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Regieren, ohne dass einer was merkt

Schleswig-Holsteins Jamaika-Koalition hat sich im ersten Jahr um Entscheidungen gedrückt

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Saarland ist sie 2012 nach nicht einmal zweieinhalb Jahren gescheitert, in Schleswig-Holstein hat sie das erste Jahr nahezu geräuschlos überstanden: Die Rede ist von der sogenannten Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP. Ganz im Norden der Republik regiert ein solches Bündnis seit Ende Juni 2017, und zum einjährigen Geburtstag versicherten Spitzenvertreter aller drei Parteien in Kiel, wie harmonisch es untereinander zugehe. Die Opposition, die außerparlamentarische LINKE, Umweltverbände und Gewerkschaften sehen in der Kieler Jamaika-Koalition allerdings keine Erfolgsgeschichte.

Zum Geburtstag gönnten sich die landespolitischen Spitzen von CDU, Grünen und FDP Anfang der Woche eine einstündige Fahrt mit dem historischen Raddampfer »Freya«, Baujahr 1905, auf der Kieler Förde. Vom Spitzenpersonal um CDU-Ministerpräsident Daniel Günther fehlte nur Umwelt-, Landwirtschafts- und Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne), der ohnehin nur noch zwei Monate dem Kabinett angehört. Verabredungsgemäß soll er zum 1. September vom bisherigen grünen Europa-Abgeordneten Jan Philipp Albrecht abgelöst werden, damit er sich ganz auf seine Rolle als Bundesparteivorsitzender der Grünen konzentrieren kann.

An Bord war zu vernehmen, dass zum guten Koalitionsklima auch die Bereitschaft zu ausführlichem Dialog gehöre. Zumindest gebe es nach Meinung der Grünen im aktuellen Bündnis eine offenere Gesprächskultur als in der Vorgängerkoalition aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW).

Zweifellos ist das bisher weitgehend problemlose Regieren auch auf die gute Kassenlage zurückzuführen. Viele Programme der Vorgängerregierung werden verlängert, indem sie weiterfinanziert werden - richtigen Streit darüber hat es bis dato nicht gegeben. Auch der Koalitionsausschuss hat noch kein Krisenthema auf den Tisch bekommen. Bisher haben sich Daniel Günther und Co. aber auch um folgenschwere Entscheidungen herumgedrückt, etwa beim Thema Onshore-Windenergieplanung oder bei verbindlichen Abstandsregeln in Siedlungsnähe. In dieser Frage gilt derzeit ein Bau-Moratorium.

Im Kabinett sind neben Habeck vor allem zwei Politiker auffallend aktiv: Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) und Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Von Justizministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) hingegen war in ihrem ersten Amtsjahr nahezu nichts zu vernehmen, obwohl die angespannte Personaldecke im Justizbereich mit den entsprechenden Folgen inzwischen zum chronischen Problem geworden ist.

Prien hat einiges im Bereich der Schullandschaft bewegt - mit dem Ziel, vornehmlich die Gymnasien zu stärken. Dazu gehört die erneute Umstellung der Lehrerausbildung, jedoch auch eine stufenweise Verbesserung der Bezahlung für Grundschullehrer - etwas, was die vorhergehende Koalition unter SPD-Führung nicht hinbekommen hat.

Dennoch hält der Oppositionsführer, SPD-Fraktionschef Ralf Stegner, der die jetzige Koalition gern als schwarze Ampel bezeichnet, den Regierenden vor, trotz hoher Steuereinnahmen nicht für beitragsfreie Kitaplätze zu sorgen.

Aus Gewerkschaftssicht wiederum ist die jetzige Regierung arbeitnehmerfeindlich, will sie doch in der zweiten Jahreshälfte das Tariftreue- und Vergaberecht für öffentliche Aufträge ändern. Dieser Kritik schließt sich der SSW an. Und der Landessprecher der LINKEN im Norden, Lorenz Gösta Beutin, konstatiert, dass Schleswig-Holstein in Sachen Kinder- und Altersarmut, Leiharbeit und befristete Beschäftigungsverhältnisse ein Bundesland der sozialen Kälte bleibt. Er resümiert in seiner Jahresbilanz: »Die wirklich großen sozialen Fragen im Land geht die neue Jamaika-Koalition nicht an.«

Und auch die Umweltverbände melden sich zu Wort. Sie meinen, dass das Jamaika-Bündnis in seiner Leistungsbilanz noch kräftig zulegen muss. Der NABU-Landesverband ist der Ansicht: »Jamaika bedeutet Stillstand im Umwelt- und Naturschutz.« Der BUND beäugt die Regierenden mit gebotener Skepsis. Schöne und öffentlichkeitswirksame Aktionen und Ideen bedeuteten vielfach keinen nachhaltigen Politikwechsel im Sinne von Umwelt und Natur. Stegner stichelte denn auch, dass die einstündige Fördefahrt der Koalitionäre mit dem dieselgetriebenen Uraltdampfer nicht gerade ökologisch zukunftsgewandt gewesen sei.

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