Gegen die Arroganz der Macht

Im Kino: Oliver Haffners Spielfilm »Wackersdorf«

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Man fühlt sich ein wenig geschmeichelt, wenn Ereignissen, an denen man selbst beteiligt war, ein Spielfilm gewidmet wird. »Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran«. Diese Textzeile der Band Fehlfarben, war in den achtziger Jahren eine bei Demonstrationen gerne - und mit ein wenig Selbstironie - gerufene Parole. Und immerhin: Wackersdorf, der Protest gegen den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) im bayerische Landkreis Schwandorf, hat Geschichte gemacht und auch dazu beigetragen, den Boden für den Atomausstieg zu bereiten.

Oliver Haffner gleichnamiger Spielfilm erzählt jedoch keine allgemeine Geschichte des Widerstands und wartet auch nicht mit spektakulärer Action am Bauplatz auf, die nur in kurzen Dokumentarszenen gezeigt wird. »Wackersdorf« konzentriert sich auf eine Person, den Landrat Hans Schuierer, und dessen Weg zum Widerstand. Diesen Landrat gibt es wirklich, er trägt im Film als einziger seinen echten Namen, doch auch die anderen Personen, ob ehrgeiziger Staatssekretär oder renitente Protestierende, kommen ihren zeitgeschichtlichen Vorbildern sehr nahe. Der halbdokumentarische Ansatz mag problematisch erscheinen, da nicht immer klar ist, was Fakt und was Fiktion ist. Doch erhebt der Film nicht den Anspruch, eine exklusive Wahrheit über Wackersdorf zu zeigen, und die Dramaturgie eines Spielfilms erlaubt es, eine Besonderheit der damaligen Proteste in den Blick zu nehmen.

Wohl an keinem anderen metropolenfernen Standort eines Industrieprojekts in Deutschland wurde der Widerstand in so starkem Ausmaß von der örtlichen Bevölkerung organisiert und getragen, und dies kam für alle - die entsetzte bayerische Landesregierung ebenso wie die erstaunten Autonomen und wohl auch für die Einheimischen selbst - überraschend. Immerhin, und damit beginnt der Film, bestand die Chance, mit einem vermeintlich sauberen Projekt 3000 Arbeitsplätze in einer Region zu schaffen, die gerade durch das Ende des Bergbaus deindustrialisiert worden war. Schuierer, ein Sozialdemokrat, unterstützt zunächst die Pläne für den Bau der WAA. Aber er besitzt zwei nicht nur bei Politikern seitdem seltener gewordene Tugenden: Er hält am rechtsstaatlichen Verfahren fest, auch wenn es für ihn unbequem ist, und er informiert sich selbst über die Atomkraft, liest sogar Bücher.

Als Schuierer den rechtswidrigen Abriss eines von Umweltschützern errichteten Holzturms nicht stoppen kann und aus den Bauplänen erfährt, dass die angeblich ungefährliche Anlage einen 200 Meter hohen Schornstein haben soll, verstärken sich seine Zweifel und er wird zum Gegner des Projekts und damit zum Ziel der Intrigen der bayerischen Landesregierung. Wie zahlreiche andere Menschen in seiner Umgebung, die angesichts von Polizei- und Verwaltungsschikanen einer Landesregierung, die das Projekt um jeden Preis durchsetzen will, den dubiosen Versprechen immer weniger Glauben schenken - und in zum Teil heftigen Streit mit jenen geraten, die es weiter tun.

Der Konflikt über die Nutzung der Atomkraft wird inhaltlich nicht thematisiert. »Wackerdorf« ist ein Film über Macht, Ohnmacht und Gegenmacht, über Menschen, die sich nicht alles gefallen lassen wollen. Haffner arbeitet mit viel Liebe zum Detail das Machtgefälle szenisch und bildlich heraus. So sieht man den in Ungnade fallenden Landrat verloren in den imposanten heiligen Hallen der bayerischen Staatsmacht und empört vor einem bornierten Einsatzleiter der Polizei stehen, nachdem man zuvor schon gelernt hat, dass man einem CSU-Minister nicht trauen darf, auch wenn er einem Weißwurst bringt, und es viel über einen Menschen aussagt, wie er diese verzehrt.

Ein Nachteil der halbdokumentarischen Inszenierung ist, dass der Film gewissermaßen mittendrin abbricht und mit den dokumentierten Folgen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 endet. Danach verliefen die gegen Schuierer angestrengten Disziplinarverfahren ebenso im Sande wie der Bau der WAA, der 1989 eingestellt wurde. Wohl nicht wegen des Widerstands, der Pfingsten 1986 seinen Höhepunkt erreichte, sondern aus wirtschaftlichen Motiven (die Wiederaufarbeitung in Frankreich war viel billiger) und möglicherweise aus politischen Gründen. Franz Josef Strauß, der Hauptbefürworter einer deutschen Nuklearrüstung wie auch der ökonomisch unsinnigen, aber für die Produktion von Material für Atomwaffen tauglichen WAA, war 1988 gestorben.

Unserer Pfingsten 1986 nach Wackersdorf angereisten Gruppe hätte Schuierer als Spießer und Abwiegler gegolten, wenn wir ihn gekannt hätten; im Film wie im wirklichen Leben mussten er und die Protestbewegung sich erst zusammenraufen, nachdem er zum WAA-Gegner geworden war. Wie aber lernt der Mensch, ein Dissident und Protestierender zu werden? Die Arroganz der Macht, das zeigt der Film »Wackersdorf« sehr gut, kann dabei sehr hilfreich sein.

»Wackersdorf«. Regie: Oliver Haffner. Mit Johannes Zeiler, Anna Maria Sturm, Peter Jordan, Florian Brückner. Deutschland 2018, 122 Minuten.

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