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- Besetzen in Berlin
»Wir haben nichts zu verlieren außer die nächste Mieterhöhung«
Maxi Anders über die Kampagne #besetzen gegen Spekulationen auf dem Wohnungsmarkt
Am Samstag haben Sie zum 4. Mal in diesem Jahr ein Haus besetzt…
Zum 14. Mal: Am Pfingstwochenende gab es neun Besetzungen in Berlin und eine in Potsdam. Seitdem gab es eine weitere Besetzung in Potsdam, außerdem die Besetzung des Googlecampus, der Großbeerenstraße 17a und am Samstag des Weidenwegs 63.
Der Polizei werfen Sie vor, sich bei der Räumung am Samstag sexistisch gegenüber den Besetzer*innen verhalten zu haben. Was war da los?
Die Polizist*innen hat die Besetzer*innen in Männer und Frauen aufgeteilt und in unterschiedliche Räume gebracht. Das hatten wir bei den früheren Besetzungen nicht erlebt. Die Polizist*innen haben die Menschen häufiger als notwendig als Mann oder Frau angesprochen, Einzelnen gesagt, sie sollten besser aufstehen statt sich wegtragen zu lassen, mit dem Zusatz: »Du bist eine Frau, dir tut das weh.« Einer Frau wurde auch gesagt: »Du kannst das ja gut, die Beine breit machen.« Es schien, als fühlten sich die Polizisten davon provoziert, dass wir uns als explizit queerfeministische Besetzung verstanden haben, bei der wir Geschlechterzuschreibungen gerade abgelehnt haben.
Queerfeministisch, weil die Besetzung eine Solidaritätsaktion für die Liebigstraße 34 war, ein Hausprojekt für Frauen*, dessen Vertrag Ende des Jahres ausläuft.
Genau. Das Haus im Weidenweg 63 gehört wie die Liebig34 der Unternehmensgruppe Padovicz. Die Bewohner*innen haben mehrfach versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, um über eine Verlängerung des Pachtvertrags zu verhandeln, er hat bisher aber nicht darauf reagiert. Wir akzeptieren nicht, dass Padovicz im Weidenweg 63 mit Leerstand spekuliert, während ein paar Straßen weiter ein queerfeministisches Projekt in einem seiner Häuser räumungsbedroht ist. Da zeigt sich klar, dass es ihm nur um Profit geht.
Wenn es ihm um Profit ginge, würde er die Wohnungen doch vermieten?
Er entmietet das Haus im Weidenweg und lässt es verfallen, bis eine teure Modernisierung rechtlich möglich ist. Padovicz und andere Eigentümer*innen sind die Begründer des Übels des spekulativen Leerstands. Wir kritisieren aber auch, dass der Senat nicht dagegen vorgeht. Es lief ein Verfahren gegen Padovicz wegen Zweckentfremdung, aber offensichtlich ohne Konsequenzen. Gleichzeitig bietet die Polizei Objektschutz für Leerstand von privaten Eigentümer*innen an. Deshalb nehmen wir die Politik jetzt selbst in die Hand.
Mit dem Ergebnis, dass Eigentum und spekulativer Leerstand jetzt breiter diskutiert werden. Die »Berliner Linie«, nach der seit Jahrzehnten Besetzungen nicht länger als 24 Stunden toleriert werden, steht zur Debatte, und einige Politiker*innen schwärmen von Zuständen wie in Zürich. Sind Sie damit zufrieden?
Die »Berliner Linie« ist kein Gesetz, sondern eine Richtlinie. Wenn man sie abschaffen wollte, könnte man das ganz einfach tun. Die »Züricher Linie« besagt, dass geräumt werden darf, wenn eine Nachnutzung erwiesen ist. Aber wenn die Nachnutzung Luxuswohnen vorsieht, geht das vollkommen an unseren Zielen vorbei. Die »Züricher Linie« ist lediglich Kosmetik. Die Politik tut das, was sie in Berlin schon seit Jahrzehnten tut - sie hält an Gentrifizierung als Paradigma der Stadtentwicklung fest und ist damit verantwortlich für tagtägliche Zwangsräumungen.
In der Bornsdorfer Straße 37b, die einer städtischen Wohnbaugesellschaft gehört, hat es etwa zwölf Stunden gedauert, bis das Haus geräumt war. Den Googlecampus haben die Besetzer*innen nach nicht einmal zwei Stunden verlassen, bevor die Polizei sie herausholen konnte. In der Großbeerenstraße 17a hat der Vertreter des katholischen Wohnungsunternehmens den Besetzer*innen erlaubt, bis zum 14. Oktober in einer Wohnung zu bleiben. Der Weidenweg 63 war nach fünf Stunden geräumt. Reagieren öffentliche und private Besitzer unterschiedlich auf die Besetzungen?
