Zunehmend bedrängt

In Bulgarien wurde die Journalistin Wiktorija Marinowa ermordet

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein grausamer Mord schockiert Bulgarien. Wurde Wiktorija Marinowa zum zufälligen Opfer eines Verbrechens, oder wurde der 30-jährigen Reporterin des privaten TV-Senders TVN ihr Journalistenberuf zum Verhängnis? Alle Spuren würden verfolgt, versicherte am Wochenende ein Sprecher der Polizei in der nordbulgarischen Donaustadt Ruse. Die besten Ermittler des Landes seien auf den Fall angesetzt, verspricht Premier Bojko Borissow und stellt das baldige Auffinden des Täters in Aussicht.

Vermutlich war die junge Reporterin am Samstag zur Vorbereitung auf einen Stadtlauf beim Joggen unterwegs, als sie von ihrem Mörder in einem Park mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf geschlagen, vergewaltigt, erwürgt und ausgeraubt wurde. Nach der Malteserin Daphne Caruana Galizia und dem Slowaken Ján Kuciak ist Marinowa die dritte Journalistin in der EU, die innerhalb eines Jahres zum Opfer eines Mords wurde.

Lange Zeit hatte Marinowa bei dem TV-Sender TVN eine Live-Style-Sendung moderiert, doch vor einigen Monaten übernahm sie die Leitung des Enthüllungsmagazins »Detector«. In ihrer letzten Sendung hatte sie zwei Enthüllungsjournalisten aus Rumänien und Bulgarien interviewt, die nicht nur mit ihren Recherchen zum Missbrauch von EU-Fördergeldern durch einen Baukonzern in den vergangenen Wochen in Bulgarien für kräftig Wirbel gesorgt hatten: Bei dem Versuch, das Verbrennen von Beweismaterial auf einem Feld bei Pernik zu filmen, waren die lästigen Journalisten Mitte September von der Polizei zeitweise verhaftet worden.

Nicht nur ihre Kollegen, sondern auch die bulgarischen und europäischen Journalistenverbände reagierten bestürzt auf den Tod Marinowas. Noch ist der Hintergrund des brutalen Mordes nicht aufgeklärt.

Sicher ist aber, dass es nirgendwo in der EU so schlecht um die Pressefreiheit bestellt ist wie in dem Balkanstaat. Im jüngsten Pressefreiheitsranking von »Reporter ohne Grenzen« rangiert das EU-Mitglied hinter Bolivien und knapp vor Zentralafrika auf dem 111. Platz.

Die Drohungen und Attacken gegenüber Journalisten hätten sich in den letzten Monaten »intensiviert«, konstatierte »Reporter ohne Grenzen« im August: »Es kann sich als gefährlich erweisen, ein Journalist in Bulgarien zu sein.«

Tatsächlich sehen sich Journalisten in dem Balkanstaat schon seit Jahren wüsten Drohungen und Attacken ausgesetzt. So wurde der TV-Journalist Dimitar Warbanow Ende September bei Recherchen über die Umverpackung abgelaufener Lebensmittel in einem Lagerhaus in Veliko Tarnovo zusammengeschlagen. Nach Recherchen über die Machenschaften eines Narko-Clans wurde die Lokaljournalistin Marija Dimitrowa in Vratza genauso wie ihr Redaktionsleiter der Zeitung »Zovnews« von lokalen Unterweltgrößen massiv bedroht. Mehrmals wurden in den vergangenen Jahren Journalisten nicht nur verprügelt, sondern auch die Autos bekannter Enthüllungsreporter in Brand gesteckt.

Doch nicht nur von der Unterwelt, sondern auch von der Politik fühlen sich bulgarische Journalisten zunehmend bedrängt. »Sie benutzen starke Worte. Das kann Sie Ihr Brot kosten«, schnauzte Anton Todorow von der regierenden Gerb-Partei bei einem Interview im vergangenen November öffentlich einen Reporter von NOVA TV an.

Bei einer Untersuchung zum Zustand von Bulgariens Pressefreiheit im vergangenen Jahr erklärten 92 Prozent der befragten Journalisten, dass »politischer Druck« ein »übliches Phänomen« in der weitgehend von schillernden Oligarchen wie Deylan Peewski kontrollierten Medienlandschaft Bulgariens sei.

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