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Ein Signal für Europa
EM-Chef Frank Kowalski über die sportliche und politische Bedeutung der Leichtathletik-Titelkämpfe in Berlin
Was würden Sie nach den Leichtathletik-Europameisterschaften am liebsten über diese Titelkämpfe hören oder lesen?
Dass sie Zeichen gesetzt haben. Dass die Zuschauer, die Sportler und die Funktionäre sagen: »Wow, das habe ich so nicht erwartet!« Das ist unser Ziel. Und dafür arbeiten wir seit vier Jahren sehr, sehr hart.
Frank Kowalski ist der Chefplaner der Leichtathletik-EM. Er kennt sich aus in diesem Sport, betrieb ihn selbst und war später Nachwuchs- und dann Bundestrainer. Danach war er fast zehn Jahre Geschäftsführer der Marketinggesellschaft des Deutschen Leichtathletikverbandes, dann dessen Veranstaltungsdirektor.
Vor dem Finalwochenende sprach Alexander Ludewig mit dem 54-Jährigen über die aufwendige Vorbereitungszeit, notwendige Veränderungen, Personalnot, schwierige Finanzierung und was die Leichtathletik für Europa tun kann.
Wie groß ist das Team und in welchen Bereichen wurde in diesem relativ langen Zeitraum von vier Jahren gearbeitet?
Wir haben aktuell 57 hauptamtliche Mitarbeiter. Das Team ist sukzessive gewachsen. Die großen Kernpunkte waren und sind Wettkampforganisation und Personalverwaltung im Bereich Vermarktung und Sponsoring. Und wir haben einen Bereich, der sehr neu ist: die Produktion. Das bedeutet, wir müssen erstmalig ein Fernsehsignal produzieren. Zudem gestalten wir auch das ganze Event, also den Sport und das Drumherum. Einen großen Schwerpunkt haben wir uns von Anfang an gesetzt: Kommunikation und Promotion. In dem Bereich arbeiten neun Mitarbeiter. Relativ spät ist noch die Europäische Meile hinzugekommen, also alles, was in der Innenstadt passiert. Dafür benötigen wir rund 20 Mitarbeiter. Alles zusammen genommen haben wir eine Struktur, die es so in der Leichtathletikorganisation noch nie gegeben hat.
Was war das Schwierigste während der Vorbereitungen?
Die Herausforderungen für eine solche Großveranstaltung sind mittlerweile immens hoch. Das eine ist natürlich die Finanzierung, die wird immer schwieriger. Ohne Zuschuss der öffentlichen Hand wären wir nicht in der Lage gewesen, uns überhaupt bewerben zu können. Ebenfalls mittlerweile sehr schwierig ist, für solch ein Projekt über einen begrenzten Zeitraum Experten zu gewinnen. Die Personalrekrutierung wird ein immer größeres Thema. Und natürlich steht die Sicherheit ganz oben. Bei der Weltmeisterschaft 2009 war das noch ein Nebenthema, jetzt ist es das Hauptthema. Das sind die drei größten Blöcke, wo wir relativ viel Neues entwickeln mussten.
Und was ist die größte Herausforderung jetzt, während die EM läuft?
Die Veranstaltung ist eine ganz andere geworden als während der Bewerbung im Jahr 2013. Wir sind Bestandteil der European Championships. Das heißt, wir sind auch Teil eines großen Fernsehformates. Das hat der Konsument erst jetzt auf der Zielgeraden verstanden, so in den letzten zwei Wochen etwa. Unser Projekt der Europäischen Meile, unsere zweite Veranstaltungsstätte in der Innenstadt, ist auch sehr ambitioniert. Das fordert uns momentan am meisten ab. Ich will nicht sagen, dass wir überfordert sind, aber wir sind sehr, sehr, sehr angespannt, um das auch alles umsetzen zu können.
Welcher Gedanke stand dahinter, zwei Stätten in Berlin zu bespielen?
In einer Sportart wie der Leichtathletik bekommt man etwa alle zehn Jahre eine Großveranstaltung. Die könnte man auch einfach sechs Tage »rein und wieder raus« organisieren. Aber unser Ziel war, etwas Nachhaltiges zu schaffen, ein Signal zu setzen, indem wir etwas Neues machen, und die Sportart zu den Menschen zu bringen und so für sie zu werben. Das haben wir dann mit dem Start und Ziel der Straßenwettbewerbe und der Qualifikation im Kugelstoßen am Breitscheidplatz neu verbunden. Die Siegerehrungen auszulagern, ist natürlich nicht ganz neu, aber auf dieser großen Bühne vor dieser Szenerie schon etwas Besonderes, denke ich. Und nicht zuletzt wollen wir auch ein Signal für Europa senden, das mittlerweile doch sehr fragil geworden ist. Vielleicht können wir auch einen kleinen politischen Beitrag dazu leisten, wenn Europa mitten in Berlin zusammenkommt.
Und das am Ort eines Anschlags, der auch der europäischen Gesellschaft und nicht nur Berlin oder Deutschland galt?
Das ist in der Tat ein tragendes Thema. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir uns bereits 2013 mit diesem Konzept beworben haben. Der schreckliche Anschlag war im Dezember 2016. Wir waren natürlich alle traurig und geschockt. Dieses Konzept war für uns danach eigentlich gestorben. Aber die Behörden haben uns bestärkt, dann insbesondere am Breitscheidplatz dieses Europafest zu feiern. Jetzt bekommt das eine ganz eigene Dynamik. Viele internationale Partner denken nun sogar, dass wir extra deswegen dorthin gegangen sind. Das ist nicht der Fall, aber die Symbolik ist stark und hebt die Bedeutung der Veranstaltung doch deutlich an.
