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Der junge Widerstand
Bei den Kongresswahlen wollen die US-Demokraten einen Teil der Macht im Land zurückgewinnen
Dem Erdbeben soll der Tsumani folgen. Vor fast genau zwei Jahren war Donald Trump als Präsident der USA ins Weiße Haus gewählt worden, und es war ein Schock für die Demokratische Partei. Nun will sie zum ersten großen Gegenschlag ansetzen - oder, um im Bild zu bleiben, eine blaue Welle auf das Land loslassen. Blau ist traditionell die Farbe der Demokraten, und mit jener »Blue Wave«, die einige Demoskopen in den vergangenen Monaten immer mal wieder voraussagten, wollen sie Trump bei den Kongress- und Regionalwahlen an diesem Dienstag eine Botschaft des wachsenden Widerstands schicken.
Alle zwei Jahre steht jeder der 435 Sitze im Repräsentantenhaus zur Wahl. Noch haben die Republikaner hier eine komfortable Mehrheit von 23 Abgeordneten, doch die meisten Wahlforscher gehen davon aus, dass diese Kammer erstmals seit 2010 wieder in die Hände der Demokraten fallen dürfte. Hinzu kommen 35 der 100 Senatorenposten in der zweiten Kongresskammer, die neu vergeben werden. Zwar müssten die Demokraten nur zwei Sitze hinzugewinnen, um auch hier die Mehrheit zu übernehmen, doch das dürfte ungleich schwerer fallen.
Die so unterschiedlichen Chancen haben ihre Ursachen in den verschiedenen Zusammensetzungen der Wählerschaften. Die Demokraten machen in Vororten viel Boden gut. Vor allem weiße, gut gebildete Frauen wechseln derzeit voller Abscheu über Trump die Seiten in den traditionellen Hochburgen der Republikaner. Es gibt genügend solcher Wahlbezirke, die den Demokraten im Repräsentantenhaus die Mehrheit beschaffen könnten, doch im Senat sind die wenigen von den Republikanern zu verteidigenden Sitzen viel ländlicher geprägt. In Mississippi, Nebraska oder Wyoming können Linke mit dem Recht auf Abtreibung, schärferen Waffengesetzen oder Schutz für Asylsuchenden kaum punkten. Im Senat bräuchten sie daher wirklich eine riesige Welle, um die Macht an sich zu reißen.
Die Vorzeichen stimmen sie dennoch optimistisch. Seit Wochen kann in vielen Bundesstaaten schon gewählt werden, und auch wenn noch keine Stimmen gezählt wurden, weiß man zumindest schon, wer bisher wählen gegangen ist. Allgemein stimmten überall schon mehr Menschen vor dem Wahltag ab als bei den letzten Zwischenwahlen 2014, in Kansas und West Virginia sogar mehr als bei den Präsidentschaftswahlen 2016. »Eine höhere Wahlbeteiligung ist in der Regel gut für die Demokraten, da es mehr von ihnen gibt«, analysierte Historiker Christopher Bates von der University of California in Los Angeles die jüngsten Zahlen. In die gleiche Richtung schlägt das Pendel beim Alter der Vorwähler, denn in diesem Jahr gingen ungewöhnlich viele junge Menschen schon an die Urnen und Wahlcomputer. Und in den vergangenen Jahrzehnten galt stets: Alt wählt republikanisch, jung wählt demokratisch. Der Enthusiasmus, unbedingt seine Stimme abgeben zu wollen, scheint bei den Demokraten dieses Jahr also höher als normal zu sein. »Nun muss sich noch zeigen, ob es wirklich ein Trend ist oder ob die Demokraten einfach nur früher wählen gegangen sind als die Republikaner«, so Bates.
Team Blau hat bei der Mobilisierung vor allem auf das Thema Gesundheit gesetzt. Obwohl zunächst jahrelang verhasst, erfreut sich die Reform Obamacare des demokratischen Ex-Präsidenten mittlerweile immer größerer Beliebtheit, weil die Republikaner in den vergangenen zwei Jahren nur versucht haben, Obamas Gesetz wieder abzuschaffen, ohne jedoch eine bessere Alternative zu bieten. Die Angst vor dem Verlust der Versicherung treibt viele, vor allem ärmere Menschen ins Wahllokal. Die Demokraten versprechen, Obamacare zu schützen, viele wollen die Gesundheitsversorgung sogar komplett verstaatlichen, eine Idee, die unter Amerikanern immer mehr an Beliebtheit gewinnt.
In einem sind sich die Wahlforscher jedoch einig. Die Serie von Briefbomben eines Trump-Anhängers mit Zielen unter linken Politikern und deren Unterstützern sowie der Amoklauf eines Neonazis in einer jüdischen Synagoge in Pittsburgh vor wenigen Tagen werden kaum einen Einfluss auf diese Wahlen haben. Trumps Fans fühlen sich von solchen Taten nicht abgeschreckt. Entweder sie sympathisieren insgeheim mit den Tätern oder sie glauben nicht, dass die scharfe Rhetorik ihres Präsidenten irgendetwas damit zu tun gehabt hätte. Trump selbst beschwerte sich sogar über die »Ablenkungen« in den Medien: »Zwei Verrückte haben unser Momentum gestoppt, weil sieben Tage lang niemand mehr über die Wahlen geredet hat«, behauptete er in einer Wahlkampfrede in Missouri. Als Terrorismus hat er die Taten übrigens immer noch nicht eingestuft.
Sollten die Demokraten wirklich das Repräsentantenhaus übernehmen, könnte ohne sie kein Budget mehr abgesegnet werden. Trump wäre wohl mehr als bisher gezwungen, mit dem politischen Gegner zusammenzuarbeiten. 2016 hatte er noch geprahlt, das gut zu können. Den Beweis dafür blieb er bislang schuldig. Vielmehr brachte er die Demokraten so gegen sich auf, dass diese schon drohen, ihn mit parlamentarischen Untersuchungen zu überziehen, sollten sie jetzt die Macht dazu erhalten. Verliert Trump auch den Senat, wäre er auf demokratische Stimmen angewiesen, wenn frei werdende Posten in Bundesgerichten und im Kabinett neu besetzt werden müssen. Da sich aber beide große Parteien in den vergangenen Jahren immer weniger kompromissbereit gezeigt haben, fürchten viele Beobachter eine zweijährige Blockade der nationalen Politik.
Umso wichtiger werden somit die anderen Entscheidungen, die an diesem Dienstag noch anstehen. Bei Gouverneurswahlen werden neue Regierungschefs in 36 der 50 Bundesstaaten bestimmt. Dazu werden in 87 der 99 regionalen Parlamentskammern insgesamt 6073 Sitze neu verteilt. Die Republikaner kontrollieren bislang 67 von ihnen, denn unter Barack Obama verloren die Demokraten 29 Parlamentsmehrheiten und insgesamt fast 1000 Mandate.
Mittlerweile haben sie jedoch gemerkt, dass sie aus den Einzelstaaten heraus noch viel Widerstand gegen Trumps Politik etwa in den Bereichen Umwelt, Technologie, Gesundheit und Einwanderung leisten konnten. Viel mehr junge, vermehrt weibliche Kandidaten haben sich besonders auf lokaler und regionaler Ebene aufstellen lassen, um den Konservativen auch dort Paroli zu bieten. Die blaue Welle soll auf diese Weise noch einen kräftigen Schuss Pink bekommen.
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