Rechtswidrig: Bayern schert’s nicht

Grenzpolizei im Freistaat laut Gutachten nicht verfassungskonform / Kaum illegale Einreisen

Die Auskunft ist wenig überraschend, denn juristische Bedenken waren bereits vor Arbeitsbeginn der neugegründeten Bayerischen Grenzpolizei Mitte Juli laut geworden. Jetzt haben zwei Fachleute in einem von der Grünen-Bundestagsfraktion in Auftrag gegebenen Gutachten bestätigt: Der Behörde wurden rechtswidrig Aufgaben übertragen, für die allein die Bundespolizei zuständig ist. Die Antwort des Bayerischen Staatsministeriums des Innern auf eine «nd»-Anfrage zeigt zudem, dass die mit vorerst 500 und perspektivisch mit 1000 Beamten ausgestattete Grenzpolizei bis Ende September lediglich 180 «unerlaubte Einreisen» aufgedeckt hat.

Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU) wies die Einschätzung der Juristen am Montag als unzutreffend zurück. «Die unmittelbaren Kontrollen unserer bayerischen Polizisten an der Grenze zu Österreich sind verfassungs- und europarechtlich einwandfrei», sagte er in München. Herrmann sprach von 203 von den Landesbeamten seit Juli aufgedeckten unerlaubten Einreisen. Seit Jahresbeginn sind nach seinen Angaben knapp 2500 unerlaubte Einreisen festgestellt und 231 Schleuser gefasst worden.

Die Düsseldorfer Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger und der Regensburger Staatsrechtler Thorsten Kingreen betonen in ihrer Expertise, die die Grünen-Fraktion am Montag auf ihrer Webseite veröffentlicht hat, die Schaffung der Behörde untergrabe die «föderale Kompetenzverteilung im Bereich des Grenzschutzes». Die bayerischen Bestimmungen berührten daher «das Verfassungsgefüge der Bundesrepublik».

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in einem am Montag versandten Schreiben mit Verweis auf das Gutachten auf, umgehend die Zusammenarbeit der Bundespolizei mit Bayerns Grenzschützern einzustellen. Darüber hinaus weist die Politikerin den Minister darauf hin, dass Grenzkontrollen auch in Verantwortung des Bundes «gegen Europarecht verstoßen».

Die Kontrollen an drei bayerischen Grenzübergängen waren unter Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) im Herbst 2015 eingeführt worden, nachdem im Zehntausende Geflüchtete über die sogenannte Balkanroute nach Deutschland gekommen waren. Der Schengener Vertrag sieht die Abschaffung der Kontrollen an den EU-Binnengrenzen vor. Diejenigen an der deutsch-österreichischen Grenze hat Innenminister Seehofer vor zwei Wochen erneut bis Mitte Mai 2019 verlängert.

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hatte am Wochenende gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe betont, das könne «nicht ewig» so weitergehen. Für einen funktionierenden Binnenmarkt müsse man «die EU-Außengrenze schützen», die Binnengrenzen aber offenhalten. Der rigiden Abschottung des Bündnisses nach außen stimmen auch in der im Bund mitregierenden SPD die meisten Politiker zu.

Die Union erteilte Barleys Forderung postwendend eine Abfuhr. Ein Ende der Kontrollen sei erst möglich, wenn der Außenschutz «wirksam gesichert» werden könne, was aktuell nicht der Fall sei, sagte der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), der «Welt» (Montagausgabe). Aus Sicht des CSU-Politikers sind die Kontrollen ein Erfolg. So habe es in den ersten acht Monaten dieses Jahres 3818 «Zurückweisungen» gegeben, es seien mehr als 7400 «illegale Einreisen» festgestellt worden.

Der bayrische SPD-Politiker Horst Arnold betonte unterdessen, für ihn sei es gar nicht die Hauptfrage, ob die Grenzpolizei des Freistaats verfassungsmäßig ist. «Hier reicht schon die Vernunft als Maßstab aus, sagte der Vizevorsitzende der SPD-Landtagsfraktion am Montag in München. Denn die »Umetikettierung« von Schleierfahndern bringe keine höhere Sicherheit.

Ziel der Bayerischen Grenzpolizei ist nach Angaben des Münchener Innenministeriums gegenüber dieser Zeitung »insbesondere die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration durch intensive Schleierfahndung«. Wie viele von den durch die Landesbeamten aufgegriffenen »unerlaubt« Eingereisten in ein anderes EU-Land zurückgewiesen wurden, konnte Ministeriumssprecher Michael Siefener nicht sagen. Diese Personen seien der Bundespolizei überstellt worden, weshalb beim Ministerium keine Statistik darüber vorliege. Menschen, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, können im Rahmen von Vereinbarungen mit Griechenland, Italien und Spanien dorthin zurückgeschickt werden.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -