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So ticken Wagenknecht-Anhänger

Linke und auch CDU-Wähler «mögen» die heftig gelobte und heftig kritisierte Politikerin

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 8 Min.

Seit Wochen wird in der gesellschaftlichen Linken und der politischen Öffentlichkeit über die neue linke Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht gestritten und diskutiert. Zunächst wurde auch über die Gründung einer neuen Partei spekuliert. Immerhin 34 Prozent könnten sich laut einer Emnid-Umfrage von Anfang August vorstellen, die linke Sammlungsbewegung zu wählen, Anfang Juni gaben das bei einer anderen Umfrage im Auftrag der «Bild»-Zeitung nur 25 Prozent an. Aktuell verkünden Wagenknecht und ihre Mitstreiter, man wolle auf Listen linker Parteien antreten. Auch wenn Wagenknecht vorerst nicht für die Sammlungsbewegung zur Wahl steht, die heftig kritisierte und gelobte Politikerin hat und wird weiterhin eine zentrale Rolle in dem Projekt spielen.

Ein Blick auf Umfragedaten von YouGov zu den Anhängern der Linkspartei-Politikerin gibt Hinweise darauf, wer Wagenknecht als derzeit dominante Figur von aufstehen unterstützt. Die Meinungsforscher befragen regelmäßig Tausende Menschen in Deutschland, die auf dem Onlineportal der Forscher registriert sind. Für Zeitungen, Parteien oder Stiftungen erhebt das Datenunternehmen - wie andere Umfrageunternehmen auch - Fragen wie die Sonntagsfrage, also welche Partei die Menschen wählen würden, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. YouGov befragt seine Umfrageteilnehmer auch zu anderen Themen, etwa welche Marken sie gut finden, wie sie zu aktuellen politischen oder popkulturellen Fragen stehen, welche Filme und Musiker ihnen gefallen und was sie über Prominente denken.

Eine Annäherung

Alle diese Antworten von Umfrageteilnehmern, die über Monate und Jahre hinweg angemeldet sind und immer mehr Fragen zu immer mehr Themen beantworten, werden in einer Datenbank zusammengeführt und können anschließend frei kombiniert werden. Bei YouGov heißt dieses System «Profiles». Normalerweise wird es von Unternehmen genutzt. Deren Marketingabteilungen können mit den Profiles-Daten herausfinden, wie ihre Kunden und potenziellen Käufer zu Marke und Produkt stehen und wie etwa die Zielgruppe einer neuen Werbekampagne tickt. Doch das Tool kann auch für politische Analysen, etwa zu Sahra Wagenknecht und den möglichen Wählern ihrer linken Sammlungsbewegung, genutzt werden.

«Natürlich heißt Wagenknecht mögen nicht automatisch, dass diese Menschen auch für die Sammlungsbewegung oder ihre Kandidaten stimmen würden», schränkt der unabhängige Politikberater Rainer Faus ein. Bernd Lucke etwa sei trotz großer Bekanntheit mit seiner Parteineugründung «Alfa» krachend gescheitert. Doch «mangels besserer Daten» könne die Unterstützung für Wagenknecht als eine Annäherung an ein Milieu betrachtet werden, das die Sammlungsbewegung unterstützen könnte, meint der Geschäftsführer der pollytix gmbh, der sonst Parteien, Verbände und Unternehmen in Fragen öffentlicher Meinung und Meinungsbildung berät.

Rund 1800 Personen haben bei YouGov angegeben: «Sahra Wagenknecht? Mag ich!» Da diese Menschen auch andere Fragen zu ihrer sozialen Situation und ihren Einstellungen beantwortet haben, kann mit den Daten auch ein erstes Bild über ein Milieu gezeichnet werden, das in den letzten Monaten vor allem durch deutsche Feuilletons gegeistert ist. Manche Vermutungen über Anhängerinnen und Anhänger von Wagenknecht werden eher bestätigt, andere nicht.

Ein Querschnitt der Bevölkerung

Die Gruppe der Wagenknecht-Anhänger ist - im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung - eher männlich. 60,7 Prozent der Personen, die angeben, die Politikerin zu mögen, sind Männer, 39 Prozent Frauen. Unter den YouGov-Befragten insgesamt sowie in der Bevölkerung ist das Verhältnis dagegen 51,5 zu 48,5 Prozent.

Das persönliche monatliche Nettoeinkommen der Gruppe entspricht in etwa der Verteilung der Gesamtbevölkerung. Vor allem bei denen, die unter 1500 Euro pro Monat zur Verfügung haben gibt es jedoch mehr Unterstützung für Wagenknecht, auch wenn die Unterschiede in absoluten Zahlen gering sind. In Bezug auf verfügbare Einkommen bildeten die Unterstützer von Wagenknecht ein «Querschnitt der Bevölkerung ab, allerdings mit Häufung bei niedrigen bis mittleren Einkommen, sagt Umfrageforscher Rainer Faus.

