»Du bist eine Gefangene, Jeanne«
Olivia Elkaim: »Modigliani, mon amour« über eine Frau, die zeitlebens im Schatten des berühmten Mannes bleibt
Ein Musenroman: wieder das Bild einer starken, kreativen, ewig im Schatten ihres berühmten Mannes - Maler, Komponist, Dichter - stehenden Frau, selbst Künstlerin, doch unerfüllt bleibend. Wieder geniale Kreative, verkrachte Existenzen, Armut, Alkohol, Drogen, Exzesse und Elend. Wieder Paris: Der Titel »Modigliani, mon amour« suggeriert es, und falls Worte nicht reichen, zeigt der Einband eine Frau mit rotem Hut vor dem Eiffelturm. Will ich das wirklich lesen?
Prinzipiell gefällt mir die Idee, die Geschichte aus weiblicher Perspektive zu erzählen. Elkaims Roman - der im französischen Original übrigens den Namen seiner Protagonistin trägt und Jeanne Hébuterne heißt, während der deutsche Verlag sie ganz konventionell hinter ihrem Ehemann versteckt - erweist sich mit seiner Saga vom Aufbegehren und Ausbrechen als ausgesprochen stark.
JH, die ihre Bilder nur mit ihren Initialen zeichnet, damit sie nicht in der für Malerinnen reservierten Schublade verschwindet, wächst als wohlbehütetes bürgerliches Töchterlein einer frommen und sehr konservativen Familie auf. Zu ihrem großen Bruder André hat sie eine fast inzestuöse Beziehung. Doch der zieht in den Ersten Weltkrieg, aus dem er erst nach langen Jahren an der Front und schwer traumatisiert zurückkehrt. Derweil verliebt sich die naive 19-jährige Jeanne in den zu seiner Zeit noch unbekannten jüdisch-italienischen Maler Amedeo Modigliani. Fortan teilt sie ihr Leben mit dem bedeutend älteren, genusssüchtigen, dabei tuberkulosekranken Mann, feiert mit ihm wilde Partys, hungert mit ihm, akzeptiert seine Eskapaden und Abenteuer und fügt sich in eine Welt, die eigentlich nie die ihre sein sollte. »Du bist eine Gefangene, Jeanne, Opfer der sapienza. Du hast versucht, deine Eltern und deinen Bruder zu verlassen. Doch du leidest zu sehr darunter«, wird der mittellose Modigliani später zu ihr sagen, als ihre obsessive Beziehung zu scheitern droht.
Die Briefe des Bruders sind in Elkaims Geschichte die Stimme ihres schlechten Gewissens. Wie tragisch und traurig, dass auch der große Künstler, ihr Held, dem sie vom ersten Moment an verfallen ist, sie verkennt: »Du wirst mir nicht nachtrauern, Nénette. Wenn du an uns zurückdenkst, wirst du dir sagen: Wenigstens habe ich einmal in meinem Leben wahre Leidenschaft kennengelernt ... Aber du wirst glücklich und zufrieden zu deiner Familie zurückkehren.«
Alles andere als das. Der Strenge des Vaters kann sie nichts entgegensetzen. André wendet sich eifersüchtig ab. Nur die Mutter - wenn auch bitter enttäuscht vom Scheitern ihrer Erziehung - offeriert bis zuletzt Nähe und finanzielle Hilfe. Kinder gibt es auch. Eindringlich schildert die Autorin die dramatische Mischung aus Jeannes Unfähigkeit und Unwillen, die Tochter - auch sie heißt Jeanne - zu lieben. In ihr könnte sich die Geschichte wiederholen. Doch das wäre Stoff für einen weiteren Roman.
Olivia Elkaims Büchlein, das sich mit 208 Seiten in der schönen deutschen Übersetzung von Judith Petrus schnell liest, schert aus dem Reigen der eingangs genannten literarisch verarbeiteten Schicksale der »Frauen an seiner Seite« aus. JH ist nicht nur inspirierende Muse, Gattin oder Geliebte, sondern auch Tochter, Schwester und Mutter. Ganz so spannend, wie der Klappentext den »bewegenden Liebesroman« und die »fesselnde Zeitreise ins Künstlermilieu der Pariser Bohème vor 100 Jahren« bewirbt, ist die Geschichte zwar nicht, doch Elkaim holt Hébuterne aus dem Dunklen ins Licht. Und sei es nur, damit ihre Protagonistin gegen Ende traurig konstatieren kann: »Damit ist mein Bericht beendet. Es gibt nichts mehr hinzuzufügen. Ich hätte ein guter Maler werden können. JH, junger Künstler, dessen Initialen Neugier wecken und einige Kritiken in Le Temps und Le Figaro hervorrufen, sodass die Sammler von San Francisco bis Moskau sich darum reißen. Keine Zeit gehabt, Jeanne Hébuterne zu werden.«
Olivia Elkaim: Modigliani, mon amour. Roman. Aus dem Französischen von Judith Petrus. Ebersbach & Simon, 208 S., geb., 20 €.
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