Der einzige Unterschied ist, dass die öffentlichen Akteure ihr Handeln vor der Stadtgesellschaft besser verkaufen müssen.
In der Bornsdorfer Straße wurde aber immerhin verhandelt, bevor die Polizei mit der Räumung begann.
Das war keine Verhandlung. Uns war zugesagt worden, dass wir ein Angebot der Wohnbaugesellschaft mit den Besetzer*innen im Haus besprechen können. Doch bevor das Verhandlungsergebnis da war, wurde geräumt. Daraus haben wir für die künftigen Besetzungen die Konsequenz gezogen, unter Räumungsdruck nicht zu verhandeln.
Schätzungen zufolge stehen 50 bis 60 Häuser leer. Heißt das, es wird noch 50 bis 60 Besetzungen geben?
Allein Padovicz hat mindestens 50 leere Wohnungen, aber Gesamtzahlen sind Spekulation. Der Leerstand insgesamt ist wesentlich höher - es kommt darauf an, was man als solchen bezeichnet. Ob zum Beispiel auch Ferienwohnungen dazu zählen. Dann sind wir schon bei zwei Prozent Leerstand in Berlin. Wir besetzen, solange wir müssen.
Besetzungen als Notwendigkeit? Was meinen Sie mit »müssen«?
Wir sind gegen Verdrängung, die es geben wird, solange Wohnraum als Ware gehandelt wird. Wir müssen besetzen, bis es keinen privaten Wohnungsmarkt mehr gibt und die Häuser denen gehören, die drin wohnen.
Das wird noch eine Weile dauern.
Wir wollen einen radikalen Wechsel, vielleicht dauert es eine Weile, aber immer mehr Menschen in der Stadt organisieren gegen die Politik des Senats und den Ausverkauf der Stadt. Wir sind eine wachsende Bewegung, das stimmt uns optimistisch. Die Akzeptanz in der Gesellschaft für Besetzungen steigt.
Meinen Sie nicht, dass bald ein Sättigungseffekt einsetzen wird?
Menschen leben auf der Straße - gesättigt an Wohnraum ist in dieser Stadt niemand, und wir wir bieten eine praktische Antwort. Für die Besetzungen vom Pfingstwochenende gab es ein riesiges Medienecho. Das gab es anschließend nicht mehr. Aber die Besetzungen werden trotzdem wahrgenommen, und wir erfahren viel Solidarität aus der Nachbarschaft. In der Großbeerenstraße haben wir so viele Möbel geschenkt bekommen, dass wir nach drei Tagen einen Geschenkestopp ausrufen mussten. Uns geht es nicht darum, die Medien zu erreichen, sondern die Hauseigentümer*innen. Je mehr Aktionen es gibt, desto eher verstehen die Hausbesitzer*innen, dass das keine Einzelfälle sind und dass nicht mehr länger hingenommen wird, dass Profitmaximierung über das Grundbedürfnis nach Wohnraum gestellt wird. Wir wollen mit den Besetzungen nicht nur Zeichen setzen, sondern praktische Veränderungen herbeiführen. Wir wollen unkommerzielles, selbstverwaltetes Wohnen.
In der Bornsdorfer Straße 37b in Neukölln wollten Sie ein soziales Zentrum einrichten, im Googlecampus die Nachbarn auf einer Kiezversammlung entscheiden lassen, was in dem Gebäude passieren soll, in der Großbeerenstraße 17a will eine Hausprojektgruppe gemeinschaftliches Wohnen im Alter erreichen.
Ja. besetzen ist eine Kampagne, keine geschlossene Gruppe. Jede*r kann sich ihr anschließen. Es gibt unzählige Gründe zu besetzen. Schon jetzt sind ganz unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Themen dabei. Wir haben noch einige Objekte im Blick, und es gibt noch weitere Gruppen, die besetzen wollen, unter anderem, um Wohnraum für Obdachlose zu schaffen.
Wer sich jetzt animiert fühlt, wendet sich einfach an Sie und erhält Unterstützung?
Ja, macht alle mit! Wir wollen uns öffnen und mehr werden und in Zukunft auch Workshops anbieten. Unser Wunsch ist, dass Räumungen irgendwann unmöglich werden, weil der Widerstand zu groß ist. Wir haben ja nichts zu verlieren außer die nächste Mieterhöhung.
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