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Es gibt sogar Cliffhanger

»Der nasse Fisch« ist die erste moderne Hörspielserie der ARD

  • Rafik Will
  • Lesedauer: 3 Min.

Die komplexen Fernsehserien, von manchen als neuartige Romane des Bewegtbildes gefeiert, verabschieden sich zunehmend aus dem linearen Fernsehprogramm ins Internet. Sie sind ebenso kleinteilig wie auf eine lange Dauer angelegt und laufen als Angebote von Streamingportalen wie Netflix.

Die Erfolgsgeschichte moderner Serien und ihrer Vertriebsstrukturen wirkt über die Grenzen des Mediums Film hinaus. So versucht zum Beispiel auch der öffentlich-rechtliche Hörfunk in Deutschland mittlerweile verstärkt, Serienproduktionen auf die Beine zu stellen.

Der Schwerpunkt der Bemühungen liegt eindeutig auf Dokus. So produzierte der SWR »Akte 88 - Die tausend Leben des Adolf Hitler«, eine Recherche über Menschen, die davon überzeugt sind, dass Adolf Hitler nicht gestorben sei, und über die Soziotope, in denen solche Wahnvorstellungen entstehen.

Der RBB eröffnete vor Kurzem ein neues Podcast-Portal namens »Serienstoff«. Begonnen wurde mit »Christin und ihre Mörder«, einem mehrteiligen Feature im True-Crime-Format über den Mord an einer jungen Frau im beschaulichen Berliner Stadtteil Lübars im Jahr 2012. Auf »Serienstoff« wurde Anfang des Monats auch die mit dem NDR koproduzierte Hörspiel-Bearbeitung von Juli Zehs brandenburgischem Dorfkrimi »Unterleuten« veröffentlicht. Die Podcast-Fassung hat 12 Teile, die jeweils eine halbe Stunde dauern. Die identische Radiofassung hat sechs einstündige Episoden.

Diese Zerschnipselung deutet schon an, dass es schwierig ist, »Unterleuten« als Serie verkaufen zu wollen. Zumal es kein Vergnügen ist, sechs Stunden lang die Grundstücksstreitigkeiten in einem ausgedachten Dorf mitzuverfolgen. Die Machart von »Unterleuten« erinnert mehr an ein mehrteiliges Radio-Hörspiel als konventionelle Literaturadaption denn an eine dramaturgisch neu entwickelte Serie.

Die erste »richtige« moderne Serie in der Hörspiellandschaft hat am Dienstag auf RBB-Kulturradio Premiere, nachdem sie am Montag schon auf WDR 3 angelaufen ist: »Der nasse Fisch«, bearbeitet und inszeniert von Thomas Böhm und Benjamin Quabeck. Sie wird präsentiert als Hörspielserie zur TV-Serie »Babylon Berlin«, die im Berlin der späten 20er Jahre spielt, als die Nazis ihren kometenhaften Aufstieg erleben. Vermutlich wäre das Hörspiel ohne die gehypte Fernsehserie nie entstanden. Doch »Der nasse Fisch« ist ästhetisch überzeugend. Allein schon die speziell von Verena Guido komponierte und vom WDR-Funkhausorchester eingespielte Hörspielmusik als akustisches Erkennungssignal am Anfang und am Schluss macht einiges her. Die Episoden sind in sich stimmig konstruiert und mit Cliffhangern ausgestattet. Die Entwicklung einzelner Charaktere geschieht über die gesamten acht Teile.

»Der nasse Fisch« ist eine Koproduktion von Radio Bremen, WDR und RBB. Der Produktionsaufwand ist enorm. Er gräbt den ohnehin geringen Hörspielbudgets weiter das Wasser ab. Und die Präsentation als Hörspiel zur TV-Serie »Babylon Berlin« klingt fast so schlimm wie »das Buch zum Film«, zumal hier das Buch zuerst da war und genauso heißt wie die Hörspiel-Serie: 2008 erschien der Kriminalroman »Der nasse Fisch« von Volker Kutscher.

Und um die öffentlich-rechtliche Verwirrung perfekt zu machen, gibt es ein weiteres Buch zur Serie. Unter dem Titel »Der nasse Fisch« ist schon 2017 ein Comic von Arne Jysch erschienen, der nun als »erweiterte Neuausgabe« vom Carlsen-Verlag als »die Graphic Novel nach derselben Romanvorlage wie die TV-Serie ›Babylon Berlin‹« präsentiert wird. Darin findet sich ein Interview mit dem Zeichner Jysch, der wiederum den »visuell gedachten Schreibstil« des Romanautors Volker Kutscher lobt. Und auch seinen »Mut, vor Genreklischees, Action, Erotik und Gewalt nicht zurückzuschrecken, weil diese Dinge eben Spaß machen beim Lesen«. Oder beim Hören, ließe sich ergänzen. Denn all diese Themen gehören zu einer modernen Serie dazu, im Radio genauso wie im Fernsehen.

»Der nasse Fisch«, diesen Dienstag um 22.04 Uhr auf RBB-Kultur (täglich bis Freitag), um 19.04 Uhr auf WDR 3;

Arne Jysch: Der nasse Fisch. Graphic Novel. Carlsen, 224 S., 20 €

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