Denn sie wissen, was sie tun

Soll man mit Rechten reden? Soll man sich in die Frustwähler hineindenken?

  • Klaus Bittermann
  • Lesedauer: 6 Min.

Seit die AfD auf dem Vormarsch ist, zerbrechen sich die Intellektuellen über den Frustwähler den Kopf. In der »Süddeutschen Zeitung« schreibt Svenja Flaßpöhler, »wir« sollten »uns nur kurz einmal vorstellen, wie man sich so fühlt, als ein Mensch, der elitefern in, sagen wir, Sachsen lebt, aus Frust AfD-Wähler ist und von linken Intellektuellen liest, die ihn als regressiv und blockiert, also im Grunde als geistig zurückgeblieben bezeichnen«.

Das Einfühlungsvermögen in den AfD-Wähler ist erstaunlich groß, größer jedenfalls als gegenüber dem Wähler einer anderen Partei. Man sieht in ihm einen gutwilligen Menschen, der niemandem etwas Böses will, dem aber keine Aufmerksamkeit zuteil wird. Politiker fordern auf fast hilflose Weise, ihn nicht verloren zu geben, und ignorieren dabei das ganz Offenkundige, nämlich dass die sogenannten Wutbürger keineswegs ihrer Wut über die soziale Lage Ausdruck verleihen wollen. Vielmehr spricht Ignoranz und Ressentiment aus ihrem Wahlverhalten.

Argumente sind für AfD-Wähler höchstens Lügen. Antworten erhält man von ihnen nicht, sondern nur eine vorgefasste Meinung. Diese geben sie auf Transparenten kund, deren Aussage nicht verhandelbar ist. Sie behaupten, keine Nazis zu sein, haben aber nichts dagegen, dass die in der AfD den Ton angeben. Wenn Björn Höcke im Kreise seiner »Kameraden« gegen Ausländer demonstriert oder öffentlich antisemitische Äußerungen von sich gibt, dann stört das den Wähler nicht, vielmehr sind das notwendige Voraussetzungen, um ihm die AfD sympathisch zu machen. Sie sagen, sie haben Angst vor den Ausländern. Aber nicht ihre Häuser werden von Ausländern angezündet, sondern die Unterkünfte von Flüchtlingen, und in den seltenen Fällen, in denen man den Tätern auf die Spur kommen konnte, waren es natürlich keine Nazis, sondern unbescholtene und um die Zukunft des Landes besorgte Bürger.

Es handelt sich also nicht um verlorene, verführte oder sonstwie manipulierte Menschen, sondern um Überzeugungstäter, die genau wissen, was sie tun und wollen, wenn sie die AfD wählen. Man sollte sie nicht für dümmer halten als sie sind. Der »Protestwähler« ist eine Chimäre, mit der man sich einreden kann, sie würden wieder CDU, SPD oder Grüne wählen, würde man nur die richtige Politik machen. Aber die gibt es nicht. Vielmehr scheint sich jede Regierungspartei automatisch zu desavouieren, und das Hoch bei den Umfragewerten der Grünen hält vermutlich so lange an, wie sie in der Opposition sind. Mit Wahlversprechen ist der Wähler der AfD nicht zu ködern. Er wählt die AfD, auch wenn diese seine Interessen überhaupt nicht vertritt. Aus dem Wähler wurde ein durch seine Unzufriedenheit unberechenbar gewordener Reaktionär und Rassist, der in den USA Donald Trump ins Weiße Haus verholfen hat, weil der die Irrationalität ihres Lebens verkörpert und Rache am verhassten Establishment verspricht, dem er selbst angehört, wie auch die AfD-Politiker natürlich zum Establishment gehören. Selbst wenn diese Rache den eigenen Untergang bedeutete, würden sie sich keines Besseren belehren lassen, wie das J.D. Vance in dem Buch »Hillbilly-Elegie« über seine Familie in Ohio überzeugend beschrieben hat.