Wo wird die Integration der Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin in die European Championships sichtbar?
Erst mal ist es für mich ein logischer und wichtiger Schritt, dass sich die großen Sommersportarten zusammentun, insbesondere in der Positionierung gegen den übermächtigen Fußball. Es ist natürlich jetzt ein Pilotprojekt mit sechs Titelkämpfen in Glasgow und einer Veranstaltung in Berlin - der größten. Wir sind selbstbewusst genug zu sagen, dass wir die Lokomotive für dieses neue Format sind. Allerdings ist es in Glasgow mit mehreren Sportarten besser vermittelbar, dass es sich um gemeinsame European Championships handelt. Für uns ist es schwierig, dass wir eine Eigenständigkeit haben und dennoch Bestandteil des Ganzen sind. Das ist im Marketing nicht einfach. Und ich bin positiv überrascht, wie das über die Fernsehsender so schnell bei der Bevölkerung ankommt. Man freut sich ja jetzt schon wieder über Medaillen der anderen. Man muss einfach auch mal den Mut haben, etwas Neues zu versuchen. Den haben wir. Wir werden natürlich alles analysieren, wenn die Veranstaltung vorbei ist. Aber ich denke, es ist ein tragfähiges Konzept für die Zukunft.
Sie waren selbst mal Leichtathlet und sogar Bundestrainer. Die Diskussion über sportliche Kompetenz auf Führungsebene gibt es in vielen Sportarten. Wie wichtig ist das?
Für meine Aufgabe braucht man letztendlich zwei Kernkompetenzen. Das eine ist wirklich die Empathie für den Sport, denn letztendlich sind wir Dienstleister für die Athletinnen und Athleten. Sie sind nun mal unsere Protagonisten. Und da muss man die Athletenseite verstehen. Als Zweites braucht man betriebswirtschaftliches Handwerkszeug. Ich habe Sport, BWL und Marketing studiert und konnte Hobby und Beruf optimal verbinden.
Sie haben die Schwierigkeit der Finanzierung erwähnt. Das Budget der Leichtathletik-EM beträgt 33 Millionen Euro. 13 Millionen kommen vom Berliner Senat. Wie setzt sich der Rest zusammen?
Es sind Einnahmen über Sponsoring, Lizenzvermarktung, Merchandising, Zuschüsse von den Verbänden zu Hotelübernachtungen - also das Prinzip linke Tasche, rechte Tasche. Ein sehr großer Anteil sind die Einnahmen aus dem Ticketing. Insgesamt kalkulieren wir für die EM mit mehr als 300 000 Zuschauern. Das war ein sehr ambitioniertes Ziel, ohne das aber das ganze System wirtschaftlich nicht gestimmt hätte. Im Vorverkauf haben wir mit 270 000 verkauften Karten dann einen EM-Rekord aufgestellt. Jetzt müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir unser Ziel bis Sonntag nicht erreichen.
So hohe Ticketzahlen sollen die letzten vier Europameisterschaften zusammen nicht erreicht haben. Stimmt das?
Ja, aber das ist etwas provokativ formuliert. Faktisch ist es so, dass die Stadien sehr viel kleiner waren.
Jetzt ist dieser EM-Rekord aber erst mal aufgestellt. Was bedeutet das für die Zukunft der Leichtathletik oder die kommenden Europameisterschaften?
(lacht) Das müssen Sie die Verantwortlichen der europäischen Leichtathletik fragen. Die nächste EM ist in Paris. Da geht man aber nicht in das große Stade de France, sondern hat sich wieder für ein kleineres Stadion entschieden. Das kann man so machen. Man kann darüber aber auch diskutieren.
Welche Zeichen wollen Sie neben dem organisatorischen und dem politischen mit dieser EM im sportlichen Bereich setzen?
Das Wichtigste für den Zuschauer im Stadion sind Informationen. Bei der Leichtathletik finden mehrere Disziplinen gleichzeitig statt, da geht viel verloren. Deshalb arbeiten wir im Olympiastadion mit einem großen Videosystem auf vier Riesenmonitoren. Zudem haben wir kleinere LED-Banden direkt an den Wettkampfstätten im Innenraum, die auch Informationen einblenden. Und es gibt erstmalig auch eine Laserlinie im Weitsprung. Hinzu kommt ein Rahmenprogramm mit viel Musik und Moderatoren. Mit den rund vierstündigen Finalabenden haben wir das Wettkampfprogramm dann sehr viel kompakter gestaltet. Wir haben also viele neue Merkmale geschaffen, um mehr Emotionen zu erzeugen, und den Zuschauer besser abzuholen.
Am Ende helfen die beste Organisation und die besten Ideen im Kampf um mehr Aufmerksamkeit nur wenig, wenn das Fernsehen nicht mitmacht.
Das ist korrekt, ja.
Wie läuft diese Zusammenarbeit. Warten die TV-Sender nur auf ein fertiges Konzept, das funktioniert, oder formulieren sie auch Wünsche, Vorstellungen oder Anforderungen?
Das ist immer ein Dialog, es geht nur miteinander. Und dabei muss man eben Kompromisse auf beiden Seiten schließen, weil Fernseh-Leichtathletik etwas ganz anderes ist als das, was man im Stadion sieht. Das ist nicht einfach, braucht ein starkes Miteinander und ständige Abstimmung, aber in Bezug auf diese Europameisterschaften hat es bislang wirklich sehr gut funktioniert.
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