- Politik
- Indymedia linksunten
Der Erfolg der Plattform wurde zum Problem
Freiburger Linke werden beschuldigt, »Indymedia linksunten« betrieben zu haben. Ein Gespräch über enttarnte Spitzel, politische Zensur und das gesellschaftliche Klima in Zeiten der AfD
»Indymedia linksunten« war die größte Medienplattform der radikalen Linken im deutschsprachigen Raum. Vor knapp einem Jahr hat das Bundesinnenministerium ein Verbot dieser Internetseite erwirkt. Die Betroffenen klagen gegen diesen Eingriff in die Pressefreiheit. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt sich im Januar 2019 ganze drei Tage Zeit, um darüber zu verhandeln. Die ungewöhnlich lange Verhandlungsdauer lässt darauf schließen, dass für die Richter die inhaltliche Argumentation der Kläger stichhaltig ist.
Niels Seibert hat drei Kläger aus Freiburg im Breisgau zum Gespräch getroffen. Ihre Namen wollten sie nicht in der Zeitung lesen.
Die linke Plattform Indymedia ist ein globales Non-Profit-Netzwerk von Medienaktivist*innen und Journalist*innen, das aus den globalisierungskritischen Bewegungen hervorgegangen ist. Seit 2001 ist »Indymedia Deutschland« online, im August 2008 kam »Indymedia linksunten« hinzu, was sich zum einflussreichsten deutschsprachigen Indymedia-Forum entwickelte.
Auf den Open-Posting-Plattformen publizieren Interessierte ihre politischen Erlebnisse und Meinungen, zum Beispiel wenn sie sich an Demonstrationen und Aktionen beteiligt oder selbst ein Thema recherchiert haben. Eine Kommentarfunktion ermöglicht inhaltliche Ergänzungen, aber auch Diskussionen. So finden sich in den Kommentarspalten oft auch kontroverse Debatten zu aktuellen Fragen und Ereignissen.
Speziell »linksunten« leistete von Beginn an wichtige Aufklärungsarbeit über rechte Bewegungen und deckte durch investigative Recherchen beispielsweise rassistische Äußerungen von AfD-Mitgliedern aus deren internen Chats auf. Außerdem nutzten militante Gruppen die Plattform zur Veröffentlichung ihrer Anschlagserklärungen. Aufgrund dessen geriet die Webseite ins Visier von Ermittlungsbehörden und des Verfassungsschutzes.
Anlässlich des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg wurde die Diskussionsplattform »linksunten« so stark genutzt wie niemals zuvor. Wenige Wochen danach hat das Bundesinnenministerium ein Vereinsverbot erlassen. Die Webseite ist seit dieser Zeit offline. Mit der Bekanntgabe des Verbots fanden in Freiburg polizeiliche Razzien in einem Autonomen Zentrum und bei mehreren Personen statt. Ihre Klage gegen das Verbot wird vom 15. bis 17. Januar 2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt. nis
Was werfen Ihnen die Ermittlungsbehörden vor?
Antwort: Das Bundesinnenministerium ist der Meinung, dass wir verantwortlich wären für den Betrieb der Medienplattform »linksunten.indymedia.org«. Das geht aus der Verbotsverfügung hervor, mit der das Ministerium diese Webseite abschalten wollte. Ob es strafrechtliche Vorwürfe gegen uns gibt, wissen wir noch nicht. Jedoch ist aufgrund einer parlamentarischen Anfrage im baden-württembergischen Landtag bekannt, dass es in diesem Zusammenhang ein laufendes Verfahren der Staatsanwaltschaft Karlsruhe nach Paragraf 129 gibt, also wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Die Landesregierung hat aber nicht mitgeteilt, gegen welche Gruppe, geschweige denn gegen welche Personen und wegen welchen konkreten Vorwürfen ermittelt wird.
Wie kommt das Innenministerium ausgerechnet auf Sie?
Soweit wir das überblicken, kommen fast alle Informationen von Geheimdiensten. Zentral sind drei Spitzelberichte, die aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz stammen. Daraus hat der Verfassungsschutz Baden-Württemberg Behördenzeugnisse über die Betroffenen angefertigt, worin diese Behauptung einfach aufgestellt wird. Außerdem wurden noch Kommentare, die laut Verfassungsschutz einige Freiburger Linke auf »Indymedia linksunten« veröffentlicht haben, als Begründung für die Razzien herangezogen. In diesen Kommentaren wurden Personen als Moderatorinnen und Moderatoren von »linksunten« denunziert.
