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- Grüne und AfD
Das Bürgertum unter sich
Die guten Umfragewerte der Grünen haben auch mit dem Aufstieg der AfD zu tun, meint Ingar Solty
Die Grünen befinden sich im Aufwind. Laut einer infratest dimap-Umfrage können sich 47 Prozent der Wähler vorstellen, sie zu wählen. Warum ist das so?
Als Partei des linksliberalen Bürgertums haben die Grünen keine Überschneidungen mit der AfD. Letztere verkörpert das konservativ und nach rechts radikalisierte Bürgertum. Diese beiden Fraktionen des Bürgertums stoßen sich voneinander ab, leben davon, dass sie sich gegenseitig kulturell bekämpfen.
Die wachsende Arbeiter- und Erwerbslosenbasis der AfD, die sich aus früheren SPD- und LINKE-Wählern sowie dem nach 1998 SPD-entfremdeten Nichtwählerlager speist, würde eine bürgerliche Partei wie die Grünen nie wählen. Von daher müssen sich die Grünen im Gegensatz zur LINKEN (oder der SPD) die Frage nicht stellen, wie sie AfD-Wähler zurückgewinnen, ob das möglich oder sinnvoll ist, geschweige denn, dass sie darüber öffentlich und hitzig diskutieren, wie die Linke das tut.
Das wollen und brauchen die Grünen auch nicht. Die LINKE muss Arbeiter*innen zurückholen, weil sie nur zusammen mit ihnen soziale Gerechtigkeit durchsetzen kann. Die Anhänger der Grünen sind dagegen bereits ökonomisch herrschend und haben entsprechend kein Interesse, die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Sie wollen nur, dass sie besser, rationaler und geräuschloser verwaltet wird. Hinzu kommt, dass Bündnis 90/Die Grünen ihre eigene Basis gerade dadurch bindet, dass sie die Rechten für dumm, irre, reaktionär, für rassistisch, sexistisch, nationalistisch, rückständig erklärt. So versichern sie sich und der eigenen Basis, dass sie selbst die Guten, die Fortschrittlichen, die Aufgeklärten, die Zivilisierten sind.
Die AfD wiederum müsste die Grünen erfinden, wenn es sie nicht gäbe. Die Partei erklärt sie und ihre Anhänger für gaga, kosmopolitisch und »versifft«. Damit erscheinen die Grünen heute allerdings einer wachsenden Zahl von Menschen, denen der Aufstieg der Rechten aus gutem Grund Angst bereitet, als die konsequenteste Anti-AfD-Partei, obwohl sie eigentlich nur ihr eigenes Milieu durch Abgrenzung nach rechts (was oft genug auch nach unten gegen die imaginierte proletarische AfD-Wählerbasis meint) zusammenhalten. Dabei sind sie realpolitisch, gerade unter ihren neuen Doppel-Realo-Führung, nicht nur in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik weit rechts von der LINKEN, sondern auch in der Migrations- und Asylpolitik weit weniger humanistisch und links verortet.
Die Grünen haben im linksbürgerlichen Milieu noch Wachstumspotenzial. Trotzdem sind die aktuellen Umfragen mit Vorsicht zu genießen. Zu erinnern ist nicht nur an ihren Höhenflug kurz nach der Fukushima-Katastrophe, der bei der Bundestagswahl zwei Jahre später in einem Katzenjammer endete. Solche Umfragen zeigen eine abnehmende Parteienbindung, lassen sich aber nur bedingt in reale Wahlergebnisse ummünzen. Allerdings spiegeln sie, wo sie auf Kosten der SPD gehen, eine bürgerliche Hegemonie wider. Denn keine Partei und keine Führungsfiguren stehen so sehr für das modernisierte Mehrheitsbürgertum von heute wie das grüne Spitzenduo Robert Habeck und Annalena Baerbock.
Auch die CDU nicht - vor allem dann nicht, wenn sie sich in der Zeit nach Merkel und unter dem Druck der AfD weiter nach rechts entwickelt. Es ist durchaus denkbar, dass die Christdemokraten in diese Richtung gehen, weil sie den Spagat zwischen Stadt und Land, jung und alt, Kosmopolitismus und Kommunitarismus nicht mehr hinbekommen. Von der CDU können die Grünen also gewinnen. Und auch von der SPD, wenn diese sich in der unbeliebten Großen Koalition weiter demütigen lässt. Aber eine Volkspartei werden sie nicht. Denn Grün muss man sich leisten können.
Das eigentliche Drama ist jedoch, dass das bürgerliche Lager (Grüne, CDU/CSU, FDP, AfD) den Neoliberalismus, dem wir den Aufstieg der Rechten verdanken, zementiert. Denn die SPD hätte mit ihrer (Fach-)Arbeiter- und Angestelltenbasis wenigstens strukturell ein Interesse daran haben müssen, sich zu resozialdemokratisieren. Aber die Grünen-Wähler sehen den Neoliberalismus nicht, weil er sie kaum betrifft.
Interessant bleibt jedoch, wie sich die linksmoralischen Bürgerkinder an Gymnasien und Hochschulen verhalten. Sie mögen der Heuchelei der Grünen nicht auf den Leim gehen und nach ihrer dritten befristet-dequalifizierenden Anstellung zur Linken wechseln, weil sie im saturierten Bürgertum nicht ankommen dürfen.
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