auch. Und: »Die Frau konnte sich entwickeln«. Es sind aber auch kritische Anmerkungen zu lesen wie: »Hier gab es kein Entrinnen«, »furchtbar«, »brutal«. Daruntergemischt sind einordnende Rückblicke wie: »Ein interessantes Modell, aus der Not geboren«, »Der Mensch ist für den Sozialismus nicht geeignet. Der Mensch ist viel zu egoistisch.«

Die Sprüche stammen von Besuchern und Anwohnern, von ehemaligen Bewohnern und früheren Erzieherinnen, die Glanz kontaktiert und befragt hat. Sie messen recht gut den Raum aus, in dem sich auch ein Besucher der Ausstellung bewegt. Erschrecken ist da, wenn man sich vor Augen führt, wie die Industrie das Leben dominierte, wie sie, einem Magnetfeld gleich, die Eisenspäne menschlicher Existenzen ausrichtete. Andererseits ist da auch Faszination darüber, wie eine Gesellschaft solchen Problemen begegnen wollte. Die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf ist nicht nur eine Angelegenheit der DDR der 1950er Jahre; zu wenig Kita-Plätze, Öffnungszeiten von Kitas, die dem Arbeitsrhythmus prekär beschäftigter Freiberufler eben gar nicht angepasst sind - das sind sehr heutige Probleme.

Tritt man dann aus diesem in den 50er Jahren erbauten Gebäude heraus und entdeckt die von Patricia Pisani frisch bemalten Klettergerüste im vollkommen zugewucherten Garten, dann stellt sich auch die Frage ein: Wo sind in dieser deindustrialisierten Stadt bloß die Kinder geblieben, die an diesen Gerüsten spielen könnten?

Die aus 18 Künstlerinnen bestehende Gruppe schlägt behutsame Schneisen durchs Dickicht, das über die Geschichte und die Gebäude gewuchert ist. Sie legt damit Geschichten frei, löst Assoziationen aus. Nicht jede Arbeit ist gleich geglückt, ist ähnlich poetisch wie Danzers Tanz aus 49 x 2 Kinderfüßen. Das leere Gebäude wird aber doch belebt. Gestalten erscheinen. Und auch der Zusammenhang mit dem Oberthema der Sommerwerkstatt über die einstige Planstadt - Plan 2/5 im Raster für eine bessere Zukunft? - wird deutlich. Denn so ausgerichtet wie die Kinder waren natürlich auch die Häuser. Gisela Genthner etwa ordnet Holzbausteine zu einem Städteraster an, Angela Lubic setzt ein konstruktivistisches Liniengewirr, in einen Raum, das mal an mittelalterliches Fachwerk, mal an Grundrisse von Häusern, mal an städtebauliche Anlagen erinnert.

Die Gruppe Endmoräne, gegründet vor 27 Jahren in der Endmoränenlandschaft des Oderbruchs, nimmt jeden Sommer solcherart Orts- und Zeiterkundungen vor. Sie erweckt verlassene Gebäude, verlassene Landschaften zu neuem Leben und gestaltet so eine ganz eigene Retrospektive dessen, was Brandenburg einmal war und in Teilen, wenngleich verdrängt und halb vergessen, noch immer ist.

Die Ausstellung ist bis zum 1. Juli jeweils an den Wochenenden zwischen 13 und 18 Uhr geöffnet und befindet sich gleich neben dem Eisenhüttenstädter Museum für Alltagskultur in der Erich-Weinert-Allee 4.

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