Interessanterweise wird uns nicht vorgeworfen, dass wir Artikel selbst geschrieben haben, sondern es wird lediglich die bloße Behauptung aufgestellt, dass wir die technischen Betreiber*innen oder Moderator*innen der Plattform gewesen seien. In der Verbotsverfügung werden Artikel zitiert, die auf »Indymedia linksunten« erschienen sind und in den Kommentarspalten sehr kritisch rezipiert wurden. Den Moderator*innen wird unterstellt, sich diese Artikel inhaltlich angeeignet zu haben, nicht aber die inhaltlich gegenteiligen Kommentare und Beiträge.
Das wäre ja so ähnlich, als würden mir als nd-Redakteur Meinungsartikel anderer Autor*innen inhaltlich zugeschrieben, die im »neuen deutschland« erschienen sind.
Wobei es einen Unterschied zwischen Redaktion und Moderation gibt. Eine Redaktion bewertet Artikel inhaltlich und trifft auch auf Grundlage der politischen Linie des Blatts Entscheidungen, welche Artikel abgedruckt oder aufgenommen werden, welche nicht, und wo sie platziert werden. Eine Moderation hingegen hat feste, transparente Moderationskriterien und ist eine Art Verwalterin von Inhalten. Es werden zwar Artikel zensiert und auch gelöscht, allerdings nicht aufgrund von politischen Animositäten oder unterschiedlichen Meinungen, sondern weil sie gegen die Moderationskriterien verstoßen haben. Bei »linksunten« war beispielsweise in den Kriterien verankert, dass kein Sexismus, kein Rassismus und kein Faschismus geduldet wird.
Letztlich bleibt die Frage, inwieweit angebliche Moderator*innen oder technische Betreiber*innen überhaupt für die Inhalte verantwortlich gemacht werden können.
Wann haben Sie erfahren, dass in der Sache gegen Sie ermittelt wird?
Am Freitag, den 25. August 2017, um 5.18 Uhr in Form von zehn Bullen, die morgens bei mir geklingelt, mir den Verbotstext in die Hand gedrückt und dann mit den Durchsuchungen begonnen haben.
Wie liefen die Hausdurchsuchungen ab?
Insgesamt waren 250 Bullen in Freiburg beteiligt. In jeder der Wohnungen waren neben normalen LKA-Bullen zusätzlich noch zwei Technikspezialist*innen, die dafür zuständig waren, IT-Gegenstände zu finden und diese blitzschnell auszuwerten. Aber auch der Verfassungsschutz war laut Akten, die wir später einsehen konnten, vor Ort und hat Hand in Hand mit der Polizei gearbeitet – ein eklatanter Verstoß gegen das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten, das es in Deutschland aufgrund der Erfahrungen mit dem Reichssicherheitshauptamt gibt.
Wie geht es einem, wenn man von der Polizei geweckt wird?
Natürlich ist es eine belastende Erfahrung, wenn morgens um halb sechs auf einmal Leute in der eigenen Wohnung stehen, die man da nicht haben möchte. Und genau das ist natürlich auch so gewollt. Eine psychologische Komponente spielt da mit hinein, der Versuch der Einschüchterung. Aber die Bullen haben weder geschrien noch Waffen gezogen noch Leute gefesselt. Es gab also sicherlich krassere Durchsuchungen als die bei uns.
Was ich ziemlich krass fand war, dass sie die KTS durchsucht haben. Die KTS ist das autonome Zentrum in Freiburg. Die Begründung dafür ist vollkommen haarsträubend. Sie sagen, einer von uns wäre in Wirklichkeit der wahre Vorstand der KTS und nicht etwa der ins Vereinsregister eingetragene Vorstand des Trägervereins. Das versuchen sie unter anderem mit einem abgefangenen Telefonat eines Beschuldigten zu belegen, der bei einem Telefonanbieter angerufen hat, um einen neuen Router für die KTS zu bestellen. Durch diese »Nähe« wird dann konstruiert, die KTS sei das Vereinsheim von »Indymedia linksunten«.