Deutliche Unterschiede gibt es hingegen beim Alter, es gilt: Je älter, desto mehr Unterstützung für Wagenknecht. 64 Prozent von denen, die die Linkspartei-Politikerin mögen, sind 50 Jahre oder älter. Bei den 40 bis 49-Jährigen entspricht der Anteil der Wagenknecht-Unterstützer fast genau der Größe dieser Gruppe in der Durchschnittsbevölkerung (16 zu 17 Prozent). So wie ältere Deutsche die aufstehen-Politikerin signifikant mehr mögen ist sie bei Jüngeren signifikant unbeliebter. Sieben Prozent ihrer Unterstützer sind 18 bis 29 Jahre alt, der Anteil dieser Altersgruppe liegt insgesamt bei 17 Prozent.

Wagenknecht-Fans sind gebildeter als die Durchschnittsbevölkerung und der durchschnittliche YouGov-Umfrageteilnehmer. Während in der ersten Gruppe 47 Prozent der Befragten Abitur haben, sind es bei letzter nur 41 Prozent. Offenbar spricht die Politikerin hier etwas mehr Menschen mit höherer Bildung an. Keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen dem Durchschnittsumfrageteilnehmer und den Wagenknecht-Fans gibt es bei anderen Bildungsabschlüssen.

Auf einer 10-Punkte Skala (von 0 ganz links bis 10 rechts) fragt YouGov die politische Selbsteinstufung ab. Unter den Wagenknecht-Anhängern gibt es nicht mehr Linksradikale als in der Durchschnittsbevölkerung, vor allem aber gibt es unter ihnen deutlich weniger Menschen, die sich genau in der politischen Mitte einstufen. Deutlich öfter als im Durchschnitt stufen sich Wagenknecht-Anhänger als links ein (42 Prozent). 34,9 Prozent ihrer Anhänger verorten sich in der Mitte, das ist sind signifikant weniger als in der Durchschnittsbevölkerung (46 Prozent). Insgesamt 24 Prozent der Wagenknecht-Unterstützer sehen sich rechts der Mitte.

Stark politikinteressiert

Vor allem aber sind die Wagenknecht-Befürworter stark politisch interessiert. 68 Prozent geben an, ziemlich oder sehr stark politisch interessiert zu sein, im Durchschnitt sind es nur 36 Prozent. Sie sind deutlich weniger häufig als Durchschnittsdeutsche Mitglied in einem Fitnessclub oder in einem Fußballverein, engagieren sich etwa genauso häufig in der freiwilligen Feuerwehr oder im Schützenverein und sind signifikant häufiger in politischen Organisationen wie dem Mieterverein oder in einer Gewerkschaft (14,5 zu 8,9 Prozent). Insgesamt zeigen sie sich ähnlich engagiert in ihrer Freizeit für gute Zwecke wie die Durchschnittsbevölkerung. 45 Prozent sagen, sie engagieren sich gern, 47 Prozent stimmen der Aussage nicht zu. »Passives Politikinteresse« nennt Politikberater Faus das allgemein starke politische Interesse bei eher durchschnittlichem tatsächlichen gesellschaftlichen Engagement.

Die politische Herkunft der Wagenknecht-Unterstützer ist divers. Wagenknecht-Anhänger kommen »politisch überwiegend erwartungsgemäß« aus dem linken Lager, erklärt Peter Mannott, Teamleiter von YouGov Political. »Eine durchaus substanzielle Anzahl rekrutiert sich jedoch auch aus der Gruppe der Nichtwähler und von CDU/CSU-Wählern bei den letzten Bundestagswahlen«.

Langfristig steht ein Viertel von ihnen der Linkspartei nahe, 18 Prozent neigen keiner Partei zu. Doch immerhin 11,6 Prozent neigen langfristig der AfD zu - ein höherer Anteil als im Bevölkerungsdurchschnitt. 14 Prozent sehen ihr politisches Zuhause ansonsten bei der CDU/CSU - ein allerdings deutlich niedrigerer Wert als in der Durchschnittsbevölkerung. 16 Prozent verorten sich bei der SPD. Die langfristige Parteineigung nehme zwar ab, sei aber weiterhin wichtig, meint Mannott. Für das tatsächliche Wahlverhalten spielten aber auch kurzfristige Faktoren wie Kandidaten und strategisches Wahlverhalten eine Rolle.

