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Gefährliche Verbote
Schwangerschaftsabbrüche werden trotz rechtlichen Fortschritten noch in vielen Ländern kriminalisiert
Ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen bedeutet keinesfalls, dass keine Abtreibungen mehr stattfinden. Laut einer 2017 veröffentlichten Studie des Guttmacher Institute und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) war knapp die Hälfte der weltweit durchgeführten Abbrüche zwischen 2010 und 2014 höchst unsicher und gefährlich. Ungefähr 26 Prozent der Weltbevölkerung leben laut der Nichtregierungsorganisation »Center for Reproductive Rights« in Ländern, in denen der Zugang zu Abtreibungen erschwert wird oder diese komplett untersagt sind. Aber auch wenn auf eine Abtreibung Strafe steht - durchgeführt wird sie meist trotzdem: mit Kräutermischungen, Medikamenten, Kleiderbügeln oder Stecknadeln, oft unter unhygienischen Bedingungen von meist unqualifizierten Personen.
Der Großteil solch unsicherer Schwangerschaftsabbrüche wird laut der WHO-Studie in Ländern des Globalen Südens vorgenommen. Besonders prekär ist die Lage in den 62 Ländern, die Abtreibungen komplett verbieten oder sie nur zulassen, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Die gesetzlichen Regelungen sind in Ozeanien, Afrika, Lateinamerika und der Karibik am strengsten. In Haiti, der Dominikanischen Republik, Surinam, Honduras, El Salvador und Nicaragua steht jeglicher Schwangerschaftsabbruch unter Strafe - drei Viertel der Eingriffe finden dort mit nicht sicheren Methoden statt. Da es schwierig ist, über heimlich durchgeführte Abtreibungen verlässliche Daten zu bekommen, dürfte die Dunkelziffer noch weit höher liegen. Solche geheimen Schwangerschaftsabbrüche haben der Studie zufolge einen wesentlichen Anteil an der Sterberate von Frauen.
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Staaten, in denen Schwangerschaftsabbrüche ohne Einschränkungen oder in bestimmten Situationen erlaubt sind - beispielsweise wenn die körperliche oder geistige Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist. Rund die Hälfte dieser Länder erlaubt den Abbruch, wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung oder der Fötus nicht lebensfähig ist. In einem Drittel der Länder werden ebenso ökonomische, soziale oder psychische Gründe berücksichtigt.
Vorreiter für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen war die Russische Sowjetrepublik: Der Vorläufer der 1922 gegründeten Sowjetunion stärkte 1920 als erstes Land der Welt die reproduktiven Rechte und erließ ein Gesetz, das Abtreibungen enorm erleichterte. Bereits 1913 hatte die Russländische Medizinische Gesellschaft den legalen Zugang gefordert. Als dies schließlich im November 1920 mit einem gemeinsamen Beschluss des russischen Volkskommissariats für Gesundheitswesen und des Volkskommissariats für Justiz umgesetzt wurde, war die Entscheidung eine aus größter Not geborene. Es herrschte seit drei Jahren Bürgerkrieg, die Zahl an Waisen und ausgesetzten Kindern war ebenso angestiegen wie die der unprofessionell durchgeführten Abbrüche. Entsprechend ging es in dem gemeinsamen Beschluss der Volkskommissariate mit dem Titel »Über den Schutz der Gesundheit der Frauen« auch nicht in erster Linie um die Einführung eines als notwendig betrachteten Frauenrechtes. Im Gegenteil wurde sich dort zur »Agitation gegen Aborte unter den Massen« und dem Ziel, diese »Erscheinung auszurotten«, noch explizit bekannt. Aber: »Solange die überkommenen moralischen Gewohnheiten der Vergangenheit und die schweren wirtschaftlichen Bedingungen der Gegenwart einen Teil der Frauen zwingen, sich zu einer Operation zu entschließen«, hieß es, müsse die Gesundheit von Frauen geschützt werden. Die alleinige Kompetenz, die Eingriffe durchzuführen, wurde in die Hände von Ärzten gelegt - und nicht nur straf-, sondern auch kostenfrei.
1935 erlaubte auch das isländische Parlament den Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Umständen - unter anderem aufgrund der hohen Muttersterblichkeit wegen heimlicher Abtreibungen. Anfang der 1950er begannen die realsozialistischen Länder in Osteuropa, Südosteuropa und Zentralasien Reformen durchzuführen, die den Zugang zu reproduktiven Rechten erleichterten. In der UdSSR, wo Abtreibungen 1936 erneut kriminalisiert wurden, trat das Gesetz zur Legalisierung im Jahr 1955 wieder in Kraft.