Anders als bei uns in den Wohnungen haben sie dort wirklich gewütet. In der KTS waren alle Türen kaputt, die Tresore aus den Wänden gerissen und aufgebrochen, alles an Technik haben sie rausgeschleppt, alles Bargeld gestohlen – und die Kaffeekassen.
Die Kaffeekassen?
Mich haben die Tresore mehr schockiert als die Kaffeekassen. Sie haben viel Geld gestohlen, was das Haus bis heute nicht wiederbekommen hat.
Die haben auch bei uns privat Bargeld beschlagnahmt, wenn sie größere Summen gefunden haben. Einer hatte Geld angespart, um einen Führerschein zu machen. Das ist jetzt weg. Kommt vielleicht nie wieder. Es soll angeblich Vereinsvermögen sein. Dazu kommen die Rechner, die viel wert waren, die sie bei jedem von uns mitgenommen haben, und die Handys. Das ist schon ein krasser Eingriff.
Warum war verhältnismäßig viel Polizei in der Stadt?
Es war offensichtlich nicht so, dass sie Angst vor körperlichen Angriffen durch uns hatten, das hat man gemerkt. Trotzdem haben sie bei der Durchsuchung von einem Appartement die komplette Straße mit Bullenautos zugeparkt und insgesamt rund 50 Beamte rund um das Haus abgestellt. Das war eine mediale Inszenierung, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das deutet darauf hin, dass es bei dem Verbot nicht in erster Linie darum ging, Beweise zu finden, sondern ein mediales Ereignis im Vorfeld der Bundestagswahl zu schaffen, die einen Monat später stattfand. So konnten sie sich als handlungsmächtiger Staat präsentieren und den AfD-Wählern zeigen, auch die CDU kann gegen Links durchgreifen und tut es auch.
Das Ganze fand zudem kurz nach dem G20-Gipfel in Hamburg statt, als die Politik sich sehr starker öffentlicher Kritik ausgesetzt sah und beweisen wollte, dass sie gegen vermeintlich linksextremistische Strukturen durchgreift.
Aber zu ihrer Inszenierung gehörte nicht nur die große Zahl an Bullen an diesem Morgen. Über das ganze Wochenende war die Stadt an jeder Ecke mit Bullen besetzt. Überall standen Dreiergrüppchen, es war regelmäßig ein Helikopter in der Luft, und wir hatten das Gefühl, dass wir ganz bewusst so observiert wurden, dass wir es mitkriegen sollten. Wenn ich zur Arbeit gefahren bin, war zufällig immer ein Pärchen Mitte 30, manchmal mit großer Spiegelreflexkamera, dabei, die zufällig mit mir an der Station eingestiegen und bei meiner Arbeitsstelle ausgestiegen sind. Nach einer Woche war dann die offene Observation zu Ende.
Inzwischen haben Sie Akteneinsicht. Hat Sie etwas besonders überrascht?
Was ziemlich schnell klar war ist, dass es irgendwo einen Informanten oder eine Informantin gegeben haben musste. Von drei öffentlichen »Indymedia«-Treffen, die alle schon Jahre zurückliegen, gibt es Spitzelberichte in den Akten. Viele Leute waren natürlich daran interessiert herauszufinden, wer denn die Person ist, die diese Berichte geschrieben hat. Und das haben die Leute auch schnell herausgefunden. So wurde ein Informant oder Mitarbeiter des Bundesverfassungsschutzes enttarnt. Es ist ein älterer Typ namens Reinhold K., der in Köln-Nippes lebt.
Wir und andere Leute haben uns ein bisschen umgehört. Das Spannende an diesem Typen ist, dass er nicht in der radikalen Linken in Köln unterwegs ist, aber schon seit den 1980er Jahren in linken Technikkreisen. Er war fast von Anfang an beim CL-Netz mit dabei. Das ist ein Informationsaustauschportal gewesen, bevor es das Internet gab. Er soll auch auf anderen »Indymedia«-Treffen in den 2000er Jahren gewesen sein, bevor »linksunten« überhaupt gegründet wurde. Wir wissen nicht, seit wann er dem Bundesamt für Verfassungsschutz berichtet. Vielleicht erst seit 2008, aber es ist auch gut möglich, dass er schon seit den 1980ern dem Geheimdienst über die linke Technikszene berichtet hat.
Geben die Akten noch andere Details preis?
