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Fake-News-König vor Gericht
Der amerikanische »Infokrieger« Alex Jones stellte ein Schulmassaker als Regierungs-PR dar
Ein Vermögen von etwa fünf Millionen Dollar mag nicht unbedingt viel sein für eine amerikanische Medienfigur. Doch im Fall von Alexander Emerick Jones ist diese Schätzung von »therichest.com« bemerkenswert. Denn der 1974 geborene »Talkshowmoderator«, der auch als »Schauspieler und Filmemacher« firmiert, bewegt sich jenseits der großen Fernseh- oder Radionetzwerke der USA. Was ihm dieses Vermögen einbrachte, sind vor allem seine Internetplattformen »infowars« und »prisonplanet«. Dort verbreitet Alex Jones eine Mischung aus manchmal zwar korrekten, dann aber oft heillos aufgeblasenen Begebenheiten sowie halbwahren und auch schlicht unzutreffenden »Nachrichten«, unterlegt mit viel rechtslastiger Meinung und entsprechend wilden Spekulationen. In gewisser Weise ist Jones seit der Gründung von »infowars« im Jahr 1999 der Pionier der zeitgemäßen Vermarktung von Verschwörungstheorien.
Worauf sich sein Erfolg unter anderem gründet, beschrieb vor einiger Zeit ein ehemaliger Fan: auf seine überzeugende Persönlichkeit. Seine »raue«, engagierte Stimme erwecke klanglich den Anschein eines unkonventionellen, persönlich involvierten Wahrheitssuchers - und sei sehr »unterhaltend«, sagte Leonard Pozner dem »Guardian«.
Eines Tages aber kehrte sich die Energie des Mannes, der nicht nur in Sachen 9/11 zur Avantgarde der »Truther« zählt, sondern auch in jener »Bewegung« wichtig war, die einst Präsident Barack Obamas Geburtsurkunde sehen wollte, gegen Pozners eigene Familie. Diese hatte nämlich das furchtbare Unglück, von dem Schulmassaker in Sandy Hook betroffen zu sein, bei dem 2012 ein junger Mann 26 Menschen erschoss. Unter den dabei ermordeten zwanzig Grundschulkindern war auch Pozners Sechsjähriger. Danach rief eine - folgenlose - Debatte um schärfere Waffengesetze rechte Verschwörungstheoretiker auf den Plan: Das Ereignis sei nur eine Inszenierung der Obama-Regierung, um den Amerikanern die Gewehre wegzunehmen! Als sich Jones mit all seiner Reichweite diese »Theorie« zueigen machte, sah sich Pozner, der sich empört an sein einstiges Idol gewandt hatte, plötzlich an den Pranger gestellt. Es kam zu Drohungen durch Jones-Anhänger, es wurde verlangt, das Kindergrab zu öffnen. Mehrfach musste die Familie auch deshalb umziehen.
Nun steht, nachdem bereits eine besonders hartnäckige Verfolgerin der Familie zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, auch Jones selbst für diese »Story« wegen Verleumdung vor einem Gericht in der texanischen Hauptstadt Austin. Am Mittwoch begannen dort die Anhörungen; der Fall wird eine Präzedenz schaffen für ähnliche Verfahren, die Angehörige von Opfern jenes Schulmassakers inzwischen angestrengt haben. Außerdem muss sich Jones dieser Tage in einer anderen Sache verantworten: Er hatte einen jungen Mann fälschlicherweise als den Attentäter des Schulmassakers von Parkland im Februar 2018 identifiziert. Auf einem in sozialen Medien verbreiteten Foto trug der 24-Jährige ein T-Shirt mit »kommunistischem« Motiv, was Jones offenbar nur zu gut in den ideologischen Kram gepasst hatte.
Obwohl Jones’ Anwälte nicht mehr bestreiten, dass das Massaker von Sandy Hook stattgefunden hat, ist nicht ausgemacht, wie ersteres Verfahren endet. Die Verteidigung plädiert auf Meinungsfreiheit. Es wird wichtig sein, ob der Nachweis gelingt, dass Jones seine »News« wider besseres Wissen verbreitete - und ob Pozner als »Person des öffentlichen Lebens« eingestuft wird. In diesem Fall sähe es für Jones, der von den Klägern seinerseits 100 000 Dollar an Anwaltskosten erstattet haben will, schon besser aus. Endet das Verfahren hingegen im Sinn der klagenden Familie, könnte ihm ein Schmerzensgeld in Millionenhöhe drohen.
Ob dieser Prozess Alex Jones und seinem »Journalismus« darüber hinaus nachhaltig schaden kann, ist gleichfalls völlig ungewiss. Denn mit seinem Massenpublikum - bei Youtube hat er fast zweieinhalb Millionen Abos - ist er ein Machtfaktor. Immer wieder haben sich auch in den USA als seriös geltende Politiker von ihm interviewen lassen - etwa der langjährige Kongressabgeordnete Ron Paul, der sich zuletzt 2012 um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner bemühte. Und Onlineplattformen, die Jones neben seinen eigenen Seiten nutzt, schrecken bisher vor harten Sanktionen zurück. Er produziert eben massenhaft Klicks.
So hat das zum Google-Konzern Alphabet gehörende Videoportal Youtube zwar 2015 ein Filmchen über den nun in Frage stehenden Fall entfernt; vor wenigen Tagen folgte eine Handvoll anderer Clips, die nicht im Zusammenhang mit Sandy Hook stehen. Auch darf Jones für drei Monate nicht mehr die Live-Streaming-Funktion nutzen. Doch sein Archiv mit rund 35 000 Clips ist weiter zugänglich. Ähnlich hat jetzt der Audio-Inhalte-Dienst Spotify nach vehementen Protesten im Netz einige seiner Podcasts entfernt - nicht aber das Gesamtangebot.
Es könnte sich erweisen, dass für den Fake-News-König aus Texas am Ende in etwa das gleiche Motto gilt wie für jene Banken der Wall Street, über die er allerlei Theorien anzubieten hat: »Too big to fail.«
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