- Berlin
- Liebig 34
Wenn wir das Haus geschenkt kriegen, gehen wir freiwillig
Die Bewohnerinnen des Hausprojekts »Liebig 34« demonstrieren gegen eine drohende Räumung - Unterstützer besetzen kurzfristig eine Wohnung in einem anderen Haus
Kurz vor zwei Uhr in der Nacht zum Sonntag schaffte es die Polizei nach fünf Stunden, eine besetzte Wohnung in Friedrichshain zu räumen. 20 Personen hatten die Wohnung in dem leerstehenden Mehrfamilienhaus im Weidenweg 63 am Abend besetzt, um unter anderem für den Erhalt des queer-feministischen Hausprojekts in der Liebigstraße 34 (»Liebig34«) zu demonstrieren. Am frühen Abend war eine dafür eine Demonstration durch den Friedrichshainer Nordkiez gezogen.
Bis weit nach Mitternacht harrten vor dem Haus Dutzende Aktivist*innen aus und zeigten sich mit den Besetzer*innen solidarisch. Vereinzelt kam dabei es zu Rangeleien mit der Polizei. Eine spontane Sitzblockade vor dem Hauseingang wurde von Beamt*innen aufgelöst. »Personen, die sich auch nach mehrfachem Bitten aus dieser Sitzblockade nicht entfernt haben, mussten beiseite getragen werden«, beschrieb die Polizei in einer Mitteilung die Situation. Die Aktivist*innen zeichneten später von der Räumung ein weniger harmonisches Bild. Sie twitterten: »Menschen wurden an den Haaren gezerrt, gegen Wände geschleudert, getreten und geschlagen. @polizeiberlin dreht hinter geschlossenen Türen völlig frei.«
»Wir zeigen uns mit der Besetzung solidarisch mit der Liebigstraße 34«, erklärte eine Sprecherin der Besetzer*innen noch vor der Räumung dem »nd«. »Wir haben einen Schenkungsvertrag für die Liebigstraße 34 vorbereitet. Wenn der Eigentümer Giora Padovicz den unterschreibt, verlassen wir freiwillig das Haus im Weidenweg.« Nach Angaben der Sprecherin, die sich Maxi nennt, stünden die Wohnungen in dem Haus im Weidenweg bereits seit rund einem Jahr leer. »Das ist damals entmietet worden«, ergänzte ein anderer Aktivist.
Nach Informationen der Berliner Mietergemeinschaft hatte die Siganadia GmbH - vertreten durch Padovicz - bereits 2016 Modernisierungsankündigungen, verbunden mit der Verdreifachung der Miete, verschickt. Daraufhin sei ein Großteil der Mieter*innen ausgezogen, ein Bauantrag für die Maßnahmen legte der Eigentümer aber nicht vor. Seitdem stehe das Haus größtenteils leer. »Das ist spekulativer Leerstand«, meint Maxi, »wir verstehen nicht, wieso der Senat weiter mit Kriminellen wie Arcelius, CG-Gruppe oder den diversen Firmen von Padovicz, zusammenarbeitet«.
Das zum Ende des Jahres von der Räumung bedrohte Hausprojekt »Liebig34« liegt im Friedrichshainer Nordkiez direkt am von Szeneaktivist*innen so genannten »Dorfplatz« an der Ecke Liebigstraße/Rigaer Straße. Gleich daneben liegt das Hausprojekt »Rigaer94«. Vor zehn Jahren schlossen die Bewohner*innen in Anbetracht der bevorstehenden Räumung einen Pachtvertrag für zehn Jahre ab. Der Vertrag läuft nun zum Ende des Jahres aus. Bewohner*innen berichten, dass sie mehrfach versucht haben, zum Eigentümer Padovicz Kontakt aufzunehmen - allerdings ohne Erfolg.
Das Hausprojekt »Liebig34« ist einzigartig in Berlin, da es ein rein queer-feministisches Wohnprojekt für Frauen, inter- und transsexuelle Menschen ist. Rund 40 - zumeist sehr junge - Menschen leben hier. Sie betrachten den Ort als Freiraum für ihre »unterschiedlichen Backgrounds«, wie es eine Bewohnerin, die sich Emma Stern nennt, vor einigen Wochen dem »nd« berichtete. »Das ist mehr als ein Zuhause«, sagte sie damals. »Einige von uns haben Diskriminierungserfahrungen. Wir kommunizieren fast ausschließlich auf Englisch und lernen viel voneinander. In dem Haus gibt es unter andere eine Werkstatt, einen Sportraum, einen Probenraum, einen Veranstaltungsraum und den Infoladen ›daneben‹.«
Bei der Demonstration, die im Vorfeld der Besetzung stattfand, waren gut 1000 Menschen für den Erhalt des Hausprojekts »Liebig34« und für eine andere Wohnungspolitik auf der Straße gegangen. Die Demonstrationsroute führte an mehreren Häusern der Unternehmensgruppe Padovicz vorbei. Mieter*innen berichteten in Redebeiträgen von Schwierigkeiten mit Hausverwaltung oder Eigentümer, von Kündigungen und Räumungen. Die Forderungen reichten von einer sozialen Wohnungspolitik bis zur Enteignung von Hausbesitzer*innen. Auch eine Renaissance von Besetzungen leerstehender Häuser und die Abschaffung der sogenannten Berliner Linie, die Räumungen innerhalb von 48 Stunden vorsieht, wurde thematisiert.
Mittlerweile organisieren sich immer mehr betroffene Mieter*innen im Kiez. Seit rund einem Jahr existiert auch der »Padovicz WatchBlog«, auf dem Neuigkeiten rund um den umstrittenen Immobilieneigentümer gepostet werden. Auf der Seite gibt es auch eine interaktive Karte von Häusern dieses Eigentümers. Aktuell sind Mieter*innen im Rahmen einer Umfrage aufgerufen, ihre eigenen Erfahrungen die Blogbetreiber*innen zu schicken.
Die Bewohner*innen der Liebigstraße 34 haben bereits angekündigt, ihr Haus Ende des Jahres nicht freiwillig zu verlassen. Dann könnten die Unruhen im Friedrichshainer Nordkiez wieder verstärkt aufflammen.
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