Die Akten waren erstaunlicherweise ziemlich dünn. Wir waren sehr überrascht, wie wenig Informationen darin sind und dass die Informationen entweder von Geheimdiensten kamen oder aus öffentlichen Quellen. Die Zuordnung zu uns als Personen ist teils ziemlich fragwürdig, teils absolut unverständlich.
Die Akten sehen aus wie mit heißer Nadel gestrickt. So als ob zuerst die politische Entscheidung gefällt wurde, »linksunten« zu verbieten, und dann schnell versucht wurde, das argumentativ zu unterfüttern, indem sie Akten, die offensichtlich schon mehrere Jahre existierten, so hergerichtet haben, um ein Vereinsverbot durchsetzen zu können. Es gab also nicht, wie sonst üblich, irgendeine Straftat, aufgrund der sie ermittelt haben und nach gründlicher Prüfung dann zu dem Schluss kamen, das muss verboten werden, sondern umgekehrt.
Wissen Sie etwas über den Verbleib der beschlagnahmten Gegenstände?
Also die Technik, die verschlüsselt war, ist unseres Wissens nach weiterhin verschlüsselt. Aber nicht alle Sachen waren verschlüsselt. Und es gab auch handschriftliche Aufzeichnungen und Kalender. Für die Zukunft muss man sich fragen, ob es sinnvoll ist, in Zeiten wie den unseren noch handschriftliche Aufzeichnungen zu machen.
Interessant ist noch, dass die Sachen, die sie bei uns beschlagnahmt haben, also alles, was ausgewertet werden kann, dem Bundesamt für Verfassungsschutz gegeben wird. Das ist ungewöhnlich, dass das LKA eine Razzia macht, Sachen beschlagnahmt und diese direkt dem Bundesamt für Verfassungsschutz bringt. Und dann stand da interessanterweise auch noch, wer diese Auswertung macht. Zwei Namen wurden genannt, einer der beiden ist Harald B., der hat sogar einen eigenen Wikipedia-Artikel. Bisher ist öffentlich nicht bekannt, dass der Kerl für den Verfassungsschutz arbeitet. Er gilt als CDU-naher Politikwissenschaftler und Extremismustheoretiker. Er schreibt Bücher über »Linksextreme« und »Rechtsextreme« und betont, wie böse die Linken wären. Ein Klischee-Verfassungsschützer wie aus dem Bilderbuch. Und bei dem auf dem Schreibtisch liegen jetzt unsere Sachen.
Welche juristischen Schritte haben Sie eingeleitet?
Wir haben sehr kompetente Anwältinnen und Anwälte, die mehrere Klagen führen. Sie haben dieser Tage Klage dagegen erhoben, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die beschlagnahmten Unterlagen und die bisher nicht entschlüsselten Rechner auswertet, weil das einen Verstoß gegen das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten darstellt. Wir müssen uns außerdem gegen jede Entscheidung wehren, zum Beispiel gegen die Beschlagnahmung, sonst bleibt alles Eigentum des Staates. Jeder und jede Betroffene muss also gegen jede einzelne staatliche Maßnahme einzeln klagen. Und es gab relativ viele Maßnahmen, neben den Hausdurchsuchungen beispielsweise die Überwachung unserer Post in den Wochen danach, unter anderem wurde sogar unsere Anwaltspost geöffnet und gelesen.
Die wichtigste ist natürlich die Klage gegen die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums, mit dem Ziel, dass das Verbot von »linksunten« aufgehoben wird. Sie läuft auf höchster Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die inhaltliche Argumentation unserer Anwält*innen ist, dass es sich bei »Indymedia linksunten« um ein Pressemedium gehandelt hat und das Bundesinnenministerium unzulässigerweise über das Vereinsrecht versucht, eine Zensur eines Pressemediums durchzusetzen.
Seit kurzem stehen die Termine für die mündliche Verhandlung fest. Sie wurden für den 15., 16. und 17. Januar 2019 jeweils ganztägig anberaumt. Das ist für das Bundesverwaltungsgericht äußerst ungewöhnlich. In der Regel verhandelt dieses Gericht in einem Verfahren nur wenige Stunden. Das heißt vermutlich, dass in unserem Fall tatsächlich auf die inhaltliche Argumentation unserer Anwält*innen eingegangen werden wird. Das ist erstmal ein gutes Zeichen.
