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- Vertrag zur Nichtverbreitung von Kernwaffen
Endet die Abrüstungshoffnung?
Vor 50 Jahren wurde der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen unterzeichnet. Ob er Bestand hat, darüber herrschen Zweifel.
Auf den ersten Blick scheint Präsident Trump mit dem Singapur-Übereinkommen sein Ziel erreicht zu haben. Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un stimmte einer Denuklearisierung zu. Allerdings hat er die gesamte koreanische Halbinsel im Auge, auch die USA werden Federn lassen müssen, im Hinblick auf ihre dort stationierten Streitkräfte und ihren »nuklearen Schirm« über Südkorea. Mit einem »Deal« wird es nicht getan sein. Zu Recht forderten die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Anti-Atomwaffen-Organisationen ICAN und IPPNW, dass ein nuklearer Abrüstungsplan für die Halbinsel auf dem Völkerrecht basieren müsse. Schließlich solle Nordkorea wieder dem Kernwaffensperrvertrag beitreten, den es 2003 verließ.
Der Vertrag, dessen Unterzeichnung am 1. Juli 1968 begann, gilt als Grundstein der nuklearen Rüstungsbegrenzung und Abrüstung. Er hat zum Ziel, die weitere Verbreitung von Kernwaffen zu verhindern, aber auch die nukleare Abrüstung und die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern. Für die Besitzerstaaten gibt es jedoch - im Unterschied zu den Konventionen über das Verbot der biologischen beziehungsweise chemischen Waffen - keine feste Abrüstungsverpflichtung mit klaren Zeitfristen. Am 5. März 1970 trat der Vertrag in Kraft. Heute hat er 191 Teilnehmer, darunter die Kernwaffenmächte USA, Russland, Großbritannien, China und Frankreich. Neben Nordkorea gehören ihm Indien, Pakistan und Israel nicht an, die ebenfalls Atomwaffen besitzen. Bereits Ende der 1950er Jahre hatte in der UNO die Diskussion über die Weiterverbreitungsgefahr begonnen. Einen wesentlichen Anstoß dafür gaben Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, solche Waffen zu erwerben. Obwohl sie sich bei der Aufnahme in die Westeuropäische Union 1954 verpflichtet hatte, »in ihrem Gebiet« keine ABC-Waffen herzustellen, hielt sich die Adenauer-Regierung insgeheim die Option auf Atomwaffen offen.
Dr. Hubert Thielicke (Jahrgang 1949) hat Volkswirtschaft in Halle/Saale und Außenpolitik in Moskau studiert. Er war im Außenministerium der DDR tätig, unter anderem als stellvertretender Leiter der Delegation auf der Genfer Abrüstungskonferenz und Leiter des Sektors Abrüstung und Nichtverbreitung in der UNO-Abteilung. Heute arbeitet er als freier wissenschaftlicher Autor und Journalist.
Neue Dringlichkeit erlangte das Problem mit den ersten Kernwaffentests Frankreichs (1960) und der Volksrepublik China (1964) sowie den Plänen der NATO für gemeinsame Kernwaffen - die sogenannte Multilaterale Atomstreitmacht, die insbesondere von den USA und der BRD betrieben wurde. Übrigens kein Schnee von gestern, denn »seit Donald Trump Amerika regiert, denken Strategen darüber nach, ob Europa einen eigenen nuklearen Schutzschirm aufbauen sollte«, wie am 17. Juni in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« zu lesen war. Damals scheiterte das Vorhaben angesichts von Differenzen im westlichen Militärpakt. In den 1965 begonnenen Verhandlungen im Genfer Abrüstungsausschuss lehnte die Sowjetunion den Vorschlag der USA ab, solche »nuklearen Arrangements« in den Nichtverbreitungsvertrag aufzunehmen, der schließlich am 12. Juni 1968 von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde.
