Die Wut muss raus

Eben nicht konstruktiv: die Punkbewegung der 80er Jahre.

  • Holger Pauler
  • Lesedauer: 6 Min.

Ist Punk ein Fall für die Kulturindustrie? Natürlich: John Lydon aka Johnny Rotten und Sid Vicious wussten es vermutlich lange, bevor sie den ersten Akkord von »Anarchy in the UK« anschlugen: »Rrrrright nooow, ha, ha, ha... I am an anti-Christ, I am an anarchist«, hießen die ersten Textzeilen, lässig-arrogant rausgerotzt. Wenig später standen die Sex Pistols mit ihrem Album »Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols« an der Spitze der UK-Album-Charts. Ein Marketingerfolg ohne Beispiel und ein Beleg dafür, dass selbst die Ästhetik des Punks, die in Form und Inhalt eine Antiästhetik war und sich der Zerstörung des Bestehenden verschrieben hatte, doch dem verhaftet blieb, wovor sie fliehen wollte: dem Fetisch der Warenwelt.

Punk war die erste Jugendbewegung, der das Utopische fehlte, was sich auch in der Rezeption niederschlägt: Während über ’68 und die RAF, über Hippies und Pop tonnenweise Bücher und Filme in Archiven lagern oder in Wohnzimmern herumstehen, ist das Material zu Punk überschaubar. Der Autor Roger Behrens hat dies in einem Vortrag aus dem Jahr 2014 wie folgt beschrieben: »Punk war innerhalb des Pop eine erste Bewegung, die selbstreflexiv diese - d. i. ihre eigene - Dynamik durchbrechen wollte. Massenkulturell setzte der Punk fort, was Dada und Surrealisten im Handgemenge mit der Hochkultur versuchten. Und Punk scheiterte auch wie die Kunstavantgarden des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.«

Wer sich dem Phänomen Punk nähert, muss sich den Widersprüchen stellen. Die Ausstellung »superreal_punk«, die von der »Ping Pong Gallery c/o Trinkhalle Bochum« gezeigt wird, versucht sich dem Gegenstand visuell zu nähern. Der Fotograf Olaf Ballnus hat hierfür mehrere Dutzend Fotos ausgewählt, die er selbst in den 1980er Jahren gemacht und im gleichnamigen Bildband veröffentlicht hat. Ballnus war damals selbst Punk im Ruhrgebiet, und er hat sein Leben und das seiner Freunde und flüchtigen Bekannten in Bildern festgehalten. Die Exponate zeigen sehr persönliche Momentaufnahmen, die kein homogenes Porträt der Protagonisten und ihrer Umgebung abbilden können und sollen. »Für uns war Punk die wichtigste Zeit unseres Lebens«, sagt Ballnus. Die Musik, die aus England überschwappte, sei prägend gewesen für eine ganze Generation. »Es lag damals in der Luft. Im Ruhrgebiet haben wir das später erlebt als etwa in Düsseldorf, aber es war ähnlich intensiv: Mit 17 wollte ich nicht mehr sein wie die anderen. Ich musste raus.«

Es folgte ein Leben auf der Überholspur: Mit 19 die Gründung des Programmkinos »Baluba«, das nur kurz existierte, aber der Auslöser für die Explosion war. Gemeinsam mit Wolfgang Wendland, späterer Sänger der Bochumer Punkband »Die Kassierer«, zeigte er Stummfilme, Werke von Rainer Werner Fassbinder und alles, was über Punk zu bekommen war. Später ging es regelmäßig nach Berlin: übernachten in besetzten Häusern oder im Kadett C. Und natürlich immer wieder Konzerte: KFC, Black Flag oder UK Subs.