Welche Einschätzung haben Sie, wie das Ganze juristisch ausgehen wird?
Ich habe kein Vertrauen in den Rechtsstaat. Aber vielleicht können wir über dieses Verfahren erreichen, dass diese krasse Zensurmaßnahme noch mehr Öffentlichkeit erfährt.
Normalerweise wäre der juristische Weg überhaupt nicht unserer. Aber es ist ein Präzedenzfall und deshalb hat die Sache zentrale Bedeutung. Wenn die damit durchkommen, dass schon eine Medien- und Diskussionsplattform von Leuten, die nicht mal Straftaten begangen haben sollen, verboten wird, dann können die in Zukunft alles verbieten. Morgen ist vielleicht der Verein »Rote Hilfe« dran. Deswegen ist es tatsächlich wichtig, dagegen juristisch vorzugehen.
»Indymedia linksunten« ist vor etwa zehn Jahren gestartet. Haben Sie damals davon mitbekommen?
Klar, wir sind ja politisch interessierte Linke.
Auch in Berlin und beim »neuen deutschland« wurde das Projekt interessiert verfolgt. Da gab es 800 Kilometer von uns entfernt Kolleginnen und Kollegen, die versuchten, ein neues linkes Informationsmedium aufbauen. Und das, so haben wir berichtet, sehr erfolgreich. Es erfreute sich schnell großer Beliebtheit. Sie waren örtlich viel näher dran, was ist Ihnen aus dieser Zeit noch in Erinnerung?
Ich meine mich zu erinnern, dass das zeitlich zusammenfiel mit dem NATO-Gipfel in Strasbourg und dass diese neue Medienplattform sehr stark für die Mobilisierung und die Berichterstattung gegen diesen Gipfel genutzt wurde. Als wir uns in letzter Zeit ein bisschen mit der Geschichte von linksradikalen Technikkollektiven und der Geschichte von »Indymedia« beschäftigt haben, ist uns aufgefallen, dass die allermeisten dieser Projekte wie »Riseup«, »Immerda« oder »Autistici« aus Gipfelprotesten hervorgegangen sind.
Was ich beobachtet habe: Am Anfang war »Indymedia linksunten« ein Medium, das fast ausschließlich von Leuten aus der Bewegung genutzt wurde, die dort sowohl Texte gelesen als auch ihre eigenen Texte veröffentlicht haben. Aber das hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. »Linksunten« wurde immer mehr zu einer anerkannten Quelle vieler Journalist*innen bürgerlicher Medien, wobei interessanterweise diese Quelle selten genannt wurde.
Mein Eindruck ist, wenn bestimmte Informationen keinen Ort finden, wo sie publiziert werden können, dann gründet sich ein Medium. Aus so einem Mangel ist Ende der 1970er die »taz« entstanden. Und vor zehn Jahren gründete sich »Indymedia linksunten«, auch weil »Indymedia Deutschland« manche Texte und Erklärungen nicht veröffentlicht hat ...
... und auch nie eine Diskussionsplattform sein wollte, was »Indymedia linksunten« explizit war. Auf »linksunten« konnte ein Meinungsaustausch stattfinden, und es war tatsächlich ein strömungsübergreifendes Medium, das einen Kommentar ebenso veröffentlichte wie einen gut recherchierten Fotoartikel. Es verfolgte damit einen radikal anderen Ansatz als die allermeisten Medien in Deutschland.
Erklärt das den Erfolg?
Ganz viele verschiedene Aspekte haben dazu beigetragen, dass »linksunten« so erfolgreich wurde. Das Gründungsmoment von »Indymedia« ist eine Art Empörung darüber, dass die eigenen Inhalte in den Mainstream-Medien nicht oder nur falsch und verzerrt vorkommen. Daraus ist der Slogan entstanden »Don‘t hate the media, be the media«.
Ich glaube, »linksunten« wurde in der alltäglichen Praxis so viel genutzt, weil es wirklich sehr viele Leute an sehr vielen unterschiedlichen Orten als ihr Medium verstanden haben. Es war für sie nicht irgendeine abstrakte Plattform, sondern ein Ort, wo sie ihre Botschaft einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und sich selbst informieren konnten.
