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Die Dimensionen des Kosmos
Für die Bestimmung von Distanzen im Weltall steht heute ein ganzes Arsenal von Methoden zur Verfügung.
Astronomische Zahlen sind sprichwörtlich. Sogar Finanzexperten benutzen diesen Begriff, etwa wenn sie besonders hohe Staatsschulden umschreiben wollen. Doch gemeint sind die Entfernungen, die uns von den Objekten im Kosmos trennen. Ohne sie zu kennen, können wir uns kein Bild vom räumlichen Aufbau des Universums machen. Und tatsächlich verfügten wir die längste Zeit in der Geschichte der Astronomie über keinerlei begründete Vorstellungen von den Dimensionen des Kosmos. In der Antike musste es schon als eine Glanzleistung gelten, dass Aristoteles die Planeten in der Reihenfolge ihres Abstands zutreffend einordnete, ohne allerdings die Entfernungen angeben zu können. Oder dass Aristarch von Samos im 3. Jahrhundert v. u. Z. aufgrund von geistreichen Messungen der Sonne zutreffend eine deutlich größere Entfernung zuschrieb als dem Mond. Die Fixsterne dachte man sich als an einer Kugelschale befestigt, die gleichsam die äußere Begrenzung der Welt darstellte.
Fast 2000 Jahre später hatte sich an diesem Bild nichts geändert, denn auch Kopernikus hielt die Fixsternsphäre noch für die in unbekannter Entfernung befindliche Hülle des Universums. Doch gerade seine Hypothese von einer um die Sonne bewegten Erde führte einen Umschwung herbei. Die Anhänger der neuen Lehre von der Mittelpunktstellung der Sonne wollten nämlich nun nachweisen, dass sich die Positionen der Fixsterne als Widerspiegelung der Erdbewegung mit Jahresperiode ändern. Doch das war leichter gewollt als getan. Die Entfernungen der Fixsterne sind nämlich so groß, dass die zu erwartenden Winkeländerungen, die sogenannten Parallaxen, entsprechend winzig ausfallen - so winzig, dass sie erst mit der fortgeschrittenen Technik des 19. Jahrhunderts tatsächlich festgestellt werden konnten. Dem deutschen Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel gelang dies (etwa gleichzeitig mit dem Deutsch-Russen Friedrich Georg Wilhelm Struve und dem Schotten Thomas Henderson) 1838 an der Sternwarte Königsberg (heute: Kaliningrad). Das Ergebnis war atemberaubend: Der von Bessel vermessene Stern befand sich rund elf Millionen Mal so weit von der Erde entfernt wie die Sonne! Das hatte sich niemand vorstellen können.
Damit war man nun messend in die Welt der Fixsterne vorgedrungen, und die einstige »Kugelschale« erwies sich als eine Illusion. Die Sterne befanden sich in ganz unterschiedlichen Entfernungen. Doch wie waren sie im Raum verteilt? Um das herauszufinden, hätte man die Entfernung jedes einzelnen Sterns bestimmen müssen. Dazu war die Methode der Parallaxenmessungen aber nicht geeignet. Denn die Winkel werden mit wachsenden Abständen der Sterne immer kleiner und ab etwa 300 Lichtjahren Distanz sind sie praktisch unmessbar. Heute allerdings können wir mit Hilfe der Raumsonde »Gaia« nach der klassischen Methode von Bessel bis in eine Entfernung von 10 000 Lichtjahren vordringen und die Verteilung von circa einer Milliarde Sterne direkt vermessen.
Dass wir vor rund 100 Jahren dennoch den großen Sprung in noch weitaus größere Tiefen des Raumes machen konnten, verdanken wir einer überraschenden und wegweisenden Entdeckung von Henrietta Svan Leavitt (siehe Spalte). Sie untersuchte zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Peru aus Sterne mit veränderlicher Helligkeit in der Großen und Kleinen Magellanschen Wolke, zwei Begleitsystemen unserer Galaxis. Dabei stellte sie für bestimmte Veränderliche in der Kleinen Magellanschen Wolke einen Zusammenhang zwischen der Lichtwechselperiode und der scheinbaren Helligkeit dieser Sterne fest. Je größer die Periode des Lichtwechsels, desto größer auch die scheinbare Helligkeit. Da sich aber all diese Sterne als Mitglieder der Wolke in etwa der gleichen Entfernung befinden, sollte dies auch für die tatsächlichen (absoluten) Helligkeiten der Sterne gelten. Das aber war der Schlüssel für eine neue Methode zur Entfernungsbestimmung. Findet man irgendwo einen veränderlichen Stern dieses Typs, so kann man praktisch aus seiner Lichtwechselperiode die absolute Helligkeit ablesen. Diese aber ist definiert als dessen Helligkeit in einer Einheitsentfernung. Folglich lässt sich aus der Differenz zwischen der absoluten und der scheinbaren Helligkeit seine Entfernung bestimmen.
Natürlich benötigt man zur Kalibrierung wenigstens von einigen solcher Sterne genaue Entfernungen aufgrund von Parallaxenmessungen. Das damit begründete Verfahren der sogenannten fotometrischen Parallaxenbestimmung reicht nun tief in kosmische Weiten hinaus. Statt nur bis 300 Lichtjahre, konnte man nun messend bis in zehn Millionen Lichtjahre vordringen. So bestimmte z.B. Edwin Hubble mit Hilfe dieser Methode 1923 die Entfernung des Andromeda-Nebels auf circa 980 000 Lichtjahre (moderner Wert: 2,5 Millionen LJ) und stieß damit das Tor in die Welt der Galaxien auf.
Nachdem man bald feststellte, dass es für verschiedene Typen von Veränderlichen unterschiedliche Perioden-Leuchtkraft-Beziehungen gibt, wurden aber noch weitere sogenannte Leuchtkraftkriterien entdeckt. Damit ist gemeint, dass man auch aus anderen Beobachtungsdaten auf die absoluten Helligkeiten der strahlenden Objekte schließen kann und sich deren Entfernungen folglich ebenfalls daraus bestimmen lassen. Als Beispiel seien nur die Spektren der Sterne erwähnt. Bestimmte Eigentümlichkeiten in den Spektren von Sternen haben einen klaren Bezug zur absoluten Helligkeit, wie z.B. die Intensität oder auch die Breite einzelner Absorptionslinien. Die Methode der spektroskopischen Parallaxen kann auf alle Sterne angewendet werden, die hell genug für eine detaillierte Analyse ihrer Spektren sind.
Je weiter wir in die Tiefen des Kosmos vordringen, umso schwieriger werden zuverlässige Entfernungsbestimmungen. So versagt die Methode der Veränderlichen-Parallaxen verständlicherweise, wenn wir ein fernes Sternsystem nicht mehr in Einzelsterne auflösen können. Dann helfen nur noch die hellsten Objekte des Universums, die wegen ihrer großen Leuchtkraft bis in extrem große Distanzen wahrgenommen werden können. Das sind die Supernovae - gewaltige Sternexplosionen, bei denen der explodierende Stern mehr Energie abstrahlt als das gesamte Sternsystem, zu dem er gehört. Besonders Supernovae des sogenannten Typs Ia (SNIa) gelten als Standardkerzen. Sie erreichen alle etwa dieselbe Maximalhelligkeit und zeigen einen gleichen Verlauf der Lichtkurven. So kennt man beim Auftauchen einer SNIa deren absolute Helligkeit und kann verlässliche Entfernungsbestimmungen vornehmen. Um diese Methode zu verbessern, studieren Theoretiker die Modelle solcher explodierender Sterne und die Vorgänge, die dabei ablaufen, während die beobachtenden Astronomen möglichst genaue Entfernungen auf unabhängigem Wege zu erlangen versuchen, um Vergleiche mit der Theorie zu ermöglichen.
Fazit: Wir können heute von gut abgesicherten Vorstellungen über den räumlichen Aufbau des Universums und der darin ablaufenden Prozesse ausgehen, nicht zuletzt dank ausgefeilter Methoden der Entfernungsbestimmungen. Die großen Unbekannten »Dunkle Materie« und »Dunkle Energie« bleiben uns freilich einstweilen erhalten.
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