Vier Mädchen und ein Kabeljau
Das britische Label Damaged Goods, das einst auf Punkrock spezialisiert war, wird 30 Jahre alt
Vier Mädchen, Haarband, Pastellfarben, liebliche Blicke. Mit zwanzigjähriger Verspätung halte ich Anfang des Jahres die Platte »Punk Girls« der Thee Headcoatees in den Händen. Gemein, boshaft und eine reine Erfüllung. Geschrieben von Billy Childish, neu aufgelegt vom britischen Label Damaged Goods.
Stiefel und kurze Haare, damit hat es angefangen. Die 1977 erscheinende Single »Where have all the bootboys gone« der Punkband Slaughter & The Dogs wird zur Lieblingsnummer des Plattensammlers Ian Ballard. Elf Jahre später entsteht im September in einem Londoner Wohnzimmer das Label Damaged Goods, benannt nach der Gang-of-Four-Single. Die erste Veröffentlichung: eine Neuauflage der Single »Where have all the bootboys gone«.
30 Jahre vergehen, 500 Veröffentlichungen umfasst die Diskografie mittlerweile. Und da sind auch sie: die außergewöhnlichen Mädchen aus dem Paralleluniversum des Billy Childish, Ballard erinnert sich: »Es öffnete meine Augen und Ohren für all die großartige Musik, die aus den Medway-Städten kam, und durch Billy traf ich andere Bands. Es passierte auf ganz natürliche Art.«
So entwickelt sich das originäre Label für Punk-Neuveröffentlichungen zu einem Label für gegenwärtige Bands. Bereits im zweiten Jahr nach der Gründung beginnt die Zusammenarbeit mit Childish, und die lange Freundschaft prägt: Der Klüngel um den antiintellektuellen Künstler und Musiker ist maßgebend auf der Doppel-LP »Damaged Goods 1988- 2018«. Die 37 Titel auf der Compilation, die die musikalische Geschichte des Labels Revue passieren lassen, sind vor allem »eine Auswahl meiner Favoriten, die aber auch die Vielfalt der Sachen zeigt, die wir veröffentlicht haben«, so Ballard. Zu hören ist Bubblegum-Pop (Helen Love), Punk (The Snivelling Shits) und lyrisch-charmanter Garage-Soul (Cowbell), ohne dass es nach »Wine Gums meet Bittermints« schmeckt, sondern nach ehrlichem Kabeljau im Backteig.
Während heutzutage noch immer darüber debattiert werden muss, wie unausgewogen die Geschlechterquote ist, war und ist das bei Damaged Goods keine Notwendigkeit: Die einstigen Mädchen, die die Songs von Childish deklamierten, haben sich emanzipiert und mit eigenen musikalischen Projekten Raffinement gezeigt (siehe etwa das im Juni erschienene Album von Ludella Black). Auch abseits der Thee-Headcoatees-Protagonistinnen sind Frauen nicht aus Quotengründen auf der Jubiläums-Compilation vertreten, sondern liefern die echten Preziosen, so etwa der Lo-Fi-Klassiker »You’re So Sorry« der Budget Girls - die das unfreundlichste Album auf Damaged Goods gemacht haben, »On A Tight Budget« - oder die Period Pains mit ihrer rotznäsigen Attacke »Spice Girls (Who Do You Think You Are)«.
Selbstverständlich enthält die gerade mal eineinhalbstündige Retrospektive auch klassischen Pub-Punk wie Johnny Mopeds Opener »Ain’t No Rock ’n’ Roll Rookie« sowie eine pissige, schnelle Band, die sich nach dem Sanitäranlagenhersteller Ameritage Shanks benannt hat.
Damaged Goods umgibt etwas erfrischend Geerdetes, das mag an der Bescheidenheit des Labelchefs liegen: »Ich würde nichts anders machen, als ich es gemacht habe. Es war ein großer Spaß. Und ich würde genau so weitermachen, nichts muss sich ändern.« Er verrät, dass keine Promotapes im Müll landen: »Wir hören alles, was wir zugeschickt bekommen. In letzter Zeit bekommen wir sehr viel, daher dauert es manchmal, aber wir versuchen alles zu beantworten.«
Dabei ist man gerade mal zu zweit, aus Pläsier verwenden Ian Ballard und sein Kompagnon Duncan Fletcher »Damaged« als Nachnamen, »wie die Ramones«.
Vier Mädchen, Sherlock-Holmes-Kleidung, schwarz-weiße Grautöne, direkter Blick: die Rückseite des Covers der Platte »Punk Girls«. Eine Konversation: »... I mean punk rock/ And blues, growled Holly/ Yes, English garage music, punk rock and blues/ And an extra large portion of chips with fish!« So könnte man auch das kleine britische Label beschreiben.
Various Artists: »Damaged Goods 1988-2018« (Damaged Goods)
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