Darüber hinaus war »Indymedia linksunten« innerhalb der deutschen Presselandschaft ein sehr mutiges Medium. Es wurden auch Inhalte veröffentlicht, die jeder Redaktion allein aufgrund der rigiden deutschen Gesetze für einen Abdruck zu heikel gewesen wären. Auch beim Quellenschutz, der in Deutschland bei vielen herkömmlichen traditionellen Medien nur dürftig gewahrt ist, war »Indymedia linksunten« sehr radikal und sehr konsequent – der Quellenschutz hatte oberste Priorität, es wurde meines Wissens nie eine Quelle enttarnt.
Wie konnte »Indymedia linksunten« das gewährleisten?
Das lag auch daran, dass »linksunten« die Möglichkeit bot, anonym zu veröffentlichen. Gerade für Leute, die heiklere Artikel beispielsweise über investigative Recherchen innerhalb der AfD geschrieben haben, ist das ein ganz zentraler Aspekt. Die Leute wussten, ich muss keinen Autorennamen angeben, meine IP-Adresse wird nicht gespeichert, niemand kann mich identifizieren.
Damit war es gleichzeitig ein Medium, das staatliche Stellen nicht kontrollieren konnten, wobei die Mitarbeiter*innen der Sicherheitsbehörden zu den eifrigsten Leser*innen gehörten. Entsprechend deutlich spürbar war die Empörung über diesen Kontrollverlust. Es wurde immer von einem »rechtsfreien Raum« geredet. Hier wird die Angst vor der Freiheit sichtbar, die ein unkontrollierbarer Raum verspricht, wo Meinungen vertreten und diskutiert werden können.
Für den Erfolg spielt auch ein Nebenaspekt eine wichtige Rolle: Es gibt ja noch andere Formen von linksradikalen Medien, zum Beispiel Printerzeugnisse oder Radio. Aber dafür brauchst du materielle Ressourcen, spezielles Wissen und Kontakte. So können diese Medien nicht von allen gemacht werden. »Linksunten« dagegen war keinen ökonomischen Zwängen unterworfen, es mussten keine schwarzen Zahlen geschrieben werden. »Linksunten« war ein unkommerzielles und ein antikapitalistisches Medium. Niemand hat Geld damit verdient, niemand hatte jemals die Absicht, das zu tun. Und das war nur möglich, soweit ich weiß, weil ein großes Netzwerk an solidarischer Unterstützung vorhanden war.
Die »taz« hat in den 1980ern und 1990ern Bekennerschreiben der Roten Armee Fraktion veröffentlicht. Und da ging es, um mal Begriffe aus dem Strafrecht zu benutzen, um Terrorismus und Mord. Die »taz« wurde nicht verboten. 20, 30 Jahre später ermöglicht eine linke Medienplattform, dass kontrovers über das Für und Wider beispielsweise von Kleingruppenmilitanz, von Anschlägen auf Kabelschächte diskutiert werden kann – und wird verboten. Wie steht das im Verhältnis?
Die »taz« hat auch mal Geld für Waffen für El Salvador gesammelt und dafür geworben. Damals gab es den Paragrafen 129b (Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung) noch nicht. Das zeigt: Das politische Klima hat sich gewandelt, die Strafgesetze haben sich verschärft, und heutzutage werden auch andere juristische Mittel angewandt: Mit »Indymedia linksunten« wurde zum ersten Mal ein linkes Medium nach dem Vereinsrecht verboten.
Aber Zensur gegen linksradikale Medien ist nichts Neues in Deutschland. Wir haben uns mit der Geschichte der »radikal« und der Repression gegen diese linksradikale Zeitschrift seit Ende der 1970er beschäftigt. Wenn man schaut, wie unglaublich viele Razzien es gegen diese Zeitschrift gab, wie unglaublich viele Gerichtsprozesse, dann verblasst die Repression gegen »linksunten«.
Und was in Bayern jetzt Realität werden soll, macht es zukünftig noch viel leichter, repressive Maßnahmen durchzuführen. Zudem haben wir heute zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine faschistische Partei in fast allen Parlamenten. Das Verbot von »Indymedia linksunten« kann man nicht ohne den Aufstieg der AfD verstehen.
Warum?
»Indymedia linksunten« war eine Plattform, auf der Recherchen über die AfD seit ihrer Gründungsphase veröffentlicht wurden. Diese haben bundesweit auch in der Presse viel Aufmerksamkeit erhalten. Entsprechend war die Plattform der AfD ein riesiger Dorn im Auge. Die AfD hat vor allem aus Eigeninteresse immer wieder »Indymedia linksunten« zum Beispiel durch Anfragen in Landesparlamenten thematisiert und gefordert, dass die Webseite abgeschaltet wird.
Dass diese Seite ihnen so zugesetzt hat, war spürbar. Während viele Medien nur über die höchsten Funktionäre berichteten, schauten Autor*innen von »linksunten« ganz genau hin und analysierten die AfD bis in den hinterletzten Kleingartenverein und enttarnten ihre Mitglieder. So ist ein Archiv an Informationen entstanden, das den AfDlern geschadet hat. Ein Arbeitgeber oder Vermieter konnte über eine einfache Google-Suche erfahren, dass die Person, die er da einstellen oder an die er vermieten möchte, beispielsweise für die rassistische Hetze gegen das Flüchtlingswohnheim um die Ecke verantwortlich ist. Diese Funktion fällt jetzt weg. Die AfD hat jubiliert und sich artig bei der CDU bedankt.
Der Aufstieg der AfD und – das darf man nicht vergessen – die Taten des faschistischen Mobs in den Jahren 2015 bis 2017, als fast jedes Wochenende Flüchtlingsheime brannten, hatten dabei auch indirekt einen Einfluss. In diesem gesellschaftlichen Klima haben sich die bürgerlichen Parteien CDU und SPD, aber auch die linkeren Parteien immer weiter in die Ecke drängen lassen. Und sie versuchen, sich gegenüber diesen neu-rechten Bestrebungen, diesem rechten Populismus und auch dem immer aggressiver und dreister werdenden Faschismus auf der Straße mit so einem Verbot zu profilieren, weil sie glauben, so die Wählerschaft der AfD für sich gewinnen zu können.
Da sieht man, wie weit her es mit dem Kampf gegen Rechts ist, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse so weit gekippt sind, dass Faschismus als Rechtspopulismus verbrämt wird und die AfD als anerkannter Diskussionspartner plötzlich von den anderen Parteien nicht bekämpft, sondern akzeptiert wird.
Haben Sie mitbekommen, ob seit dem Verbot von »linksunten« vergleichbare Projekte entstanden sind, die diese Lücke in der linken Medienlandschaft wieder füllen könnten?
Meines Wissens nach gab und gibt es keine vergleichbaren Projekte. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass bald welche entstehen würden. Die Sichtweise, dass es nur um eine Website ging und wenn die weg ist, dann kommt eben eine andere, wurde leider immer wieder kolportiert. Aber so ist es nicht. »Linksunten« war mehr als eine Website, da hing auch Reputation, Erfahrung und technisches Know-How dran, was man nicht eben mal ersetzen kann. Vor allem aber braucht‘s dafür eine Dynamik, und die Zeiten sind heute andere als noch vor zehn Jahren. Aber das wird sicherlich nicht das Ende von linken Medienprojekten sein, auch wenn ich kurzfristig keinen Ersatz sehe.
Aber ich hoffe sehr, dass sich Leute finden, die sich organisieren und etwas Neues aufbauen. Am besten mehrere unterschiedliche Gruppierungen, die gleich zehn verschiedene Plattformen aufmachen. Denn wenn es viele solcher Plattformen gibt, würde das zukünftig auch die Zensur erschweren.
Mit diesem Ansatz der Dezentralisierung wurde »Indymedia linksunten« gegründet. In den ersten Statements der Organisator*innen wird dazu aufgerufen, weitere dezentrale Plattformen zu bilden. Leider ist das nie passiert und so wurde der Erfolg dieser Plattform im gesamten deutschsprachigen Raum auch zu ihrem Problem. Daraus sollten wir lernen, dass es nicht einen zentralen Punkt geben sollte, einen Single Point of Failure, der dann durch Zensur relativ leicht abschaltbar ist. Es braucht Dezentralisierung, und aus dieser Idee rührte ja auch der Name her. »Linksunten« war geografisch gemeint, stand für den Südwesten von Deutschland, aber er war auch an das Motto der Zapatistas angelehnt: »Unten und links, da, wo das Herz sitzt«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.