Als der Rubel in den Keller rutschte

Die Russland-Krise vor 20 Jahren galt als Fass ohne Boden. Dann rettete der Rohstoffboom den neuen Präsidenten Wladimir Putin

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Gewaltige Risiken« für den deutschen Etat befürchtete der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger. »Niemand«, mahnte auch der Steuerfachmann unter den fünf Wirtschaftsweisen, Rolf Peffekoven, könne derzeit die Folgen »solide abschätzen«. Ein vertrauliches Papier, das der Bundesfinanzminister Theo Waigel im Haushaltsausschuss des Bundestages vorlegte, liefert zumindest ein paar Anhaltspunkte. Und die waren alles andere als beruhigend. Immense Wagnisse, so belegte das Zahlenwerk, war die Bundesregierung eingegangen, um die deutschen Exporte in Richtung Osten anzukurbeln. Doch Russlands Währung befand sich im freien Fall. Die Rubel-Krise drohte, ein »Fass ohne Boden« zu werden, befürchtete das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«. Das war vor 20 Jahren.

Der 17. August 1998 markierte den schwärzesten Tag in der Wirtschaftsgeschichte des postsowjetischen Russlands. Der Staat wurde mit dem Ausbruch der Krise zahlungsunfähig. Die Regierung gab den bis dahin stabilen Rubel frei, der daraufhin in wenigen Tagen rund 75 Prozent seines Wertes verlor. Das Finanzsystem Russlands brach zusammen. Die reale Wirtschaftsleistung nahm 1998 um 4,6 Prozent ab, die Investitionen schrumpften weiter, und die Inflation erhöhte sich auf fast 90 Prozent. Der Anteil der in Armut lebenden Personen an der Gesamtbevölkerung nahm nach Angaben der auf Osteuropa spezialisierten Europäischen Wiederaufbaubank EBRD von rund 20 Prozent auf 30 Prozent zu. Auslöser der Russlandkrise war der Vertrauensverlust, den der Rubel im In- und Ausland erlitten hatte. Investoren und Banken waren schon zuvor durch die Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrise, die Ostasien seit Monaten in Atem hielt, nervös geworden.

Insofern bieten die Asien- und Russlandkrisen von 1997/98 durchaus Entsprechungen zur heutigen Lage in der Türkei: Die Schwäche der türkischen Lira ist auf andere Schwellenländer wie Indien und Südafrika übergesprungen, weil die Finanzmärkte den Währungen und Volkswirtschaften plötzlich misstrauen.

Die Gründe für die Rubelkrise vor zwei Jahrzehnten lagen tief. Präsident Boris Jelzin hatte im Schulterschluss mit Internationalem Währungsfonds und Weltbank auf extreme kapitalistische Wirtschaftsreformen gesetzt. Der Markt sollte den Plan ersetzen: Privatisierung öffentlichen Eigentums, Ende der staatlichen Preiskontrollen, Liberalisierung des Außenhandels, Förderung eines privaten Finanzsektors und Öffnung für ausländische Geldgeber waren die Folge.

Gleichzeitig gab Jelzin die indus-trielle Orientierung der Sowjetunion auf - zugunsten der Rohstoffförderung und des Finanzsektors. Der gewählte Präsident hatte das Parlament entmachtet und schuf mit einer neuen Verfassung ein autoritäres Präsidialregime. Damit formte der siegestrunkene Jelzin zugleich eine neue Klasse, die Oligarchen, mit deren finanzieller und medialer Unterstützung er fortan rechnen konnte. Die volkswirtschaftlichen Verluste durch den ökonomischen Niedergang in den 1990er Jahren waren größer als durch den Zweiten Weltkrieg, analysierte später der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz.

Doch zum »Fass ohne Boden« wurde Russland nicht. Der gefallene Rubel verbilligte zunächst russische Warenexporte und Chinas Aufstieg sowie die anziehende Weltkonjunktur ließen bald die Rohstoffpreise in die Höhe schnellen. Das »Regime der Ruhe« des neuen Präsidenten Wladimir Putin führte dann zur Stabilisierung des Staates, der Wirtschaft und der Eigentumsverhältnisse.

Das Vertrauen der Investoren auf den immer größer werdenden, globalisierten Finanzmärkten kehrte an die Wolga zurück. Schon zur Jahrtausendwende wuchs Russlands Wirtschaftsleistung erstmals zweistellig. Die »gewaltigen Risiken« für die deutsche Wirtschaft, welche die Bundesregierung in Bonn noch monatelang umgetrieben hatten, verpufften schnell. In die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2007/08 folgen sollte, ging Russland dann schon ökonomisch und institutionell gestärkt. Doch der Rubel hat seit dem Schock vor 20 Jahren nach und nach weiter an Wert verloren.

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