Man muss nicht an jeder Mülltonne schnuppern, um zu wissen, dass es daraus stinkt. Das wissen auch die Politiker und Intellektuellen, und dennoch spornen sie sich gegenseitig an, es zu tun. Sie sagen, dass eine polarisierte Gesellschaft nicht gut sei. Dabei ist sie keineswegs ein neues Phänomen, doch das fällt den Regierenden erst dann auf, wenn ihre Wählerbasis schwindet, weil es nur noch wenig Grund gibt, sie zu wählen, und zwar aus einem Motiv, das jeder kennt: Man findet sich nicht mehr oder nicht genügend repräsentiert. Wie im Fußball hält sich jeder für einen Experten, der genau weiß, wie die Probleme zu lösen sind. Trump ist schließlich das lebende Beispiel dafür, dass auch Idioten einen Staat führen können, also auch man selbst.

Jahrzehntelang haben die Intellektuellen, die die gesellschaftliche Meinung dominiert haben, sich als Stichwortgeber für die Rechten betätigt, sie haben die nationale Identität befummelt und auch gute Seiten an ihr entdeckt, sie haben mit den Nazis reden wollen, obwohl die gar keinen Wert darauf legten, sie erfanden den Heimat- und Naturschutz, und Linke haben schon in den Achtzigern dafür plädiert, den unkontrollierten Zuzug von Ausländern zu stoppen, weil sie Angst davor hatten, dass in den Töpfen für Soziales weniger für sie übrig bleiben würde. Wie die SPD, die mit Hartz IV eine neoliberale Sozialpolitik durchboxte, wie sich das die CDU niemals getraut hätte, die ihr aber gut in den Kram passte, so bereiteten die Linken ideologisch vor, worauf die Rechten nur noch zurückgreifen mussten.

Vor diesem Hintergrund verpuffen die gut gemeinten Ratschläge von Svenja Flaßpöhler, alles daranzusetzen, »die Mündigkeit der Bürger und ihre Fähigkeit zum aufgeklärten, kontroversen Diskurs zu stärken«, weil der in solchen Predigten kaum zu überhörende pädagogische Formungswille das Gegenteil dessen bewirkt, was beabsichtigt ist, vor allem wenn der Schwafelgehalt so hoch ist, dass sich beim »Bürger« entweder Widerwille regt oder ihm die Augen zufallen.

Die Rechten können sich ausbreiten, solange man versucht, Verständnis für sie aufzubringen. Vielmehr kommt es aber darauf an zu verstehen, wie sie ticken: Dann wird schnell deutlich, dass Dialog für sie bedeutet, das Gegenüber zum Abladeplatz für krude Weltverschwörungstheorien zu machen. Warum sich also in den Frustwähler hineindenken wollen? Glaubt jemand ernsthaft, Leute in »demokratische Prozesse« einbeziehen zu können, die sich schon längst von ihnen verabschiedet haben? Warum nicht den Streit aushalten, die AfD auf Granit beißen lassen? Warum sie nicht ausgrenzen und isolieren, anstatt sie hoffähig zu machen mit immer neuen Dialogangeboten?

Vielleicht weil die bürgerlichen Intellektuellen insgeheim wissen, dass von ihnen nicht allzu viel zu erwarten ist, wenn es hart auf hart käme? Theodor W. Adorno und Max Horkheimer verließen Deutschland auch deshalb, weil Erich Fromm schon 1929/30 eine empirische Studie unter anderem über das politische Bewusstsein von sozialdemokratisch und liberal gesinnten Bürgern gemacht hatte, die zeigte, dass Widerstand von dieser Seite am wenigsten zu erwarten war. Die bloße Absichtserklärung, an »Werten festhalten« zu wollen, reicht nicht mehr aus. Wie Hannah Arendt schrieb, lehrt uns »der totale Zusammenbruch der ehrenwerten Gesellschaft während des Hitlerregimes, dass es sich bei denen, auf die unter Umständen Verlaß ist, nicht um jene handelt, denen Werte lieb und teuer sind und die an moralischen Normen und Werten festhalten; man weiß jetzt, dass sich dies alles über Nacht ändern kann ...« Aber dann ist es bereits zu spät.

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