Trauer in Bikini Bottom

Zum Tod des US-Zeichners Stephen McDanell Hillenburg

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

In dem wunderbar schaurigen Thriller »Sieben« (1995) müssen zwei Ermittler (gespielt von Morgan Freeman und Brad Pitt) eine Serie von Morden aufklären, die allesamt nach dem Muster der sieben Todsünden verübt wurden. Diese besonders schweren Formen menschlicher Verfehlungen sind ausführlich in den theologischen Schriften der katholischen Kirche beschrieben, aber man kann zu Recht annehmen, dass die Neigung zur Faulheit, zum Zorn, zur Habgier, zum Neid, zu Völlerei, zum Stolz und zur Lust auch in anderen Religionen als schwerer charakterlicher Makel gilt. Und da Religion und Kunst Geschwister sind, haben sich immer wieder große Künstler an dem Motiv der Todsünden abgearbeitet.

So auch Stephen McDanell Hillenburg. Vor gut 20 Jahren zeichnete er erstmals die Figur des SpongeBob, eines quadratischen gelben Schwamms in brauner Hose, der in der fiktiven Unterseewelt Bikini Bottom lebt und als Burgerbrater (Krabbenburger!) in einem Fast-Food-Restaurant arbeitet. In diesem kleinen Universum, das in seiner tristen Alltäglichkeit (jeden Tag geht der Schwamm zur Arbeit, er trifft sich mit den immergleichen Freunden, kennt nur eine Freude, und zwar die, seinem ausbeuterischen Chef zu gefallen) der Realwelt ähnelt, soll es laut einer besonders beliebten Theorie, die in den sozialen Netzwerken verbreitet wird, alle sieben Todsünden geben - verkörpert von den sieben Hauptfiguren der Serie: die Faulheit (SpongeBobs Freund Patrick, ein Seestern, der den lieben langen Tag handlungsunwillig unter einem großen Stein liegt); Zorn (Thaddäus, ein Tintenfisch, der alles in seinem Leben hasst: sein Leben, seine Arbeit und natürlich die Frohnatur SpongeBob); Habgier (die Krabbe Mr. Krabs, der Chef von SpongeBob und Thaddäus, dessen Gedanken sich ausschließlich darum drehen, wie er noch mehr Geld scheffeln kann); Neid (Plankton, größenwahnsinniger Widersacher und erfolgloser Konkurrent von Mr. Krabs); Völlerei (Gary, SpongeBobs Hausschnecke, die den ganzen Tag nur am Fressen ist); Stolz (Sandy, ein Eichhörnchen, das stolz darauf ist, ein Säugetier und Landbewohner zu sein); und schließlich die Lust selbst (SpongeBob).

Ob Hillenburg wirklich beim Zeichnen an das Motiv der sieben Todsünden dachte, ist ungewiss. Schön ist die Geschichte allemal. Der gebürtige Kalifornier kam über Umwege zum Comic-Genre. Im Erstberuf ist er Meeresbiologe. Als solcher arbeitete er von 1984 bis 1987 in einem Forschungsinstitut, bevor er sich entschied, sich ganz seiner zweiten Passion - dem Zeichnen - zu widmen. Es dauerte aber noch mehr als zehn Jahre, bevor er mit der Erfindung von SpongeBob weltweit Erfolg hatte. Der Sender Nickelodeon strahlte die Serie ab Juli 1999 aus. In Deutschland lief die erste Folge unter dem Titel »SpongeBob - Schwammkopf« erstmals im August 2002.

Dass bei ihm die unheilbare Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) diagnostiziert wurde, gab Hillenberg erst im vergangenen Jahr bekannt. Am 26. November ist er an den Folgen dieser Krankheit im Alter von nur 57 Jahren verstorben.

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