Betrachtet man das tatsächliche Wahlverhalten bei der vorletzten Bundestagswahl 2013, zeigt sich ein ähnliches Bild. Wähler aller Parteien - vor allem aber der Linkspartei und der SPD sowie Nichtwähler - mögen Sahra Wagenknecht. 13,7 Prozent ihrer Fans wählten die Linkspartei, 23 Prozent die SPD, 15,7 Prozent wählten gar nicht - ein Hinweis darauf, das eine Sammlungsbewegung tatsächlich einige Nichtwähler für sich gewinnen könnte.

19,7 Prozent gaben bei der vorletzten Bundestagswahl der CDU oder CSU ihre Stimme und 4,9 Prozent der AfD. Die Rechtsaußenpartei hatte 2013 insgesamt 4,7 Prozent der Stimmen erhalten. Die Daten zum Wahlverhalten der Umfrageteilnehmer bei der Bundestagswahl 2017 hat YouGov, auch wegen der Datenschutzgrundverordnung, noch nicht ausgewertet.

Pessimistischer Blick auf die Welt

In ihren grundsätzlichen Einstellungen zeigen sich Wagenknecht-Anhänger eher pessimistisch. 51 Prozent meinen, »früher« war die »Welt genauso gut oder schlecht«, während 37,7 Prozent denken, früher war »alles besser«. Damit zeigt sich eine große Gruppe der Wagenknecht-Unterstützer deutlich pessimistischer als die Durchschnittsbevölkerung. Gleichzeitig guckt die Gruppe sorgenvoller in die Zukunft als der Durchschnitt - 67,7 Prozent derer, die Wagenknecht mögen, denken, die Welt wird »schlechter«. Nur 7,5 Prozent meinen, die Welt wird besser.

Und sie zeigen sich verhalten konservativ. Zwar sagen 85 Prozent der Wagenknecht-Fans, sie entdeckten gerne andere Kulturen und neue Ideen. Andererseits meinen zum Beispiel 41 Prozent, ohne Smartphone wäre die Welt besser (ebenfalls 41 Prozent antworten hier: weder, noch). Während 51 Prozent der Aussage nicht zustimmen, dass »Vorurteile über andere Gruppen normalerweise wahr sind«, tun dies 40,9 Prozent.

Der Islam gehört zu Deutschland: Dieser Aussage stimmen 68 Prozent von ihnen eher nicht (19 Prozent) oder überhaupt nicht (49 Prozent) zu. Diese Islam-Ablehnung ist damit deutlich in dieser Gruppe verbreiteter als in der Durchschnittsbevölkerung.

Wagenknecht-Anhänger sind doppelt so häufig wie der Durchschnittsbürger eher oder auf jeden Fall zufrieden damit, dass Russlands Präsident Wladimir Putin wiedergewählt wurde (38 zu 16 Prozent).

Konservativ und links?

Ihre Einstellungen vertreten sie dabei offenbar selbstbewusst. 93 Prozent erklären, sie würden ihre Meinung bei Themen, die ihnen wichtig seien »offen sagen«. Und sie teilen noch stärker Einschätzungen, die Politikwissenschaftler wie Colin Crouch einer Postdemokratie zuordnen oder als unpolitische Politik bezeichnen: Dass es zwischen den großen Parteien keine großen Unterschiede gibt, und dass sie sich von der Politik nicht angemessen vertreten fühlen. 76 Prozent von ihnen glauben, dass die Welt »insgeheim von einigen Wenigen regiert wird«.

Das Freihandelsabkommen TTIP ist vielen Wagenknecht-Anhängern wichtig (35 Prozent, 17 Prozent in der Durchschnittsbevölkerung). Auch gentechnisch veränderte Lebensmittel sind ein wichtigeres Thema für sie.

Insgesamt aber nennen Wagenknecht-Befürworter Einwanderung und die Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen besonders häufig als wichtiges politisches Thema (43 Prozent). Ebenfalls wichtige Themen sind die Europäische Union und der Mindestlohn, der Klimawandel und der Atomausstieg sowie islamistischer Terrorismus. Nur etwa zehn Prozent nennen dagegen die Legalisierung von Marihuana und die Autobahnmaut sowie eine Frauenquote in Firmenvorständen und die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften.

Obwohl Sahra Wagenknecht mehrheitlich »eher Wählern aus dem linken Lager und der Linkspartei gefällt, korrespondiert die Bedeutung von Einwanderung als wichtiges Thema mit der Unterstützung Wagenknechts durch AfD-Wähler«, meint pollytix-Gründer Faus. Offenbar habe hier die Übernahme eher nationaler Positionen Wirkung gezeigt. »Gleichzeitig dürfte die Strategie, Rechte zu bekämpfen, indem man ihre Positionen übernimmt, weite Teile der klassischen Linken-Wählerschaft eher abschrecken«, vermutet Faus.

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