Hormone, Geschlecht und fairer Wettkampf
Viel Testosteron, viel Leistung - so lautet die Rechnung mancher Doper. Studien legen nahe, dass es so einfach nicht ist. Von Tom Mustroph
Im Juni 2014 ging die indische Leichtathletin Dutee Chand zu einer ärztlichen Untersuchung. Ihr wurde mitgeteilt, dass es sich um Routinechecks handelte, um ein Profil der Athletin anzulegen. An Chand wurden aber auch Untersuchungen durchgeführt, die bei ihr den Verdacht erregten, dass es sich um einen verdeckten, vor ihr verheimlichten Test zur Bestimmung ihres Geschlechts handelte.
Das ist so nachzulesen in den Akten des Sportgerichtsverfahrens, das Chand gegen den Leichtathletikverband Indiens und auch den Leichtathletikweltverband IAAF anstrengte.
Der Prozess schrieb Geschichte für den Sport. Denn das Lausanner Schiedsgericht CAS befand im Juli 2015, dass die Kriterien, nach denen die Sportverbände bislang die Einteilungen in Männer und Frauen vornahmen und nach denen Athletinnen und Athleten, die diesen Kriterien nicht entsprachen, vom Wettkampf ausgeschlossen werden konnten, unzureichend waren. Die Sprinterin klagte sich damit in die Arenen zurück, wurde bei Olympia 2016 in Rio 50. über 100 Meter.
Ihre Leistung sorgte nicht für Aufmerksamkeit, ihre Testosteronwerte aber wohl. Die betrugen etwa 10 Nanomol pro Liter (nmol/L) - dreimal mehr, als sonst bei Frauen gemessen, und damit in einem Bereich wie bei Männern üblich. Der Normbereich dort liegt zwischen 10 nmol/L und 30 nmol/L.
Diese Unterschiede sind nicht trivial. Testosteron lässt Muskeln schneller wachsen und regt auch die Bildung roter Blutkörperchen an. Mehr Muskeln, die von mehr Energie bewegt werden - auch deshalb sind Männer statistisch um zehn bis zwölf Prozent stärker als Frauen. Der Einfluss des Hormons ist sogar für Elitesportler nachgewiesen worden, in einer Studie von Marco Cardinale und Michael Henry Stone aus dem Jahre 2006 (»Journal of Strength and Conditioning Research«, 20(1), S. 103), bei der Leistungssportler gewissermaßen kontrolliert mit Testosteron gedopt wurden.
Der Anreiz, sich Testosteron zur Leistungssteigerung zuzuführen, ist daher groß. Das Mittel ist deshalb als Dopingpräparat verboten. Und ab 2011 schloss der Leichtathletikweltverband IAAF Frauen aus, die ein höheres Testosteronniveau als 10 nmol/L hatten.
Die Regel von 2011 hatte einen Namen: Caster Semenya. Die südafrikanische Mittelstreckenläuferin wurde 2009 in Berlin überlegen Weltmeisterin. Sie sah sich dem Verdacht ausgesetzt, ein Mann zu sein. Der Begriff »Gender Doping« war geboren. Er war gleich mehrfach falsch. Denn Semanya hatte sich das Testosteron nicht von außen zugeführt. Ein Mann war sie auch nicht. Erst recht keiner, der sich in ein Frauenfeld eingeschmuggelt hatte.
Semenya ist intersexuell. Das wird landläufig als »nicht Frau, nicht Mann«, als »zwischen den Geschlechtern« bezeichnet. Diese Kategorisierung unterschlägt, dass Menschen nicht dichotomisch nur männlich oder weiblich sind. »Männlich und weiblich sind vom medizinischen Standpunkt aus Extrempunkte eines geschlechtlichen Kontinuums. Unser Geschlecht wird bestimmt durch eine Hormon produzierende Drüse, die bei Männern und Frauen unterschiedlich ist und Unterschiedliches kann, aber auch durch einen Organismus, der auf die dort gebildeten Hormone reagieren können muss, und durch einen Stoffwechsel, der diese Hormone ineinander umwandelt«, erläutert der Endokrinologe Martin Bidlingmaier von der Uniklinik München.
Diese unterschiedlichen »Stellschrauben« im menschlichen Körper können dazu führen, dass Personen, die zwar über einen männlichen Chromosomensatz XY verfügen und deren Drüsen auch entsprechend viel Testosteron produzieren, dennoch als Phänotyp einen weiblichen Körper haben. Ursache kann eine Androgenresistenz sein; das viele Testosteron im Körper wird gar nicht oder nur marginal umgesetzt.
Bei Chand wurde eine solche Androgenresistenz diagnostiziert. Ob das auch bei Semanya zutrifft, ist unbekannt. Dennoch ist fraglich, ob sich allein aus gemessenen Testosteronwerten im Körper ein Leistungsvorteil ableiten lässt.
Die Sportverbände legten sich dennoch fest. Die IAAF reduzierte in diesem Jahr sogar den Grenzwert von 10 nmol/L auf 5 nmol/L. Hintergrund waren Forschungen der Transgender-Leichtathletin und Forscherin Joanna Harper. Harper wurde als Mann geboren, unterzog sich 2004 aber einer Geschlechtsumwandlung. Die dabei verabreichte Hormontherapie führte zu einem Absinken der Testosteronwerte. Harper erzielte nun Laufleistungen, die zu ähnlichen Platzierungen im Frauenfeld führten, wie sie sie zuvor, vor der Geschlechtsumwandlung, im Männerbereich verbucht hatte.
Harper stellte eine Studie mit acht Transgender-Sportlern an, deren Ergebnisse sie im »Journal of Sporting Cultures and Identities«, DOI: 10.18848/2381-6678/CGP/ v06i01/ 54079) publizierte. Dabei zeigte sich, dass Männer, die eine Geschlechtsumwandlung vorgenommen hatten, ihre physischen Vorteile - abgesehen vom größeren Körperbau - nicht mit in ihr Frauendasein mitbrachten.
Harpers Forschungen bereiteten den Weg dafür, dass Transgender-Frauen nun binnen eines Jahres nach vollzogener Hormontherapie auch als Frauen zum Wettkampfsport auf höchstem Niveau zugelassen sind. Bisher waren sie oft ähnlichem Verdacht ausgesetzt wie intersexuelle Sportlerinnen.
Die neue Regel, die Transgender-Athletinnen die Tür öffnete, schloss sie allerdings zugleich für intersexuelle Sportlerinnen. Diese werden von der IAAF verpflichtet, mittels Hormontherapien ihre Testosteronwerte zu senken. Sonst dürfen sie nicht zu WM oder Olympia. Ethisch ist dies fragwürdig. Medizinisch auch, solange jedenfalls, wie unklar ist, ob der individuelle Organismus die hohen Testosteronanteile auch entsprechend umsetzt.
Selbst wenn es so wäre: Besteht Talent im Sport nicht auch darin, dass einer die längeren Beine, der andere ein größeres Herz hat und wieder ein anderer über eine Hormonvarianz verfügt, die ihn länger schnell laufen, schwimmen lässt?
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