Musik mit dem Sandgeschmack

Das Usedomer Musikfestival feiert sein 25-jähriges Jubiläum

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Wind rauscht im Dünengras; die Lippen schmecken kühle, salzige Luft. Die Badegäste haben sich schon von Usedom verabschiedet. Die Insel gehört den Radlern und Strandspaziergängern. Und den Kunstfreunden, die sich beim Usedomer Musikfestival einfinden, das sich nun zum 25. Mal jährt.

Seit 22. September wird das Jubiläum mit Musik aus sämtlichen Ostsee-Anrainerstaaten gefeiert. »Es begegnen sich schwedischer Jazz und russische Kammermusik, estnische Choräle und polnische Klaviermusik, deutsche Sinfonien und finnische Tangos«, sagt der Festival-Intendant Thomas Hummel.

Ehrenschirmherr des Usedomer Musikfestivals ist der vor drei Jahren verstorbene Dirigent Kurt Masur. Er war Mecklenburg-Vorpommern zeitlebens eng verbunden. Ein frühes Engagement führte ihn ans Schweriner Theater, bevor er Gewandhaus-Kapellmeister in Leipzig wurde. Seine Frau, Tomoko Sakurai-Masur, eröffnete am 9. September 1994 in Heringsdorf das erste Usedomer Musikfestival. Masur leitete auch eine Partnerschaft mit dem hochkarätigen Nachwuchswettbewerb »Young Concert Artists« in die Wege. Alljährlich treten auf Usedom Preisträger der New Yorker Endrunde sowie des in Leipzig stattfindenden Europa-Finales auf.

Das Festival umfasst rund 40 Veranstaltungen in drei Wochen. Sinfoniekonzerte markieren Beginn und Abschluss; dazwischen stehen kleinere Formate: Liederabende, Klavier- oder Kammermusik.

»Ein Grund für den Erfolg des Festivals ist die strenge thematische Fokussierung«, erklärt Jan Brachmann, der seit 20 Jahren Dramaturg des Festivals ist. Geografie wird hier zum Programm; im Mittelpunkt steht die Ostsee als gemeinsamer Kulturraum unterschiedlicher Völker. Ein kleines Land wie Litauen hat da denselben Stellenwert wie etwa Russland. Die Programme machen neugierig auf unbekannte Komponisten und Raritäten. Jüngere Dirigier-Stars, zum Beispiel Teodor Currentzis oder Andris Nelsons, waren schon auf Usedom zu hören - lange bevor sie berühmt wurden.

Bislang widmete sich das Festival alljährlich einem anderen Ostsee-Anrainerstaat. In diesem Jahr geht man nun in die Totale: Das Jubiläumsmotto lautet: »Zehn Länder - ein Meer«. Die Konzerte finden in kaiserzeitlichen Hotels statt, in alten Dorfkirchen oder einsam gelegenen Herrenhäusern - auch im stillen Hinterland, welches die strandsüchtigen Touristen meist links liegen lassen. Zum Beispiel auf dem Lieper Winkel, einer dünn besiedelten Halbinsel, die sich ins Achterwasser schiebt. Mal geht es ins Kirchlein von Benz mit seiner entzückenden Sternendecke, dann wieder über holprige Alleen an die verschlafene Küste des Stettiner Haffs, ins Schloss Stolpe, wo einst die Grafen von Schwerin ihren Stammsitz hatten.

Sinfoniekonzerte finden im Museums-Kraftwerk von Peenemünde statt, wo im Dritten Reich der Strom für Versuchsprojekte mit geheimen »Wunder-Waffen« erzeugt wurde. Nun dient die riesige Turbinenhalle als Konzertsaal. Hier bestritt das Hausorchester des Festivals, das Baltic Sea Philharmonic unter seinem Chef Kristjan Järvi, die Eröffnung. Das Ensemble spiegelt die Philosophie der Konzertreihe wider: An den Pulten sitzen Musiker aus dem gesamten Ostseeraum.

Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs wäre eine solche Besetzung undenkbar gewesen. Doch in mancherlei Hinsicht sind sich die zehn Ostsee-Nationen heute noch fremd. In den Orchesterproben geht daher nicht nur um das Einstudieren von Partituren. Es werden auch gemeinsame Traditionen entdeckt und kulturelle Unterschiede, etwa in den Gepflogenheiten der Interpretation, überbrückt. Vor allem der Austausch mit Polen, das sich mit Deutschland die Insel Usedom teilt, gehört zur DNA des Festivals. Bereits vor der Osterweiterung des Schengen-Raumes - damals gab es noch Grenzkontrollen und einen Zaun quer über den Strand - veranstaltete man Konzerte auf der polnischen Nachbarinsel Wollin und in Swinemünde. Im Kulturhaus von Swinemünde spielt nun das c/o chamber orchestra - 30 Musiker und kein Dirigent - am 11. Oktober eine »Nordische Serenade« mit Musik aus dem Ostseeraum. Das Abschlusskonzert in Peenemünde geht am 13. Oktober mit der Radiophilharmonie des NDR über die Bühne. Robert Trevino, ein 35-jähriger Shootingstar am Pult, leitet das Programm mit Musik von Paganini, Strauss sowie einer deutschen Erstaufführung des estnischen Komponisten Jüri Reinvere.

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