Grundlegende Vertragsbestimmungen
Die Kernwaffen besitzenden Vertragsstaaten verpflichten sich, diese Waffen nicht weiterzugeben, auch nicht die Kontrolle darüber; die Nichtbesitzerstaaten verzichten auf deren Erwerb. Umstritten ist die in der NATO bestehende »nukleare Teilhabe«, d.h. die Lagerung von US-Atombomben in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei, die sie im Kriegsfall mit ihren Flugzeugen einsetzen können, wie auch die in der Allianz bestehende Nukleare Planungsgruppe. Viele Staaten betrachten das als Verstoß gegen grundlegende Vertragsbestimmungen.
Die Nichtkernwaffenstaaten schließen mit der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) Kontrollabkommen, um zu gewährleisten, dass nukleares Material aus der friedlichen Nutzung nicht für Kernwaffenzwecke abgezweigt wird. Weitergehende Maßnahmen sehen die Artikel VI und VII vor, die vor allem auf Forderungen nichtpaktgebundener Staaten zurückgehen. Ersterer beinhaltet die Verpflichtung zu Verhandlungen über »effektive Maßnahmen zur Einstellung des nuklearen Wettrüstens zu einem frühen Zeitpunkt, zur nuklearen Abrüstung und über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer Kontrolle«. Während es dazu bisher nur in einer Reihe von Einzelschritten gekommen ist, haben nichtpaktgebundene Staaten im Hinblick auf Artikel VII - den Abschluss regionaler Verträge zur Freihaltung ihrer Territorien von Kernwaffen - Abkommen über kernwaffenfreie Zonen in Lateinamerika und der Karibik, dem Südpazifik, Südostasien, Afrika und Zentralasien vereinbart.
Überprüfungskonferenzen - Foren der Kooperation und des Streits
Der Vertrag sieht Konferenzen zur Überprüfung seiner Wirkungsweise im Fünf-Jahres-Rhythmus vor. Für die Mehrheit der Staaten eine einzigartige Möglichkeit, um die Kernwaffenmächte an ihre Abrüstungsverpflichtungen zu erinnern. Die Konferenzen spiegeln damit auch die Lage auf diesem Gebiet wider. Eine wesentliche Bedingung für die unbegrenzte Verlängerung des Vertrages durch die Überprüfungskonferenz von 1995 war eine Resolution über eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen Osten und ein Dokument über Grundfragen der nuklearen Abrüstung. Einen entsprechenden Aktionsplan nahm die Überprüfungskonferenz 2000 an. Die negative Haltung der US-Administration unter George W. Bush führte schließlich dazu, dass die Folgekonferenz 2005 im Streit und ohne substanzielles Schlussdokument endete. Auf Forderung arabischer Staaten sollte 2012 eine Konferenz über eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen Osten stattfinden. Mit Rücksicht auf die israelische Position verhinderten das die USA.
Gewisse Erfolge kann das Vertragsregime durchaus verzeichnen. Rechneten vor 50 Jahren Experten noch damit, dass bis zu 30 Staaten Nuklearwaffen erwerben könnten, so taten das (bisher) »nur« Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Südafrika vernichtete sein kleines Atomwaffenarsenal und schloss sich 1991 dem Vertrag an. Nach dem Zerfall der UdSSR verzichteten Belarus, Kasachstan und die Ukraine auf die auf ihrem Territorium lagernden sowjetischen Kernwaffen und wurden Vertragsmitglieder.
In zwei Jahren findet die nächste Überprüfungskonferenz statt. Fortschritte bei der Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel könnten die Konferenzatmosphäre verbessern. Bisherige Erfahrungen sind jedoch wenig ermutigend. Seit den 1990er Jahren unternommene Versuche endeten immer wieder in der Sackgasse, mal von der einen Seite, mal von der anderen verursacht. Das Hauptproblem sind jedoch die Arsenale aller Atomwaffenstaaten, die ausreichen, um die Menschheit mehrmals zu vernichten. Die Zahl der nuklearen Sprengköpfe hat sich in jüngster Zeit zwar nach SIPRI-Angaben auf 14 465 verringert, insbesondere infolge des 2010 von den USA und Russland unterzeichneten Neuen START-Vertrages. Allerdings ist die Trump-Administration bisher nicht bereit, den 2021 auslaufenden Vertrag zu verlängern, wie vom russischen Präsidenten Putin vorgeschlagen. Mehr noch, acht der neun Kernwaffenstaaten setzen auf die Modernisierung ihrer Atomstreitkräfte. Die USA planen nach Expertenangaben in den nächsten 20 Jahren allein eine Billion Dollar dafür ein. In der im Januar verkündeten Nuclear Posture Review ist die Rede von kleineren, »einsetzbareren« nuklearen Optionen. Parallel dazu läuft der Aufbau ihres weltweiten Raketenabwehrsystems, was wiederum Russland veranlasst, sein strategisches Arsenal mit völlig neuen Waffensystemen zu bestücken, vorgestellt von Präsident Putin am 1. März. Zugleich lehnen die Kernwaffenstaaten den 2017 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Vertrag über das Atomwaffenverbot ab, den bisher 59 Staaten unterzeichneten, von denen bereits zehn ratifizierten.
Scheitert das Iran-Abkommen, droht regionales Atomwettrüsten
Besonders akut ist die Lage beim Nuklearabkommen mit Iran. Vor allem westliche Staaten hatten Iran, immerhin Mitunterzeichner des Nichtverbreitungsvertrages, verdächtigt, ein geheimes Atomwaffenprogramm zu betreiben. Die nach jahrelangen Verhandlungen 2015 von den USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit Iran im Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action - JCPOA) vereinbarten Maßnahmen sind international einzigartig und gehen weit über den Kernwaffensperrvertrag hinaus. Der Plan sieht bis 2030 strikte Kontrollen und Einschränkungen des iranischen Atomenergieprogramms vor, besonders bei der Urananreicherung.
Die für die Überwachung zuständige IAEA bestätigte, dass sich das Land an die Vereinbarungen hält. Trotzdem lehnte Trump den JCPOA als »schlechtesten Deal«, den die USA je machten, ab und verkündete am 8. Mai den Ausstieg aus dem Übereinkommen, das der Stärkung des Nichtverbreitungsregimes dient. In seiner Rede vor der Heritage Foundation am 21. Mai machte Außenminister Pompeo deutlich, worum es den USA wirklich geht - um einen Regimewechsel in Iran. Die harten Sanktionen gegen das Land werden fortgesetzt, auch dort tätigen Unternehmen selbst engster US-Verbündeter drohen solche. Neben China und Russland zeigten sich bisher Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die EU gewillt, am JCPOA festzuhalten. Gelingt es nicht, das Übereinkommen ohne die USA zu erhalten, könnte Iran seine 2015 eingestellten Aktivitäten wieder aufnehmen, was einen regionalen nuklearen Wettlauf befördern würde. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, die Türkei und Ägypten sind dabei, ihre Kernenergie auszubauen. Hinzu kommt, dass die USA auf der diesjährigen Tagung des Vorbereitungskomitees für die Überprüfungskonferenz 2020 den Konsens von 1995 über eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen Osten aufkündigten.
Die Aussichten für die nächste Überprüfungskonferenz sind nicht gut. Als Mitglied des UN-Sicherheitsrates 2019/2020 steht auch Deutschland vor der Herausforderung, alles für die Erhaltung des Vertragswerks zu tun. Das entspräche nicht zuletzt auch der Erklärung beider deutscher Staaten auf der Überprüfungskonferenz von 1990: Sie bekräftigten die Verpflichtung des vereinten Deutschlands, auf atomare, biologische und chemische Waffen zu verzichten und den Nichtverbreitungsvertrag zu erhalten.
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