• Politik
  • »Jamel rockt den Förster«

Infragestellen von Seenotrettung kommt nicht infrage

Mehr als 1000 Menschen feiern bei dreitägigen Anti-Rechts-Festival in Mecklenburg-Vorpommern / Grönemeyer kritisiert Bundesregierung für Umgang mit Geflüchteten auf dem Mittelmeer

  • Lesedauer: 4 Min.

Gägelow. Große Namen bei »Jamel rockt den Förster«: Zum Auftakt des dreitägigen Musikfestivals in Jamel (Landkreis Nordwestmecklenburg) sorgte am Freitagabend Herbert Grönemeyer für den Höhepunkt. Sein Kommen war bis unmittelbar vor Beginn geheim gehalten worden. Mit Grönemeyers Überraschungsauftritt zeigte erneut ein Künstler der ersten Reihe demonstrativ Solidarität mit dem Künstlerehepaar Birgit und Horst Lohmeyer, das seit vielen Jahren in dem Dorf bei Wismar lebt und sich Anfeindungen der dort starken Neonazi-Szene widersetzt. Doch ging es bei dem nunmehr zwölften Musikfest gegen rechte Gewalt und für Toleranz nicht nur um die Neonazis in der Nachbarschaft der Lohmeyers: Neben Ansagen gegen Fremdenhass kommentierten einige Musiker auch die Debatten um Seenotrettung im Mittelmeer und Fluchthilfe.

Grönemeyer sagte, er sei gekommen, um den Lohmeyers und den Gästen den Rücken zu stärken. »Das Land ist nervös, die Zeiten sind nervös und wir müssen lernen, Haltung zu zeigen, den Mund aufzumachen und laut zu werden, richtig laut zu werden, damit die rechte Szene merkt: Das ist hier nicht gewollt«, sagte der Sänger. Ihm liege jedoch nicht nur das Engagement gegen Neonazis am Herzen. »Es kann nicht sein, dass man darüber debattiert, ob man Menschen, die in Lebensgefahr schweben, rettet. Das muss man sich mal vorstellen im Kopf, wo wir gelandet sind!«, machte Grönemeyer seine Haltung deutlich. Die Weigerung von Mittelmeer-Anrainern, Boote mit geretteten Flüchtlingen die Zufahrt zu ihren Häfen zu gestatten, und Kritik auch aus Reihen der Union am Wirken der Rettungsorganisationen hatte die Debatte neu belebt.

Dass darüber überhaupt diskutiert werde, halte er für ein Verbrechen, und diejenigen, die die Seenotrettung in Frage stellten, gehörten vor Gericht. »Ist mir wurscht wer das ist, ob das ein Teil der Bundesregierung ist. Nur weil sie in der Bundesregierung sind, heißt das ja nicht, dass sie alle ganz klar im Kopf sind«, sagte Grönemeyer. Dies gelte speziell für eine christliche Partei, die darüber debattiere, ob man Menschen retten soll. »Die sollten sich vielleicht später an der Himmelspforte überlegen, was der liebe Gott zu ihnen sagen wird«, mahnte der Musiker. Auf der Bühne leitete er einen seiner größten Hits, »Mensch«, mit einem Appell ein: »Ich bin jetzt 62, ich habe noch nie eine Zeit erlebt, in der es so wichtig war, laut zu sein.«

Auch Ministerpräsidentin und Festival-Schirmherrin Manuela Schwesig (SPD) hatte den Lohmeyers zuvor ihre persönliche Unterstützung ausgesprochen. Die Eheleute seien Bürger, wie man sie sich wünsche: »Keine Wutbürger, keine Hutbürger, sondern engagierte Bürger«, sagte Schwesig in Anspielung auf den Fall eines sächsischen LKA-Beamten, der bei einer Pegida-Demonstration mit einem Deutschlandhütchen ZDF-Journalisten beschimpft hatte. Er erlangte in den sozialen Netzwerken als »Hutbürger« Bekanntheit. »In den letzten Jahren sind die, die auf Hass und Hetze setzen, lauter geworden. Und das sollten wir nicht zulassen«, forderte die Politikerin couragierte Gegenwehr.

Als erstes hatten die Toten Hosen mit ihrem spontanen Gastspiel 2016 dem »Forstrock« in Jamel bundesweite Aufmerksamkeit beschert. Im Jahr darauf spielten Die Ärzte auf der Bühne hinter dem Forsthaus. Die Initiatoren Birgit und Horst Lohmeyer halten die Namen der Bands bis zu den Auftritten geheim, um den politischen Charakter des Festivals zu stärken, wie sie sagen. Die 1200 Karten für das Musikfest seien dennoch schon seit Februar ausverkauft gewesen.

Headliner des Freitags waren die Rapper Casper und Marteria, außerdem spielten Kettcar aus Hamburg und die Rostocker Punkband Dritte Wahl, die in diesem Jahr ihr 30. Bühnenjubiläum begeht. Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch erklärte unter großem Applaus zum Song »Sommer '89«, in dem die Geschichte eines Fluchthelfers erzählt wird, der DDR-Bürgern über die österreichisch-ungarische Grenze half: »Der Song ist nur aus einem einzigen Grund geschrieben worden: Um daran zu erinnern, dass das Helfen durch Zäune ein zutiefst menschlicher Akt ist. Humanismus ist nicht verhandelbar.«

Das Festival, das neben Musik auch Informationsstände und Workshops bietet, endet am Samstagabend. Erwartet werden unter anderem noch Bosse, die Hip-Hopper Antilopengang sowie das Rap-Duo Audio 88 & Yassin. dpa/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -