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»Frucht intensiver Lobbyarbeit«
UN-Migrationspakt soll im Dezember in Marokko unterzeichnet werden
Mehr als zwei Jahre ist es her, dass vor dem Hintergrund zunehmender internationaler Flucht- und Migrationsbewegungen auf einem Sondergipfel der Vereinten Nationen (UN) die Ausarbeitung eines globalen Migrationsabkommens beschlossen wurde. Der »Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration«, wie der UN-Migrationspakt offiziell heißt, soll die Rechte derjenigen sichern, die nicht unter das Mandat der Genfer Flüchtlingskonvention fallen.
Mit Ausnahme der USA hatten am 13. Juli 2018 alle 192 UN-Mitgliedsstaaten das Abkommen gebilligt. Fünf Tage später zog sich Ungarn zurück, Österreich folgte am 31. Oktober. Auch Australien kündigte an, das Abkommen nicht zu unterzeichnen. In Europa äußerten vor allem Polen, Tschechien, die Slowakei, Dänemark, Kroatien und die Schweiz Vorbehalte. In der BRD war in den letzten Monaten durch die AfD und im Internet gegen den Pakt mobil gemacht worden: »Unsere Demokratie ist in Gefahr.
Unsere Identität ist in Gefahr. Unsere Souveränität ist in Gefahr«, heißt es beispielsweise auf der Seite »Migrationspakt stoppen«. Es gehe »um die Masseneinwanderung nach Europa«, behauptete Martin Sellner, Mitglied der rechtsextremen »Identitären Bewegung«, in einer Petition, die bereits von mehr als 70 000 Personen unterzeichnet wurde. Zuletzt hatte es auch in der Union Aufruhr über den Pakt gegeben. Die Kommunikation sei unzureichend gewesen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte eine genaue Prüfung des Dokuments gefordert. Am Dienstag beschloss die Bundestagsfraktion, sich hinter das geplante Abkommen zu stellen und einen eigenen Antrag zum Pakt zu erarbeiten.
Dabei ist der Pakt kein völkerrechtlicher Vertrag, rechtlich also nicht bindend und stellt letzten Endes nicht mehr als eine politische Willensbekundung der internationalen Gemeinschaft dar. Auch die Souveränität der einzelnen Nationalstaaten wird in dem Dokument betont: »Der Globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs selbst zu regeln.« Die These einer bedingungslosen Kapitulation, wie sie derzeit von Rechten heraufbeschworen wird, ist somit haltlos.
Aber worum geht es tatsächlich in dem 34 Seiten umfassenden Dokument? In der Präambel vor allem um die Rechte, den Schutz sowie die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Migrant*innen. »Alle Formen der Diskriminierung, einschließlich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz« müssten beseitigt werden; Migrant*innen solle besserer Zugang zu Sozialleistungen und Kindern nach ihrer Ankunft zu Bildung gewährt werden. In der Umsetzung dieser Vorsätze bleibt der Text jedoch vage.
Konkreter wird das Papier dahingegen in den darauffolgenden 23 formulierten Zielen: Erreicht werden solle eine »bessere Datenlage«, die Bekämpfung der Ursachen von Flucht und irregulärer Migration sowie ein »ganzheitlicher, sicherer und koordinierter Grenzschutz«. Dafür sollen Daten in Zukunft leichter zwischen Staaten ausgetauscht und Datenlücken geschlossen werden. Reisedokumente müssten weiter vereinheitlicht werden, um »Identitätsbetrug und Dokumentenfälschung zu bekämpfen, unter anderem durch Investitionen in die Digitalisierung und den Austausch biometrischer Daten«. Es scheint, als ginge es vielmehr darum, nicht erwünschte Migration einzudämmen.
Kritische Stimmen kommen inzwischen nicht mehr nur von rechts. Der Volkswirt und Wirtschaftsjournalist Norbert Häring sagte über das Abkommen, es sei »die Frucht langer intensiver Lobbyarbeit der großen internationalen Konzerne«, und bezieht sich damit auf einen Bericht, den das Weltwirtschaftsforum in Davos schon 2013 unter dem Titel »Wirtschaftliche Argumente für Migration« veröffentlichte.
Ähnlich sieht dies auch der UNESCO-Koordinator für Migration und Entwicklung, Raúl Delgado Wise: »Wenn man sich die Daten anschaut, ist Migration eine Subventionierung des Nordens durch den Süden«. Die Menschen würden in ihren Herkunftsländern ausgebildet und nützten dann den Zielländern als qualifizierte Arbeitskräfte, so der mexikanische Entwicklungsökonom.
Auch die LINKE-Abgeordnete Sevim Dagdelen äußerte sich während einer Konsultation zum UN-Migrationspakt in New York kritisch: »Es ist purer Zynismus und rassistisches Nützlichkeitsdenken, die wachsende Bevölkerung in den Ländern Afrikas als zukünftiges Arbeitskräftereservoir für den Niedriglohnsektor in Deutschland zu sehen.«
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