Durch Eigenbedarf verdrängt

Wenn das Landgericht Berlin im Sinne der Eigentümerin entscheidet, wird die Studentin Anna wohnungslos

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 4 Min.

23 Tage. So viel Zeit bleibt Anna, wenn das Landgericht Berlin an diesem Mittwoch entscheidet, dass die Eigenbedarfsforderung der Eigentümerin ihrer Wohnung rechtmäßig ist. Dann muss Anna binnen dieser 23 Tage, also bis zum 30. November, ihre Wohnung in der Leinestraße 6 in Berlin-Neukölln räumen. »Die Richterin wird mir sagen, ob ich ab dann wohnungslos bin«, sagt Anna wenige Tage vor dem Gerichtstermin.

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Anna, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, und ihr damaliger Mitbewohner eine drastische Mieterhöhung erhielten. Seit acht Jahren wohnt Anna in der Zwei-Zimmer-Wohnung im mittlerweile begehrten Schillerkiez.

Schon vorher hatte es Mieterhöhungen gegeben, zum Beispiel nach der Umstellung von Ofen- auf Zentralheizung. »Da mussten wir schlucken, aber das war gesetzlich noch okay.« Die neueste Mieterhöhung wollte Anna dann aber nicht mehr akzeptieren. »Es wurden dabei mietmindernde Faktoren nicht beachtet«, sagt sie. Die Wohnung hat kein Badezimmer, die Dusche befindet sich in der Küche. Der Verschlag für die Toilette ist nicht beheizbar und es gibt kein fließend warmes Wasser.

Als Antwort auf Annas Mietpreisrüge mit der Begründung, dass die Miete bereits jetzt oberhalb des Mietspiegels liege, bekam die Studentin plötzlich die Kündigung. Anna ist immer noch schockiert. »Vor allem die Chronologie hat uns stutzig gemacht.« Denn: Die Eigentümerin will plötzlich Eigenbedarf anmelden. Begründungen, die sie, beziehungsweise der Ehemann der Eigentümerin als ihr Zeuge später vor Gericht geben, klingen wenig überzeugend. Angeblich will die Anwältin, die in einer Kanzlei in Mitte arbeitet, die Substandard-Wohnung unter der Woche als Winterresidenz nutzen. Der Weg zum Einfamilienhaus in Karolinenhof sei besonders in der dunklen Jahreszeit zu weit. Dass eine Anwältin und ein Immobilienkaufmann in Neukölln in der Küche duschen wollen, klingt wenig wahrscheinlich. Noch weniger, dass die Eigentümerin, die in Lichtenberg und an der Schönhauser Allee in Pankow noch weitere Immobilien besitzt, auf Annas günstige Wohnung als Zweitwohnung angewiesen ist, weil sie von Altersarmut bedroht sei. Wahrscheinlicher wäre, dass die Eigentümerin vorhat, die Wohnung zu sanieren und mit einer entsprechend hohen Miete mehr Profit zu machen. Eine Verpflichtung für den Eigentümer, eine gewisse Zeit in der gekündigten Wohnung zu wohnen, gibt es nämlich nicht.

»Die Situation vor Gericht war völlig absurd«, erzählt Anna. »Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen soll.« Die Geschichte, die die Eigentümerin und ihr Mann erzählen, findet sie unglaubwürdig. Wäre die Begründung für den Eigenbedarf nachvollziehbarer, wäre das »eine ganz andere Nummer«. So findet Anna es schlicht unfair. »Es geht hier um mein Zuhause, das ich verlieren kann.« Sie beschließt, in die nächste Instanz zu gehen und legt Berufung gegen das Urteil vom 5. Juni ein, das den Eigenbedarf und somit Annas Kündigung für rechtmäßig erklärt.

Dass das Landgericht beschlossen hat, sich den Fall noch einmal anzuschauen, ist ein Teilerfolg. Wie das Urteil letztendlich lauten wird, ist dennoch völlig unklar. »Als Mieterin vor dem Landgericht zu gewinnen, wenn es um Eigenbedarf geht, ist schon ziemlich schwierig«, sagt Anna. »Eigenbedarf ist wie ein Scheunentor, da geht alles durch.«

Wie es für die Masterstudentin weitergeht, falls sie in gut drei Wochen ihre Wohnung verlassen muss, weiß sie nicht. »Ich glaube nicht, dass ich obdachlos werde. Dazu habe ich zu viele Sofa-Angebote«, sagt Anna. »Ich bin dann wohnungslos.« Sie werde erst mal von Wohnzimmer zu Wohnzimmer ziehen und versuchen, Energie zu sammeln, um die Uni abzuschließen. Denn momentan, als Studentin ohne festes Einkommen, hat sie bisher trotz Wohnberechtigungsschein keine neue Wohnung gefunden. »Ich bin maximal unattraktiv für alle Vermieter*innen«, so Anna. Selbst mit Job wird die Wohnungssuche schwer. »Wenn ich mir den Mietmarkt angucke, weiß ich nicht, wie ich da bestehen soll.«

Von befreundeten WG’s weiß Anna, dass viele anfangen, Abstellkammern auszubauen und zu vermieten - weil es nicht genug Platz gibt. »Ich würde sie sofort nehmen«, sagt sie.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.