Mehr als drei Jahrzehnte später erinnerte sich der 56-jährige Wahl-Hamburger an die Bilder von damals und die Geschichten, die sie erzählen. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1983 zeigt einen Hausflur in der Berliner Görlitzer Straße: Das Fenster zum Hinterhof ist offen, Bretter liegen herum, daneben ein Teppich und eine ranzige Matratze. An der Wand steht Neil Youngs viel zitierter Satz aus dem Song »Hey, hey, my my« über Johnny Rotten, der da längst wieder John Lydon heißt und mit seiner Band P.I.L. den Punk dekonstruiert: »The King is gone but he’s not forgotten«. Ein Jahrzehnt später wird Kurt Cobain aus dem selben Song zitieren: »It’s better to burn out than to fade away« und sich anschließend aus Verzweiflung über den Erfolg seiner Band Nirvana mit dem Gewehr in den Kopf schießen. Auch die zum Großteil verschwundenen Zentren des Aufbruchs kehren ins Gedächtnis zurück: das »SO 36« in Berlin, das »Odeon« in Münster oder die »Zeche Bochum«. Auf den Fotos wird die Wut lebendig, die sich im Pogo entlädt: Einzelkämpfer und doch Brüder und eine Handvoll Schwestern im Geiste, die vor der Adorno’schen »verwalteten Welt« flüchten.

Stellvertretend für diese Welt steht ein Foto, das den Juwelierladen »Gold Kraemer« Anfang der 1980er Jahre in der Bochumer Fußgängerzone zeigt. Die vom Verkehr befreiten Straßen, die in den späten 1970er Jahren parallel zum Punk entstanden, waren die Prachtboulevards der kleinen Leute, auf denen sie »ihre Zerstreuung im Fetisch Ware« (Walter Benjamin) suchen sollten. Schon in den frühen 1980er Jahren war dies ein kaum mehr einlösbares Versprechen. Und auch der Glanz der Leuchtreklamen und der Schaufenster war längst verblasst, wenn er denn jemals sichtbar war. Letztlich ist Punk in der Gesellschaft angekommen, vor der er fliehen wollte, weil er deren Transformationsprozesse mitmachte. Beispielhaft steht hierfür das Foto von Campino, Anfang der 1980er im »Ratinger Hof«, bevor er mit den Toten Hosen die Charts erobert: die Augen geschlossen, den Mund weit geöffnet - die Wut muss raus. Wenn er 30 Jahre später von »Tagen wie diesen« singt, an denen er sich »Unendlichkeit« wünscht, mag er auch bewusst oder unbewusst auf den kurzen Winter der Anarchie zurückblicken.

Der viel zu früh verstorbene Gründer der Zeitschrift »testcard. Beiträge zur Popgeschichte«, Martin Büsser, hat versucht, die positiven Aspekte zu betonen: »Subkulturelle Gegenentwürfe mögen oft gescheitert sein. Doch dass sie innerhalb einiger Momente eine Erfahrbarkeit von anderer Gesellschaft haben geben können, zeigt, wie notwendig die ästhetische Komponente ist, will man denn ein Gegenbild zum Kapitalismus überhaupt versuchen.« Auch wenn dem Punk in der Regel diese antikapitalistische Intention insofern fehlte, als dass man sich wenig Illusionen darüber machte, wie eine andere, bessere Gesellschaft aussehen könnte, ging es eben nicht darum, konstruktiv zu sein und in einer Gesellschaft zu funktionieren, in der die Logik der Verwertung alles bestimmt. Was bleibt? Im Begleittext zum Buch betont der Schauspieler Wotan Wilke Möhring, ebenfalls ein Ex-Punk aus dem Ruhrpott, den alten »Spirit«: »Wir finden uns nicht einfach mit den Dingen ab, wir hinterfragen sie. Und im Zweifelsfall ändern wir sie. (…) Das Leben ist zu kurz für Wiederholungen. Ich habe immer noch Lust an der rohen Kraft von Punk-Musik, auch nach all den Jahren.« Letztlich sind die Fotos und der damit verbundene imaginäre Soundtrack nicht die schlechteste Option, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.

»Olaf Ballnus - superreal_punk«, bis 9. Dezember, Ping Pong Gallery c/o Trinkhalle, Herner Str. 8, Bochum

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