Große Kunst ganz klein
Bettina und Volker Pfüller: Malerei und Zeichnungen in der Bohnsdorfer Kulturküche
Schönste der Wahrnehmungen: anders zu schauen, als du sehen sollst. Denn immer sollst du irgendwas. Sollst begreifen, sollst bedenken, sollst befolgen. Sollst Einsicht zeigen. Einsicht endet in Vorsicht: um nicht das Nachsehen zu haben. Kein Wunder, dass sich der Mensch die Vorsehung erfand: die Fantasie vom Unvorhersehbaren, das außerhalb deiner Maßvorgaben das Leben lenkt. Die Ahnung, es gäbe Dämonen, kann in dir düstere Bilder schaffen oder drollige. Das Düstere ist Ergebenheit, das Drollige Widerstand. Die Bilder von Bettina und Volker Pfüller stehen im Gespräch über den Bund beider Ausdrucksweisen. Fläche und Strich, Farbe als Schwung oder Punkt, gesehene Landschaft und erfundene Welt. Die Gynäkologin und der renommierte Bühnen- sowie Buch- und Plakatbildner - beide stellen zur Zeit in der »Bohnsdorfer Kulturküche« aus.
In seiner Eröffnungsrede sagte Grafiker Hans-Eberhard Ernst, in Bettina Pfüllers Bildern »möchte man spazieren gehen«. Es ist Lustwandeln, aber immer auch ein wenig Furchtwandeln. Lugano, Schloss Hohenholz, Uferszenen an der Oder, Arkonas Küste. Berge zeigen ihre Kraft, Flusses Schönheit leugnet das Reißende nicht, die flammende Abendsonne macht es dem Meer nach: Sie rollt wie eine Welle übers Bild, eine Woge ganz aus Feuer. Aber Leben ist in den meisten Szenen kein Splitterwerk aus Überstürzung. Bettina Pfüller lässt ihre gleißenden oder gedämpften, erdigen Farben geradezu gefasst und dosiert ins Bedrängende, Unruhige kippen. Bewegung besteht darin, dass sich Unruhe legt. Aber doch trotzdem so, wie sich etwas auf die Lauer legt. Ewigkeit hat in dieser Kunst Zeit, sie nimmt Zwischenaufenthalte in unseren Körpern, die ja bekanntermaßen alle Aufgekratztheit und Beschäftigung schon für ein erfolgreiches Stricken an der Dauer halten.
Dem setzt die Bildnerin Pfüller ein geradezu bescheidenes wie konsequentes Innehalten entgegen, das sich von vorgeblichen Hauptsachen der Existenz fernhält. Weil die am leichtesten zu verfehlen sind. Weil wir die wirklich großen Dinge ja fortwährend verfehlen, vor allem dann, wenn wir sie im Munde führen, zum Weltbild erheben. Der kleine Dampfer auf dem See, von sehr weit oben gesehen, wie er das Wasser pflügt, ähnelt er einer Sternschnuppe, die einen Kosmos quert. Bei Ansichten des natürlichen Draußen ist das sogenannte Wirkliche stets im Spiel mit etwas, das nicht mehr wirklich zu sein scheint. Die Fläche, die Unschärfe, das sind Siege über die Kontur. Wir existieren im Verschwommenen. Die Motive, die Bettina Pfüller abtastet, sind übersichtlich; die Welt, die sie entlanggeht, ist auf manchen ersten Blick klein, gartenklein, Welt passt unter einen Sonnen- oder Regenschirm, und doch schwingt stets etwas ausgreifend Horizontales mit: Existenz ist ein Geschenk, das lässt sich nicht stumm kassieren, das muss man in den marginalen Einzelheiten festhalten, um sich richtig wundern zu können.
Im Grunde trifft genau dies auch auf Volker Pfüller zu: der seine große Kunst, das Plakat, regelmäßig auch ins wahrlich Kleine übertrug: auf Glückwunschkarten zum Jahreswechsel. Neujahrsgrüße, nun präsentiert im Heißsommer? Sehr wohl passend, weil wir uns ständig mit Vorsätzen umzingeln - und doch wieder und wieder erfahren: Die neuen Pläne, die neuen Gesundheitsappelle, die neuen Gewissensreden, die neuen Freundlichkeitsimpulse tragen schon in der ersten Sekunde ihrer Veräußerung den teuflischen Keim des Verrats in sich. Mit diesem Kontrast zwischen Willen und Wirklichkeit spielt Pfüller, zwinkernd und zwackend. Perlende Kunstfertigkeiten. Magie einer Zauberwelt: Glücksschweine und Grashüpfer, Kater und Tiger, Hasen gegen die Angst oder als Herolde der Angst, überhaupt Tiere über Tiere, die aber Gesichter ganz aus Mummenschanz und lustigster Mutation tragen: Wer hat schon ein eindeutiges Gesicht?
Pfüller spielt mit Jahresziffern und Zitaten, er collagiert, dass es eine Lust ist; ein Mann reitet auf dem Sattel wie Münchhausen auf der Kanonenkugel, mit Schwung losgerissen vom Pferd, das ihm nachjagt - wahrscheinlich ist das Männlein so mutig luftdurchquerend, weil er seine wahre, bodenlose Lage noch nicht erkannt hat. Der Kater als Napoleon, Spielzeugwelt aus Zinnsoldat und Krokodil.
Ein kleine Familienzeichnung zeigt Pfüllers im Wohnzimmer, unter der Stehlampe, auf dem Tisch ein Turm aus Bausteinen. Gespräch als Spiel, Spiel als Gesprächsform, aktive Beschaulichkeit, Nachrichten wie aus einer fernen Zeit.
Ergänzt wird die Ausstellung durch Skizzen Volker Pfüllers, die noch einmal seine großartige Bühnenraumkunst am Deutschen Theater Berlin erzählen, in den Inszenierungen Alexander Langs, mit Christian Grashof als Protagonist: »Der entfesselte Wotan«, »Dantons Tod«, »Herzog Theodor von Gothland«, »Die Rundköpfe und die Spitzköpfe«. Theater, bei dem man Gedanken sehen konnte. Figurinen und szenische Skizzen. Zierliche Stilisierungen, die den Kern der Arbeit fassen: Alles, was geschieht, hat einen doppelten Boden; es herrscht Genauigkeit, aus der eine komödiantische Lust hervorbricht, die sich wieder zügelt, und aus der Kunstfiguren kommen. Bis zur äußersten Zuspitzung getrieben und doch bedrohlich nah. Grashof als Gothland: figuriert mit kalkweißem Gesicht und dick rot umränderten Augen unterm langen karottenroten Haar. Geziert und zart genau artikulierend, den Stolz, den Übermut, die Verzweiflung, die Bosheit kunstvoll formulierend. Pfüllers Zeichnungen leben das geradezu vor. Bettina Pfüller: Angler am Fluss. Ein Park. Häuser und Turmbauten, schräg gesetzt, als müsse sich alles Bestehende immer gegen einen Druck wehren, und sei es Wind. Volker Pfüller: Ein Zoo der spitzen Findigkeiten, ein Zirkus des lieblich Grotesken. Einfälle, Scherze, Ironien. Was getan wird vom Menschen, was ihn in diese Malerei und diese Zeichnungen rückt, es ist die heitere oder wehmütige Feier der Begrenzung, es ist die geringe Möglichkeit, die aber ergriffen mit augenscheinlich großer Sehnsucht. Das maßlos Winzige als wichtigste Vergleichsgröße. Die Götter, sagt Hera᠆klit, halten für den Menschen etwas bereit, wovon sie ihn niemals haben träumen, niemals haben hoffen lassen. Auf Bildern aus dem Hause Pfüller kann man es sehen: die Zuneigung zum Unscheinbaren. Das uns tröstet und hält, wenn wir es als etwas Großes entdecken dürfen.
»Zweimal Pfüller - Grafik und Malerei«: bis 9. August, Bohnsdorfer Kulturküche, Dahmestr. 33, Montag bis Donnerstag 12 bis 18 Uhr, Eintritt frei.
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