Werbung

Europas Felle schwimmen davon

Für Jörg Kronauer ist die Kritik der ehemaligen Kolonialstaaten an Chinas Afrikapolitik scheinheilig

  • Jörg Kronauer
  • Lesedauer: 4 Min.

China zieht allen davon: Anders kann man die Ergebnisse des China-Afrika-Gipfels Anfang dieser Woche in Peking aus Sicht der westlichen Mächte kaum bilanzieren. Da hat zum Beispiel die Bundesregierung gerade erst mit pompösem Trara den »Compact with Africa« von den G20 verabschieden lassen, ein Programm, das offiziell den afrikanischen Staaten natürlich nur »helfen« soll, das Berlin jedoch nutzen will, um deutschen Unternehmen zusätzliche Investitionschancen zu eröffnen. Und was geschieht? China, das bereits seit einem knappen Jahrzehnt der größte Handelspartner des afrikanischen Kontinents ist und dort mehr Infrastruktur finanziert als alle anderen Staaten, kündigt neue Kredite und Investitionen in Afrika im Wert von stolzen 60 Milliarden US-Dollar in den nächsten drei Jahren an. Um daran teilhaben zu können, haben 53 der 54 Staaten des Kontinents Repräsentanten - meist Staats- und Regierungschefs - in die chinesische Hauptstadt entsandt. Nur Swasiland hält an seinen Beziehungen zu Taiwan fest und bleibt dem Gipfel - noch - fern.

Weil China seinen ökonomischen Einfluss in Afrika rasant ausbaut, ist es in der westlichen Öffentlichkeit seit einiger Zeit hip, dem Land einen neuen Kolonialismus vorzuwerfen. Das hat schon was: Die alten Kolonialmächte, die Afrika unter ihrer Herrschaft wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch so zugerichtet haben, dass es bis heute nicht auf die Beine kommt, sie also werfen einem Land, von dem sie Teile einst ebenfalls kolonisierten, vor, sich ihre früheren Kolonien zu unterwerfen.

Doch was geschieht gerade in Afrika? Wechseln die afrikanischen Länder nur den Ausbeuter, der ihre Rohstoffe bezieht, um im Gegenzug Industrieprodukte zu verkaufen? Weiß man denn nicht, dass China in großem Stil Landgrabbing in Afrika betreibt? Und führen die Milliardenkredite die Empfänger in eine neue Schuldenfalle?

Sucht man Antworten, dann lohnt es, zunächst die Fakten zu prüfen. Immer noch heißt es zum Beispiel, chinesische Unternehmen beschäftigten in Afrika nur chinesische Arbeitskräfte; die Bevölkerung vor Ort gehe leer aus. Die Beratungsfirma McKinsey hat den alten Vorwurf untersucht. Das Ergebnis: 89 Prozent der Beschäftigten chinesischer Unternehmen in Afrika sind Einheimische; zwei Drittel aller chinesischen Firmen bilden afrikanische Arbeitskräfte fort. Stichwort Landgrabbing: Ein Forscherteam der renommierten Johns Hopkins School of Advanced International Studies in Washington hat diesbezügliche Vorwürfe untersucht. Ihr Resultat: Ein Drittel der Vorwürfe war frei erfunden, der Rest hatte entfernt irgendetwas mit China zu tun. Tatsächlich erworben hatten chinesische Firmen ganze vier Prozent der Fläche, von der in westlichen Medien die Rede war.

Alles in Butter also? Wenn es nur so einfach wäre! Viele Fallen lauern auf dem Entwicklungsweg, den Peking in Afrika angestoßen hat. Chinesische Firmen haben begonnen, bestimmte Produktionsbereiche - Textilien etwa - nach Afrika zu verlagern, da die Löhne dort niedriger sind. Das ostafrikanische Ruanda ist ein Beispiel dafür. Wird Ruanda nun, sagen wir, ein zweites Tunesien, das dem Zustand eines perspektivlosen Niedriglohnstandorts nicht mehr entrinnt? Erste Berichte stimmen optimistisch. Demnach nutzen die ersten Ruander mittlerweile das Know-how, das sie in chinesischen Fabriken erworben haben, um eigene Firmen aufzubauen. Unter anderem über die Textilbranche strebt Kigali einen industriellen Aufstieg à la China an. Man muss sehen, ob das gelingt.

Und die Schuldenfalle? Im Juli geisterte die Meldung durch die Welt, Kenia habe über 70 Prozent seiner Auslandsschulden bei China aufgenommen. Recherchen ergaben: Es handelt sich um 72 Prozent nur der bilateralen Schulden, umgerechnet 21,3 Prozent der kenianischen Gesamtschuld. Deutlich höher ist der Betrag, den Kenia von multilateralen Gebern wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank erhalten hat. Drei Länder - Sambia, die Republik Kongo und Dschibuti - sind allerdings wirklich vor allem bei der Volksrepublik verschuldet. Staatspräsident Xi Jinping hat auf dem China-Afrika-Gipfel für solche Fälle einen Schuldenerlass in Aussicht gestellt. Ob es dazu kommt, das wird eine ebenso wichtige Frage bei der Beurteilung von Chinas Rolle in Afrika sein wie diejenige, ob Peking tatsächlich eine eigenständige Industrialisierung des Kontinents möglich macht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -