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- Zukunft des Journalismus
Wer braucht noch linke Medien?
Jörg Staude meint, linker Journalismus sollte weniger Ideologie und mehr originär journalistische Tugenden bieten
Wird über die Medienkrise und die Zukunft des linken Journalismus nachgedacht, geht es meist um das Adjektiv »links« und wenig um das Hauptwort »Journalismus«. Von den Machern linker Medien wird das meist damit »erklärt«, man würde ja so gern auch investigativ und reportagehaft und hintergründig arbeiten, aber dafür sei - leider, leider - die Finanzlage des jeweiligen Verlages zu prekär.
Keine Frage: Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten linker Medien sind nicht vom Tisch zu wischen. Mit dem eigentlichen Produkt (genügend) Geld zu verdienen, wird in Zeiten der Krise gedruckter Medien immer schwieriger. Von Anfang April bis Ende Juni 2018 sank in Deutschland die verkaufte Auflage gedruckter Tageszeitungen erneut, diesmal um mehr als vier Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, absolut um knapp 600 000 Stück. Parallel stieg die Zahl der als ePaper elektronisch abgesetzten Exemplare an - aber nur um etwa 170 000.
Großverlage nehmen diese seit Jahren anhaltende Tendenz zum Anlass, um den Journalismus radikal zurückfahren. Zentralredaktionen beliefern teilweise schon Dutzende lokale Blätter mit einem gleichlautenden »Mantel« für Politik, Wirtschaft und Ausland. Vor Ort werden von überlasteten Redakteuren noch Lokalnachrichten hinzugefügt.
Diesen Weg zu gehen, ist sich links verortenden Medien zum einen aus Gründen des Selbstverständnisses verwehrt. Zum anderen stelle man sich nur einmal virtuell vor, »taz«, »neues deutschland«, »Jungle World« oder »Freitag« versuchten, sich von einer gemeinsamen Zentralredaktion beliefern zu lassen - die damit verbundenen Auseinandersetzungen möchte man sich nicht ausmalen.
Der sich links verstehende Journalismus ist inzwischen recht ideologiegeladen geworden. Ein Thema mit der »richtigen«, sich von Blatt zu Blatt natürlich unterscheidenden Haltung, anzugehen, ist oft wichtiger, als es populär-differenziert dem immer noch geneigten Leser aufzubereiten. Ellenlang erfährt man stattdessen in den Texten, was der Autor an Bildungsfrüchten so parat hat. Nochmals wird Gramsci oder - derzeit besonders beliebt - das »Kapital« gewälzt. Letzteres scheint ja zitatetechnisch so aktuell, als wäre es gestern geschrieben worden.
Klassische und ziemlich kostenlose Tugenden der Zunft - was, wann, wo und wer? Verständlichkeit? Nachvollziehbare Zahlen und Daten? Zitierregeln? Quellenangaben? Eine klare Kennzeichnung, was Autormeinung ist und was nicht - gelten doch eher als nebensächlich, wenn nicht sogar als störend - sie könnten ja von der »Botschaft« ablenken.
Statt lustvoll das Neue in der Realität zu entdecken, dient diese nicht selten nur noch dazu, sich - und dem Leser - die bestehende Weltsicht bestätigen zu lassen. Arbeiten in linken Redaktionen noch Journalisten, die politisch denken, oder im Zweifel schon Politiker, die journalistisch arbeiten (wollen)?
Die Bredouille, in der linksorientierte Medien stecken, ist auch ihrer Position im Mediensystem geschuldet. Bei ihrer Rolle als reale Gegenöffentlichkeit und als Sachverwalter sozialer Interesse haben sie viel eingebüßt. Auch der klassische Scoop, die Enthüllung, gehört nicht zu den Profileigenschaften linker Medien, nicht nur wegen der begrenzten Mittel. Selbst wenn es gelingt, Skandalöses aufzudecken, wird das meist erst dann zu einem politikbewegenden Skandal, wenn meinungsführende Medien diesen aufgreifen.
Kein Wunder, dass führende Politiker und Gruppierungen der Linken und Grünen auch Exklusivinformationen gern diesen, den sogenannten bürgerlichen Medien übereignen. Das führt unter anderem zu der in der Öffentlichkeit kolportierten Ansicht, dass, wenn man etwas »Wahres« über Linke oder Grüne lesen will, dies nicht aus dem Medien erfährt, die diesen Kräften, wenn auch nur mutmaßlich, nahestehen.
Zugleich gehen die linksdenkenden Medien mit ihren Politikern recht zurückhaltend um: Wie wäre es mit einer datenjournalistischen Recherche, welche Bundestagsabgeordneten der Linken und Grünen wirklich regelmäßige öffentliche, für jedermann und spontan zugängliche Sprechstunden im Wahlkreis abhalten? Welchen Gebrauchswert sollen linke Medien heutzutage haben? Gehen sie dahin, wo es weh tut, wo Neues entsteht, wiederholen sie nicht nur ihre jeweiligen Wahrheiten? Das ist nach wie vor die Gretchenfrage. Sie entscheidet mehr über die Zukunft als jede Spenden- und Solikampagne.
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