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Bibel der Bäume
Richard Powers nimmt sich eines Weltthemas an: Besorgt um die größten Lebewesen, warnt er zugleich vor Potemkinschen Wäldern
Im Dezember 1997 stieg die junge Amerikanerin Julia Butterfly Hill in Kalifornien auf einen tausendjährigen Küstenmammutbaum und verharrte in 60 Metern Höhe 738 Tage. So wollte sie die Abholzung eines Sequoiawalds durch ein übel beleumundetes Unternehmen verhindern, das die junge Frau mit Trick und Drangsal aus der Baumkrone zu vertreiben suchte. Julia gab nicht auf und rettete ihren Baum. Doch sie hegte keine Illusionen. »Wenn jemand auf einem Baum sitzen muss, um ihn zu beschützen, dann steht fest, dass alle Ebenen unserer Gesellschaft versagt haben.«
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Richard Powers: Die Wurzeln des Lebens. Roman.
A. d. Am. v. Manfred Allié u. Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer Verlag, 618 S., geb., 26 €.
In Richard Powers’ neuem Buch »Die Wurzeln des Lebens«, einem ausgreifenden Roman über die größten Lebewesen unseres Planeten, nimmt eine ähnliche Besetzung viel Raum ein. Mehrere Aktivisten erwirken Abholzungsaufschub, aber keinen Stopp der forstindustriellen Massaker. Der US-Amerikaner Powers (61), Cellist, einstiger Physikstudent und Computer-Programmierer und für »Das Echo der Erinnerung« 2006 mit dem National Book Award ausgezeichnet, nimmt sich hier eines Weltthemas an. Powers, der Naturwissenschaftler unter Amerikas großen Erzählern, der Ozeanograf hatte werden wollen und - als neunter Mensch - sein Genom entschlüsseln ließ, begnügt sich nicht mit Nebensächlichem. Er hat eine Bibel der Bäume entworfen, ein Epos ihrer Schönheit, Klugheit und Selbstheilungskräfte, ihres Segens für Natur, Mensch und Tier, aber auch ihres Unverstandenseins, ihrer kurzsichtigen Ausschlachtung und der Folgen, die »unabsehbar« zu nennen sich längst verbietet.
Ein wütendes Buch. Wütend sind auch einige seiner Gestalten, obwohl sie Humor, Geduld und Verstand besitzen. Gerade deswegen. Die Lebensgeschichte dieser Personen in verschiedenen Teilen Amerikas entfaltet sich unabhängig und ohne Kenntnis voneinander. Je weiter Powers sie verzweigt, desto sichtbarer wird das besondere Verhältnis, das jeden von ihnen mit Baum und Wald verbindet.
Nicolas, dessen norwegischer Urahn einst die Amerikanische Kastanie von New York nach Iowa brachte. Mimi, deren Vater im Andenken an die verlorene Heimat China eine Maulbeere umhegt. Weitere Schicksale. Schließlich vor allem Biologin Patricia, die seit den Waldexkursionen an der Hand des Vaters sicher ist, dass Pflanzen einen Willen haben, intelligent sind und Ziele verfolgen, »genau wie die Menschen«. Als Jungwissenschaftlerin wird sie dafür erst gefeiert, bald verspottet - ehe sie, viel später, erneut Anerkennung für ihren Befund erhält, dass »Potemkinsche Wälder« aus wenigen Reihen tiefer, schnell wachsender, normierter und für alsbaldigen Einschlag bestimmter Baumkulissen weder eine wirtschaftliche noch eine anderswie nachhaltige Lösung sind. Wie Powers ist sie überzeugt, dass Bäume die Welt retten können: »Aber erst, wenn die Welt uns losgeworden ist.«
Vielleicht der Schlüsselsatz kommt von einem Mann mit nur kurzem Auftritt: »Wir können noch so gute Argumente haben, damit ändern wir die Einstellung der anderen nicht. Das Einzige, was so etwas kann, ist eine gute Geschichte.« Abgesehen von der ernüchternden Erkenntnis, dass auch Richard Powers, der nüchternste Naturwissenschaftler unter Amerikas Romanciers, heute mehr auf gute Geschichten denn auf harte Fakten hofft, um Menschen zu verändertem Handeln zu bewegen, abgesehen davon liegt hier das Manko des neuen Buchs: Nicht alle Schicksale, die er im Roman miteinander zu verknüpfen sucht, ergeben »gute Geschichten«. Manche verwirren, andere wirken bemüht, dritte pathetisch. Damit lässt sich weder eine Einstellung ändern, noch wird Unterhaltung gelingen. Das ist eine Schwäche des neuen Powers’. Erfreulicherweise ist sie nicht groß genug, um seine wichtigsten Stärken auszulöschen.
Reiner Oschmann
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