In den 60er und 70ern wurden auch in Westeuropa und Nordamerika die reproduktiven Rechte der Bevölkerung zum Thema - Frankreich, Italien, Österreich, USA, Kanada, aber auch China, Kuba und Indien führten Fristenregelungen ein. Solche Fristenlösungen erlauben eine Abtreibung »auf Verlangen der Frau« innerhalb einer bestimmten Frist - in den meisten Ländern während der ersten drei Monate der Schwangerschaft. In den Niederlanden gilt eine Fristenregelung von 24 Wochen. Abbrüche zu einem späteren Zeitpunkt sind dann nur noch aufgrund einer Indikation möglich, beispielsweise wenn das Leben der Schwangeren gefährdet ist.
Mitte der 80er Jahre waren Schwangerschaftsabbrüche in ganz Europa und Nordamerika größtenteils legal. In der DDR war die Fristenregelung, der Abbruch innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen, seit 1972 legal, die BRD erlaubte sie ab 1976. Seit der Wende gilt in Deutschland die Regelung anhand des Paragrafen 218: Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen sind erlaubt, aber nicht legal. Abtreibungen sind demnach rechtswidrig, aber straffrei - sie werden bei Einhaltung der Beratungspflicht nicht geahndet. Gegen den Paragrafen 218 und 219a, der die Informationsverbreitung über Abtreibungen in manchen Fällen unter Strafe stellt, wird immer wieder demonstriert.
In Portugal war ein Schwangerschaftsabbruch bis 2007 nur aufgrund medizinischer Gründe oder nach einer Vergewaltigung legal, nun gilt auch dort die Fristenregelung.
Malta verbietet bis heute Schwangerschaftsabbrüche unter allen Umständen. Es ist das mittlerweile einzige EU-Land mit einem solch restriktiven Gesetz. Auch bei Gefahr für das Leben der Schwangeren ist eine Abtreibung nicht erlaubt - bei heimlich durchgeführten Prozeduren drohen Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren. Bis vor Kurzem gehörte auch Irland noch zu den Ländern mit absolutem Abtreibungsverbot - es war sogar in der Verfassung festgeschrieben. Im Mai stimmte die Mehrheit der irischen Bevölkerung in einem Referendum für eine Verfassungsänderung und die Streichung des Verbots aus der Verfassung. Auch in Argentinien befindet sich die rechtliche Regelung im Übergang. Mitte Juni stimmte die Abgeordnetenkammer für einen Gesetzesentwurf, der Abtreibungen teilweise legalisieren soll. Am 8. und 9. August debattierte der Senat 16 Stunden über das Für und Wider, um den Entwurf dann abschlägig zu bescheiden.
Der Großteil der Länder mit einer restriktiven Gesetzgebung in Sachen reproduktives Recht sind ehemalige Kolonialstaaten, die ihre restriktiven Regelungen von den ehemaligen Kolonialmächten »geerbt« haben. Zunehmend führen die Länder des Globalen Südens jedoch Ausnahmen in ihre Strafregister ein oder reformieren die Abtreibungsgesetze. In Kap Verde gilt die Fristenregelung seit 1986, in Südafrika seit 1996, Kambodscha legalisierte den Zugang zu Abtreibungen 1997. In den vergangenen 18 Jahren haben laut der WHO 28 Länder ihre Abtreibungsgesetze liberalisiert. In Mexiko stehen Abbrüche noch immer unter Strafe, seit einer Gesetzesreform 2007 sind Abtreibungen in der Hauptstadt Mexiko-Stadt jedoch erlaubt, wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist. 2012 entkriminalisierte Uruguay Schwangerschaftsabbrüche während der ersten zwölf Wochen.
Es gibt jedoch auch eine Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Länder mit liberaler Gesetzgebung schränken diese wieder ein - der legale Zugang zu Abtreibungen wird wieder erschwert. In den Vereinigten Staaten verschärfen republikanisch dominierte Bundesstaaten wie Texas ihre Abtreibungsgesetze. Auch osteuropäische Länder wie Belarus, Ungarn, Kroatien oder Mazedonien schaffen Hürden beim Zugang zu Abtreibungen. In Polen gibt es sogar Bestrebungen, Abtreibungen ausnahmslos zu verbieten. Die polnische Bevölkerung protestiert anhaltend gegen die Gesetzesverschärfungen. Das Land hat bereits eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Abbrüche sind nur erlaubt, wenn die Frau vergewaltigt wurde, ihr Leben in Gefahr oder der Fötus schwer krank ist.
Eine restriktive Gesetzgebung in Sachen Schwangerschaftsabbruch führt jedoch keineswegs zu einer niedrigeren Abbruchrate, wie die Studie des Guttmacher Institute und der WHO zeigt: Die Länder mit der geringsten Abtreibungsrate sind jene mit liberalen Abtreibungsgesetzen - also dem Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Denn das fällt zusammen mit einem insgesamt gut ausgebauten Zugang zum Gesundheitssystem, zu Informationen über sexuelle Gesundheit und vor allem zu Verhütungsmitteln. Strenge Abtreibungsgesetze verhindern keine Abbrüche, sondern führen dazu, dass die durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche gefährlich werden und nicht selten tödlich enden.
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