Die Hoffnung Rojava

Niels Seibert über das kurdische Projekt in Nordsyrien

Rojava ist ein mutiges und hoffnungsvolles Experiment im Nahen Osten. In dem autonomen Gebiet in Nordsyrien entstand inmitten einer Region, die von patriarchalen und autokratischen Regimen, von Kriegen und Bürgerkriegen bestimmt ist, eine Insel der Demokratie. Kurden, Araber und Syrier einigten sich 2014 auf einen verfassungsähnlichen Gesellschaftsvertrag und verwalten sich nun selbst - unter Achtung der verschiedenen kulturellen und religiösen Besonderheiten.

Die junge Revolution berührt sämtliche Bereiche der Gesellschaft. In Rojava entstehen Genossenschaften mit ökologischer Landwirtschaft und Versuche, eine autonome Nahrungsmittelversorgung aufzubauen. Die Emanzipation der Frauen war von Beginn eine wichtige Säule des Kampfes, inzwischen sind Frauenrechte verankert und in politischen Gremien befinden sich zur Hälfte Frauen. Dies und vieles mehr wurde angestoßen von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihrer Philosophie, ohne die die demokratische Konföderation Rojava nicht denkbar wäre. Zu den Verdiensten der PKK-Guerilla gehört auch die Rettung von Jeziden im nordirakischen Sindschar-Gebirge 2014 und die Befreiung der nordsyrischen Stadt Kobanê 2015 vom Islamischen Staat durch die bewaffneten Selbstverteidigungseinheiten YPG und die Frauenselbstverteidigungseinheiten YPJ.

Dennoch ist das gesellschaftliche Projekt Rojava heute von allen Seiten bedroht. Auch die Bundesrepublik Deutschland trug und trägt nicht zu Demokratie, Frieden und Gerechtigkeit in der Region bei. Als Anfang des Jahres der türkische Staat und seine Söldner die Stadt Afrin im Nordwesten Syriens angriffen und besetzten, taten sie das mithilfe von Leopard-2-Panzern des deutschen Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann. Allein von Mitte Dezember 2017 bis Ende Januar 2018 erteilte die schwarz-rote Bundesregierung 31 Genehmigungen für Rüstungsexporte in die Türkei. Und die Bundesregierung hält an ihrem PKK-Verbot aus dem Jahr 1993 fest. Damals wurde der Arbeiterpartei Kurdistans vom Bundesinnenministerium - zusammen mit der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) und über 30 weiteren Vereinen - die Betätigung in Deutschland untersagt.

Als zu Jahresbeginn weltweit Menschen gegen den Einmarsch der Türkei in Afrin auf die Straße gingen, trugen sie Fahnen der kurdischen Freiheitsbewegung. Darunter oft auch die rote Fahne mit grünem Kreis, darin ein roter Stern auf gelbem Grund: die Fahne der ERNK. Sie kann nahezu überall auf der Welt auf Demonstrationen geschwenkt werden. In Deutschland aber ist das verboten. Dies ist ein Beleg für die traditionsreiche enge Kooperation zwischen Berlin und Ankara. Die Bundesregierung geht dabei weiter als andere europäische Staaten und kommt den Bitten Ankaras oft und gerne nach. Die Auswirkungen erleben kurdische Freund*innen in Deutschland, ihre hier ansässigen Vereine und Verlage, die mit Razzien schikaniert und kriminalisiert werden. Aber auch Menschen, die ihre Solidarität zum Ausdruck bringen, werden mit Strafverfahren überzogen - alles auf Grundlage des 25 Jahre alten PKK-Verbots.

Die damit bezweckte Entsolidarisierung und Spaltung ist jedoch nicht geglückt. Die Revolution von Rojava hat die kurdische und deutsche Linke enger zusammengebracht. Es sind lokale und bundesweite Bündnisse entstanden, die insbesondere seit dem Angriff auf Afrin und dem Hofieren des türkischen Despoten Erdogan durch Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzlerin Merkel im September kontinuierlich zusammenarbeiten. Um Solidarität zu zeigen, bietet sich in zwei Wochen in Berlin eine neue Gelegenheit. Anlässlich des nun 25 Jahre bestehenden PKK-Verbots ruft ein Bündnis aus Vereinen, Organisationen und Einzelpersonen zu einer bundesweiten Demonstration. Dabei geht es dann nicht nur gegen die staatliche Repression in Deutschland und die jüngsten Angriffsdrohungen Erdogans gegen Kobane. Sondern in erster Linie um die Hoffnung, die das Projekt Rojava ausstrahlt - auf die Zukunft in Syrien und der ganzen Region - bis hierher. Denn es zeigt, dass ein alternatives Gesellschaftsmodell und eine andere, bessere Welt auch hier möglich sind.

nd-Redakteur Niels Seibert ist Anmelder der Demonstration »Der Wunsch nach Freiheit lässt sich nicht verbieten. Gemeinsam gegen Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus«, die am Samstag, dem 1. Dezember, um 12 Uhr Nähe Neptunbrunnen am Alexanderplatz in Berlin beginnt.

Weitere Informationen unter: https://wunschnachfreiheit.wordpress.com

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