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Lob der Querfront
Chantal Mouffe hat ein Vademecum für Sympathisanten von »Aufstehen« geschrieben
Wer den Neoliberalismus überwinden will, sollte dessen Sieg studieren. Das unternimmt Chantal Mouffe in ihrem Bändchen »Für einen linken Populismus« am Beispiel des Thatcherismus. Der verstand es um 1980, Bürokratie, Gewerkschaften und Hilfeempfänger als »Establishment« darzustellen und gegen sie ein Bündnis aus altem Empire-Konservatismus, einem neuen egoistisch-hedonistischen Finanz-Yuppietum sowie dem Kleingewerbe zu schmieden: ein fernliegender Block, in dem Welten kollidierten - Traditionen von Nation, Familie und Pflicht mit Eigennutz, Konkurrenzindividualismus und Anti-Etatismus.
Das Manöver, das ihn dennoch zustande brachte, nennt Mouffe »populistisch«. Sie gebraucht diesen Ausdruck nicht im üblichen (ab)wertenden Sinn. »Populismus« ist ganz nüchtern eine Strategie, die eine neue »politische Frontlinie« zieht, um - quer zur bestehenden Ordnung - zuvor nicht unmittelbar benachbarte Positionen in einem neuen »Populus« zu verbinden, einem neuen »kollektiven Willen«. Ohne ein solches Manöver, in dem ein Lager seine Kräfte mobilisiert und über sich hinausgreift, ist ihr zufolge vielleicht ein Regierungswechsel möglich, aber keine Hegemonieverschiebung.
Stabil ist Hegemonie, wenn sie ihre Herkunft aus einem »populistischen Moment« vergessen macht und als natürlich und alternativlos gilt. Treten aber Risse auf zwischen ihren Prämissen und dem unhinterfragten Alltagsverstand, entsteht wieder ein solcher Moment, in dem sich die Karten neu verteilen lassen. In den späten 1970ern erodierte der fordistische Kompromiss. Und wer bestreitet, dass wieder ein solcher Augenblick gekommen ist?
Nun drängt derselbe nicht automatisch zum Guten, wie hierzulande die AfD zeigt. Diese nutzt den populistischen Moment, um einen jüngst noch für unmöglich gehaltenen Block aus egoistischem Besitzbürgertum, altkonservativen Werten, hartem ideologischen Radikalismus sowie Deklassierten zu schmieden, der sich in einer horizontalen Trennung von »Innen« und »Außen« herstellt. Mouffe - die sich schon mehrmals und auch jüngst mit Katja Kipping traf - empfiehlt nun als Gegenposition eher, was deren Widersacherin Sahra Wagenknecht seit Kurzem mit der Plattform »Aufstehen« versucht: die »Errichtung einer politischen Frontlinie zwischen dem ›Volk‹ und ›der Oligarchie‹« in einer pointierten Polarisierung von Unten und Oben.
Das kaum gesagt, hört man den besorgten Chor der akademischen deutschen Linken: Polarisierung zwischen »Volk« und »Elite«? Skandalisierung finanzkapitalistischer Exzesse? Ist das überhaupt links? Auf theoretischer Ebene rennt diese Kritik bei Mouffe offene Türen ein. Schon in den 1980ern formulierte sie mit Ernesto Laclau eine philosophische Kritik am politischen »Essenzialismus« - zum Beispiel an der trügerischen Erwartung damaliger Labour-Leute, der Thatcherismus werde sich ob seiner ja wirklich rapiden Verwerfungen quasi von selbst erledigen.
Mouffe und Laclau verneinen nicht nur den notorischen Vulgärschluss, »objektive Interessen« etwa Lohnabhängiger mündeten stets in progressive Kämpfe. Sie bestreiten ganz allgemein, dass politische Positionen eine »Essenz« oder ein »Wesen« hätten, also eine fixierte Bedeutung »an sich«. In dynamischen Kontexten würden sie - längst kennt die Alltagssprache ihre These - sehr verschieden besetzt. So ist jene vertikale Polarisierung zwischen »Volk« und »Oligarchie« und sind Angriffe auf finanzkapitalistische Exzesse nicht per se links, sondern stets aufs Neue progressiv zu »artikulieren«.
Hier aber wirken, was zu jenen Bedenken führt, spezifische Umstände. So ist etwa jene Polarisierung gegen den Finanzkapitalismus vor Mouffes belgisch-britischem Hintergrund weniger problematisch als in einer nationalen Tradition, in der diese Figur einst stabil antisemitisch artikuliert war. Gerade mit Mouffe darf man jene Warnungen also nicht pauschal abtun. In ihrem Sinn muss sich dieser Chor aber fragen, ob nicht das »Wesen« wieder einführt, wer kontextblind »Faschismus« ruft, wenn jemand »Börsenoligarchie« sagt: Solche »Ideologiekritik« betreibt eine Re-Essenzialisierung - und fußt ihrerseits auf Sedimenten einer hierzulande sehr virulenten Meistererzählung, nämlich des Rechts-gleich-links-Dogmas der Totalitarismustheorie.
Auch wenn sich etwas nach rechts »weiterdenken« lässt, ist das nicht das »Wesen« dieser Position. Eine bestimmte romantische Geldkritik etwa war historisch in das Vokabular der frühen NSDAP eingebaut (die dann nichts davon umsetzte). Heute aber stehen solche Denkfiguren - im Umfeld von Regionalwährungen oder Tauschringen - in Milieus nachbarschaftlicher Solidarität. Und sind Klimaschützer, die einen Forst retten wollen, wirklich Wiedergänger protofaschistischer Waldmythologie, wie jüngst anlässlich der Besetzung des Hambacher Waldes der Blog »Ruhrbarone« raunt?
Dass solche »Ideologiekritik« gerade hierzulande blüht, liegt am Trauma der »Querfront«: In den 1920ern vermochte es die radikale Rechte, bestimmte Elemente linker Mobilisierung in ihr Vokabular zu überführen. Und ja: In dem Versuch, über das rot-rot-grüne Milieu hinaus bis auf von der AfD beanspruchtes Terrain zu greifen, ist »Aufstehen« ein Querfrontprojekt - allerdings von links. Gibt es eine Alternative? Will man in den herrschenden Block einrücken und hoffen, als dessen tapferer Verteidiger mehr Gehör zu finden? Das Wissen um jene Geschichte der feindlichen Übernahme darf nicht zu Defätismus aus Prinzip führen. Das Jetzt unterscheidet sich erheblich von den 1920ern, als es kaum demokratische Sedimente gab; daher ist auch die Historie von Einheits- oder Volksfronten nur begrenzt instruktiv. Es stellt sich eine sehr heutige Frage: Haben wir so wenig Selbstvertrauen, dass wir jede Stellung räumen, die Rechte womöglich beanspruchen?
Ein Kardinalproblem linker Theorie wie Praxis ist nun die Frage nach dem »Wir«. Von der »Multitude« bis zum »Mosaik« reichen die - nicht sonderlich erfolgreichen - Versuche, die heute so fragmentierten Milieus von Widerständigkeit auf eine Art Nenner zu bringen. Mouffe sagt hierzu erstens, dass Politik mehr auf Affekt denn Wahrheit fußt - und empfiehlt einen Patriotismus des Egalitären als mobilisierende Figur: Das positive Gefühl - nennen wir es Stolz? -, das man etwa haben kann, wenn man Amerikanern von Unglaublichkeiten wie Elterngeld oder gebührenfreien Unis erzählt (bevor man einräumen muss, dass sich die soziale Schere dennoch sehr geöffnet hat). Zweitens lässt sich den Wir-Suchenden mit Mouffe - die sich hier zum Entsetzen der essenzialistischen Ideologiekritik auf den anderweitig natürlich hochproblematischen Carl Schmitt beruft - zurufen: Kümmert euch weniger um die Analyse des »Wir« als um die Bestimmung des Gegners, dann wird auch Ersteres leichter.
