Werbung
  • Kultur
  • Bücher zum Verschenken

Wer sich entziehen will ...

Jerome Leroy erzählt spannend über eine Gesellschaft in der Krise

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Jerome Leroy Frankreichs politischer Realität zu Leibe rückt und mögliche Ereignislinien einer nahen Zukunft entwirft, kommt spannende Literatur heraus. Schon im vergangenen Jahr erschien hierzulande pünktlich zur Präsidentschaftswahl in Frankreich »Der Block«, ein beachtlicher Roman über die französische Rechte, in dessen Zentrum eine Partei steht, die dem Front Nationale ähnelt und in einer Regierungskrise die Macht übernimmt. In seinem neuen Roman, »Die Verdunkelten«, schreibt der 1964 geborene Jerome Leroy, der auch Verfasser von Kinderbüchern und von Lyrik ist, über eine französische Gesellschaft zwischen islamistischen Attentaten, sich immer weiter ausdehnenden Streiks und radikalen politischen Kämpfen. Anhand von zwei Personen entwickelt er ein Panorama dieser tiefgehenden Krise, die sich im Lauf des Romans immer mehr verschärft - bis zur Havarie des Gesellschaftssystems.

• Buch im nd-Shop bestellen
Jerome Leroy: Die Verdunkelten. Roman.
A. d. Franz. v. Cornelia Wend. Nautilus, 256 S., geb., 19,90 €.

Auf der einen Seite ist da der in die Jahre gekommene Kommunist Guillaume Trimbert. Der Mittfünziger ist halbwegs erfolgreicher Autor, der aber vor allem in seinen Erinnerungen lebt. Die sind angefüllt mit früheren Liebesbeziehungen und politischen Erlebnissen im Europa der 1970er Jahre zwischen der Nelkenrevolution in Portugal und den radikalen Kämpfen in den westlichen Großstädten. Sein Gegenüber ist die Geheimdienstmitarbeiterin Agnes Delvaux, die Trimbert überwacht, der wie viele andere Alt-Linke eine Gefährderakte bei der Polizei hat. Sie ist die Frau fürs Grobe, verprügelt politische Gegner in Geheimgefängnissen oder ermordet sie auch auf Geheiß von oben. Nur scheint Agnes Delvaux’ Obsession für ihr Observationsziel Trimbert, der in einer großen Pariser Wohnung lebt und regelmäßig Austausch mit anderen Intellektuellen hat, ausgeprägter, als man erwarten könnte ... Etwas scheint sie zusätzlich zu motivieren.

Menschen verschwinden im allgemeinen Chaos. Auch aus den höheren Kreisen von Politik und Wirtschaft setzen sich viele ab, um irgendwo in einem Fischerdorf zu leben oder anderswo neu zu beginnen. Unter anderem ist Agnes Delvaux damit betraut, solche Leute aus dem Weg zu räumen,. Als Trimbert mit einer alten Freundin Kontakt aufnimmt und Paris verlässt, folgt ihm Agnes Delvaux ...

Jerome Leroys Roman ist eine heftige Kritik an Frankreichs neuen Sicherheitsgesetzen. Der Ausnahmezustand wurde nach den Anschlägen 2015 immer wieder verlängert. Agnes Delvaux, die Dauerüberwachung, Geheimgefängnisse und Gefähderakten stehen für jene entgrenzte Polizeigewalt und Behördenwillkür, die seit Jahren beklagt wird. Gleichzeitig inszeniert Leroy den militanten Protest des schwarzen Blocks ebenso wie die Riots in den Vorstädten als Bestandteile eines permanenten Krisenszenarios der französischen Gesellschaft. Am Ende kommt es quasi zum Zusammenbruch, und es folgt als Ausblick auf die Zukunft fast im Stil eines Science-Fiction-Romans das im Grunde sympathische, wenn auch nicht immer einfache Chaos der Selbstorganisierung. Ein Roman, der über Frankreich hinausweist und brisante Aktualität besitzt.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -