Die Geburt einer Klimabewegung in Polen

Nahe der Stadt Konin fand Mitte Juli das erste Klimacamp des Landes statt

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 6 Min.

Mitte Juli organisierten Aktivist*innen zum ersten Mal ein Klimacamp nahe der Stadt Konin in Polen. Warum gerade dort?

In der Region gibt es mehrere Braunkohletagebaue und Kraftwerke. Die Folgen des Abbaus und der Verbrennung dieses Brennstoffes sind hier besonders anschaulich: zerstörte Landschaften, Wasserknappheit, Luftverschmutzung, soziale Spannungen, Landwirtschaft und Tourismus in einer tiefen Krise. Zudem gibt es hier einen starken Widerstand der lokalen Bevölkerung und die Bereitschaft, ein Klimacamp zu Gast zu haben.

Zur Person

Michalina Golinczak war an der Vorbereitung des ersten Klimacamps in Polen beteiligt. Das Treffen fand vom 18. bis zum 22. Juli im Dorf Świętne nahe der Stadt Konin statt. In der Region gibt es mehrere Braunkohletagebaue und einen wachsenden Unmut der Bevölkerung. Campteilnehmer*innen hielten vor dem Kraftwerk von Konin auch eine Demonstration ab. Mit der Aktivistin sprach Sebastian Bähr. Foto: privat

Warum wurde erst jetzt ein Camp durchgeführt?

Es gab schon seit Jahren die Idee, ein Klimacamp in Polen zu organisieren, das hat aber aus verschiedenen Gründen bisher nicht geklappt. Jetzt war die Situation einfach reif. Dazu hat eine Mischung aus unterschiedlichen Faktoren beigetragen: Es wird immer klarer, dass Kohle keine Zukunft hat. Der Klimawandel wirkt sich auch hier aus, und es gibt eine steigende Unzufriedenheit mit der Umweltpolitik der Regierung, wie beispielsweise die Proteste der vergangenen Monate gegen die Abholzung des Białowieża-Urwaldes gezeigt haben.

Wie bewerten Sie die zurückliegenden Camp-Tage?

Wir sind sehr zufrieden. Es gab über 60 Workshops, Referate, Exkursionen und viel Raum für Wissens- und Erfahrungsaustausch, Vernetzung sowie für die Planung weiterer Aktivitäten. Außerdem haben wir eine Demonstration vor dem Kraftwerk in Konin organisiert, die viel Medienaufmerksamkeit erzeugt hat. Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass das Camp die Geburt einer Graswurzelklimabewegung in Polen markiert.

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Wer hatte alles teilgenommen?

Uns ist es gelungen, viele verschiedene Menschen anzusprechen: von klassischen Umweltaktivist*innen und Anarchist*innen über Anwohner*innen und Urlauber*innen bis Katholik*innen, die sich auf die Ökologie von Papst Franziskus berufen. Denn es war unser Ziel, unterschiedliche Gruppen zusammenzubringen, neue Bündnisse anzustoßen und den Klimawandel in einem breiten Kontext zu diskutieren. Es gab auch eine starke internationale Beteiligung.

Wie war das Verhältnis zu den Anwohner*innen?

Die Anwohner*innen waren zum großen Teil an der Vorbereitung des Camps beteiligt und haben dieses auch als Gastgeber*innen eröffnet. Die Zusammenarbeit mit der lokalen Gemeinschaft war für uns eine wichtige Grundlage. Diejenigen, die nicht von Anfang an involviert waren, besuchten uns gern und mit großer Neugier. Die Reaktionen waren überwiegend positiv. In den sozialen Medien wurden wir aber auch mit einzelnen, teilweise heftigen, Hasskommentaren konfrontiert.

Während des Camps wurde auch mit Braunkohlearbeiter*innen und Gewerkschaften diskutiert. Was kam dabei heraus?

Es ist sehr wichtig, dass wir endlich anfangen, miteinander zu sprechen und eigene Positionen auszutauschen. Es hat sich herausgestellt, dass es relativ viele Missverständnisse gibt und ein Bedürfnis, diese aufzuklären. Zum Beispiel war es den Arbeiter*innen nicht klar, dass unser Protest sich nicht gegen sie richtet. Das Camp war natürlich zu kurz, um konkrete Ergebnisse hervorzubringen. Aber die Gewerkschaften haben uns als einen Gesprächspartner wahrgenommen und wir bereiten weitere Treffen vor.

In Deutschland sind einige Gewerkschafter*innen skeptisch gegenüber der Klimabewegung. Wie ist das in Polen?

Die Braunkohlearbeiter*innen und ihre Arbeitsplätze sind seit Jahren gefährdet. Eigentlich ist allen klar, dass die Zeit der Kohle vorbei ist. Ökonomisch lohnt sich der Abbau nicht mehr, immer mehr Subventionen werden benötigt, um diesen Wirtschaftszweig aufrechtzuerhalten. Seit 1990 sank auch die Beschäftigung im Braun- und Steinkohlesektor drastisch, um etwa drei viertel. Je schneller man nach Alternativen sucht, desto besser, auch für die Arbeiter*innen. Viele sind sich dessen bewusst.

Welche Perspektiven sehen Sie für polnische Braunkohlearbeiter*innen, falls die Tagebaue geschlossen werden?

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, konkrete Pläne für einen Strukturwandel zu entwickeln. Wir wollen dafür sorgen, dass das Problem schnell angegangen wird, und öffentlichen Druck für die Durchsetzung eines Kohleausstieges erzeugen.

Welche Auswirkungen hat der Braunkohleabbau für Polen?

Polen ist nach Deutschland der zweitgrößte Produzent dieses schmutzigen Brennstoffes in der EU und das hat sehr viele Folgen, sowohl lokal als auch global. Elektrische Energie wird zu etwa 50 Prozent aus Stein- und 30 Prozent aus Braunkohle gewonnen. Die Luftqualität in den Städten gehört zu den schlechtesten in Europa. Polnische Kraftwerke verursachen jährlich europaweit knapp 6000 vorzeitige Todesfälle.

Welche Rolle spielt die aktuelle polnische Regierung?

Die rechte Regierung fährt eine sehr schlechte Umwelt- und Klimapolitik, die langfristige Konsequenzen haben wird. Die gerade diskutierten neue Rohstoffrichtlinien setzen weiter auf fossile Brennstoffe. So ist geplant, die Eröffnung neuer Tagebaue und Bergwerke zu vereinfachen. Dabei bemüht sich die Regierung aber international um ein grünes Image und nutzt dafür beispielsweise den UN-Klimagipfel, der im Dezember in Katowice stattfindet.

Bei anderen Camps der Umweltbewegung gibt es Blockaden oder andere Formen des zivilen Ungehorsams. Bei Ihnen wurde sich dagegen entschieden. Warum?

Ziviler Ungehorsam ist für uns durchaus ein wichtiges und legitimes Mittel politischer Auseinandersetzungen. Er benötigt aber viel Vorbereitung und auch gesellschaftliche Akzeptanz. Daher wollten wir uns zunächst auf Bildungsarbeit konzentrieren, um mehr Verständnis sowohl für den Klimawandel als auch für unterschiedliche Aktionsformen zu schaffen.

Wie hat sich die polnische Klimabewegung in den vergangenen Jahren entwickelt?

Bisher existierte eigentlich keine Klimabewegung in Polen. Es gibt zwar seit einigen Jahren Nichtregierungsorganisationen, die Kampagnen durchführen. Aber eine wirkliche Graswurzelbewegung ist erst jetzt im Entstehen. Für mich besteht die dringendste Aufgabe nun darin, den Klimawandel zu politisieren und endlich als eine Gerechtigkeitsfrage zu betrachten. Der Kampf um saubere Luft in polnischen Städten ist natürlich wichtig, aber wir müssen es wagen, die Rolle Polens in einem globalen Kontext zu sehen. Das Land gehört - sowohl was die Wirtschaftsleistung als auch den CO2-Ausstoß angeht - zu den Top 25 der Welt. Das verpflichtet dazu, einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels und globaler Ungleichheiten zu leisten.

Inwiefern ist die polnische Klimabewegung international vernetzt? Und wie ist das Verhältnis mit Aktivist*innen in Deutschland?

Wir bekommen ganz viel Unterstützung von Genoss*innen aus Deutschland. Wir können aus deren Erfahrungen lernen: ob bei der Camplogistik, der Bewegungsstrategie oder anderen Fragen. Wir stehen aber auch im engen Austausch mit Aktivist*innen aus osteuropäischen Ländern, die unter ähnlichen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen wie wir handeln.

Ende Oktober wird das Ende Gelände-Bündnis im Rheinischen Braunkohlerevier eine Massenaktion des zivilen Ungehorsams durchführen. Werden sich polnische Aktivist*innen daran beteiligen?

Auf dem Camp gab es mehrere Infoveranstaltungen und Diskussionen über die kommende Ende Gelände-Aktion, die auf großes Interesse stieß. Sicherlich werden einige im Oktober in den Hambacher Wald fahren. Nur durch die solidarische Verbindung unserer Kämpfe können wir wirksam sein.

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