Entscheidend ist somit der Verlauf jener »Front«. Klar ist, dass sie quer zu dem Graben liegen muss, den die AfD aushebt: Ernennt man die Rechte - strategisch - zum Hauptgegner, plausibilisiert man deren Weltbildbehauptung, nach der ja die Linke den radikalsten Arm des Establishments bildet. Das heißt nicht, dass mit der Rechten keine Konflikte zu suchen und deren Zielscheiben nicht zu stärken wären. Doch dem gerade jetzt so rasant greifenden Movens der Rechten - dem Rassismus, auf den sie ja buchstäblich alle gesellschaftlichen Probleme reduziert - ist längerfristig durch Dethematisierung zu begegnen: Fragen von Miete über »Sicherheit« bis Lohn und Rente können so gestellt werden, dass das »Innen« und »Außen« in einem »Unten« und »Oben« aufgeht. Das sagt sich leicht. Man muss nun erkunden, wie das geht und was bisherige Versuche taugten. Gerade weil das diffizil ist, empfiehlt sich übrigens zunächst die »charismatische« Vereins- statt der offeneren Parteiform: So ist das erwartbare Auftreten von allerlei Desperados und auch planvollen rechten Provokateuren besser zu moderieren.
Im Detail besonders schwierig ist die vertikale Polarisierung. Die »Oligarchie« mag man erkennen, die Antreiber und Profiteure von Umverteilung und Vermarktlichung. Aber was ist mit den mittleren, akademischen, mäßig privilegierten und tendenziell linksliberalen Milieus, in denen seit den 1980ern die Neuen Sozialen Bewegungen versanden? Über diese hat Wagenknecht in der »Welt« einen Halbsatz geschrieben, den man ihr seither um die Ohren haut: dass nämlich »Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz« etwas seien, womit ein bestimmtes Milieu angesichts einer eskalierenden sozialen Spaltung sein »Gewissen« beruhige. Zwar macht der Kontext schon deutlich, dass »sind« hier in etwa »dienen heute oft als« heißen soll, dass also nicht Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz per se kritisiert werden, sondern eine spezifische Artikulation dieser Positionen, die wie alle kein unverrückbares Wesen haben.
Im Text steht aber »sind«. Und ohne nun in philologischen Spitzfindigkeiten zu schwelgen: Diese Wortwahl passt zu einer in den Echokammern von »Aufstehen« grassierenden Rhetorik über die »Schickeria« (Nils Heisterhagen) oder gar den »Kosmopolitismus«, die in der Tat zumindest Gefahr läuft, in eine essenzialistische, also eine Per-se-Kritik von Minderheitenschutz, Antirassismus und Weltoffenheit abzugleiten. Dem müsste man allerdings entgegenwirken.
Denn jene sprichwörtlichen Bionade-Menschen, die kritisches Theater schätzen und doch für die grünschwarze Null stimmen, die in gendersensibler Sprache »Proll«-Witze reißen oder Unternehmen dahingehend alternativberaten, dass Nachhaltigkeit und Diversität den Profit steigern, während sie sich zugleich über einen Kitastreik aufregen, sind zwar ein leichtes Ziel. Es darf aber in diesem mittleren Segment so wenig wie im unteren um bloße Feind-Erklärungen gehen. Es sind vielmehr Interventionen gefragt, die vorgefundene Positionen und Sedimente aus ebendiesen Artikulationen lösen und - wie Mouffe sagt - in eine progressive »Äquivalenzkette« einbauen. Findet sich etwas wie »MeToo« oder »MeTwo« zur Skandalisierung der Ausgrenzung von Arbeiterkindern? Wie lässt sich Kritik des Klassismus in den Vernissagentalk tragen?
Belässt man es aber beim Bionade-Bashing, gilt dafür - wenn auch aus anderer Perspektive - nichts anderes als für jene Stoppschildknappen, die nicht einmal »Investmentbanker*innen« zu nahe treten wollen: Es wäre dann vielleicht politisch richtig, aber nicht richtig politisch.
Chantal Mouffe: Für einen linken Populismus. Suhrkamp, 110 S., 14 €.
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