Werbung

»Die haben kein Problem mit Vergewaltigung, sondern mit Sex«

In Ägypten hat sich seit der Machtübernahme Abd al-Fattah as-Sisis die Situation für Frauen drastisch verschärft

  • Caren Miesenberger
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Rande des Tashweesh-Festivals, das im November in Kairo stattfand, sprach die ägyptische Künstlerin Salma El Tarzi über Vergewaltigungskultur im kommerziellen ägyptischen Film.

Sie beschäftigen sich mit Vergewaltigung im ägyptischen Film und halten darüber Vorträge. Als Sie kürzlich Szenen mit Übergriffen zeigten, lachten Männer aus dem Publikum. Was denken Sie darüber?

Zur Person

Salma El Tarzi ist ägyptische Dokumentarfilmerin, Künstlerin, Essayistin und Aktivistin und lebt in Kairo. Ihr letzter Film „Underground/On The Surface“ gewann 2013 den Preis für die beste Regie beim Dubai International Filmfestival. Sie ist Mitglied der feministischen Gruppe OPANTISH – Operation Anti Sexual Harassment und hat beim Tashweesh-Festival eine Videoinstallation über Begehren und Rape Culture im ägyptischen Mainstreamfilm gezeigt.

Das ist der größte Beweis dafür, wie normal die »rape culture« ist. Es zeigt, wie unsensibel die Leute in Bezug auf diese Art von Verbrechen sind, wenn sie vor ihnen auf dem Bildschirm stattfinden. Es ist okay, darüber zu lachen, dass jemand leidet. Das Lachen war für mich eine physische Manifestation von genau dem, worüber ich gesprochen habe.

Wie hat sich seit der Revolution unter den verschiedenen Staatschefs die Situation für Frauen geändert?

Die Situation hat sich für alle geändert. Es gab nach der Revolution unterschiedliche Phasen. Aktuell erleben wir auf allen Ebenen bei weitem die unterdrückendste und repressivste Phase. Natürlich sind auch Frauen davon betroffen. Das totalitäre Regime und die Militärdiktatur wollen uns nationalistische und sehr konservative Werte und Regeln aufzwängen. Es gibt viel mehr Zensur. Leute werden wegen kritischer Facebook-Statements ins Gefängnis gesteckt. Frauen und Frauenthemen, vor allem in Bezug auf Sexualität und sexualisierte Gewalt, gelten als teuflisch und als Quelle der Unanständigkeit. Sie werden immer verhüllt oder kontrolliert.

Haben auch Sie Angst, sich kritisch zu äußern?

Natürlich. Ich lebe in konstanter Angst, jeden Tag. Das ist genau, was dieses System will. Ich glaube, dass das sehr strategisch ist: Du wirst in einen Zustand konstanter Angst versetzt, sodass du nie weißt, was alles passieren kann. Du kannst für etwas total Triviales angeklagt und inhaftiert werden, gleichzeitig werden andere wegen Mordes nicht verurteilt. Auch für meine Teilnahme am Tashweesh-Festival war sehr viel Vorbereitung nötig.

Wie sah diese Vorbereitung aus?

Ich habe mit mehreren Anwälten gesprochen und genau gefragt, was ich sagen kann und was nicht. In meinem Vortrag kam zum Beispiel ein vulgäres Wort vor, »Hure«. Den Begriff dafür auf klassischem Arabisch zu sagen, wäre okay. Aber für das umgangssprachliche Wort, das ich verwenden wollte, könnten sie mich kriegen. Deshalb musste ich es in der Präsentation ausblenden und mich somit selbst zensieren.

Gleichzeitig haben Sie in Ihrem Vortrag Vergewaltigungsszenen gezeigt, die im Internet veröffentlicht sind. Die wurden nicht zensiert?

Die hegemoniale Schicht ist daran interessiert, ihre Werte zu schützen. Sie wollen, dass wir brave Mädchen sind. Die haben kein Problem mit Vergewaltigung, sondern mit Sex. Sie sind besessen von Sex, so wie jede konservative, beschränkte Bewegung, aber sie dämonisieren ihn des Anstands halber. Oberflächlich ist es wichtig, dass Nacktheit nicht sichtbar ist. Man sieht keine nackten Brüste oder Hintern. Vergewaltigung ist ein gewalttätiger Akt, aber es ist die einzige Art, Erotik und Begehren zu zeigen. Wenn man etwas dämonisiert, fantasiert man es herbei. Und das geschieht zu Ungunsten der Frauen. In den Filmen äußern Männer ihr Begehren. Es ist akzeptiert, dass das in der Natur der Männer liege und sie sexuelle Wesen seien. Frauen hingegen müssen ehrlich und pur sein.

Würden Sie sagen, dass dies die realen Geschlechterverhältnisse widerspiegelt oder diese reproduziert?

Beides. Das Mainstream-Kino ist eine Industrie, die mit Kapitalzirkulation und der Frage, welcher Gewinn erwirtschaftet werden kann, zu tun hat. Dieses Kino soll die Mittelschicht nicht irritieren, schließlich setzt ist sie die Haupteinnahmequelle, da hauptsächlich diese Schicht ins Kino geht und Tickets kauft. Was vom Kino erwartet wird ist, dass man hingehen kann und sich gut fühlt. Kapitalismus wirkt darauf sehr stark. Der basiert wiederum auf dem Patriarchat und dem Staat. Auch der Staat fühlt sich gegenüber dieser Schicht verpflichtet, die das meiste Einkommen erwirtschaftet. Es ist eine Spirale, in der diese Gewalt reproduziert wird, ihre Aufrechterhaltung liegt gleichermaßen im Interesse von Macht und Kapital.

Sie sind auch Filmemacherin. Gibt es in der alternativen Filmszene Chancen, Geschlechterstereotype aufzubrechen?

Ja. Basierend auf meinen Erkenntnissen würde ich gerne Independent-Produktionen erarbeiten. Denn meiner Erfahrung nach kann alternatives Kino durchaus nonkonformistisch und progressiv sein, nur nicht, wenn es um Geschlecht geht. Hier wiederholen wir die gleichen Darstellungen wie im Mainstream-Film. Denn wir haben diese Bilder als Klassiker kennengelernt, als etwas, an dem wir uns orientieren. Für mich als Filmemacherin ist es sehr wichtig, zu demonstrieren, was ich gelernt habe und dies zu verlernen, damit ich diese Gewalt nicht versehentlich reproduziere.

Wie kann internationale feministische Solidarität aussehen?

Kollektive Arbeit ist sehr wichtig. Aber genau so wichtig ist es, unterschiedlich zu sein. Als Person des Globalen Südens bin ich vor allem mit weißen Theoretiker*innen konfrontiert und hauptsächlich mit Männern. Es erfordert viel Aufwand, das zu ändern und Theoretiker*innen zu finden, die queer, trans oder of Color sind oder die im globalen Süden leben. Die weiße, westliche Theorie ist die Norm. Im Gegensatz zu einer Seite, die immer annimmt, Wissen zu produzieren, während die andere Seite Wissen erhält, wäre eine Öffnung über alle Grenzen hinweg und mehr Diversität sehr nützlich.

- Anzeige -
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -