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Meisterwerk der Moderne
Michail Bulgakows Roman »Die weiße Garde« in einer atemberaubenden neuen Übersetzung
Was Michail Bulgakow (1891- 1940) in seinem Romanerstling mit autobiografischer Authentizität darstellt, wirkt gegenwartsnah. In der von Russland abgespaltenen Ukraine tobte 1918/19 ein erbitterter Bürgerkrieg. Den von deutschen Besatzungstruppen gestützten Hetman Skoropadski zwingt der Volkswiderstand zum Rücktritt. Petljura, nach dem Rückzug der Deutschen Armeebefehlshaber und Regierungschef, tritt gegen Skoropadski und dessen anarchistischen Rivalen Machno an und bekämpft Rote und Weiße. Skoropadski setzt sich nach Deutschland ab, Petljura nach Polen.
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Michail Bulgakow: Die weiße Garde. Roman.
A. d. Russ. u. hg. v. Alexander Nitzberg. Galiani Berlin, 544 S., geb., 30 €.
»Die Weiße Garde« ist ein Roman über Kiew, die »Große Stadt«, und ein Requiem auf das Schicksal der Kiewer russischen Intelligenz. Diese wird durch die Geschwister Alexej, Nikolka und Jelena Turbin, ihre Freunde und Verwandten im Haus Nr. 13 am Alexej-Steig repräsentiert. Deren Lebensform und Ideale sind von den »Schokoladenbüchern« geprägt, Werken wie Puschkins »Hauptmannstochter« und Tolstois »Krieg und Frieden«. Doch in den Konflikten des Bürgerkriegs wissen die Turbins nicht, wofür sie sich entscheiden sollen.
Alexej Turbin, Hauptgestalt des Romans, hinter der sich Bulgakow verbirgt, ist 28, von Beruf Arzt. Er wirft dem Hetman vor, er terrorisiere »die russische Bevölkerung mit dieser einfach nur scheußlichen Sprache, die noch nicht einmal existiert«. Indes veranlasst ihn ein patriotisches Pflichtbewusstsein, sich beim Kiewer Freiwilligenbataillon als Militärarzt zu melden. Das hat sich schon aufgelöst, als er den Dienst antreten will. Alexej wird von Petljura-Leuten verwundet und von einer rätselhaften Frau gerettet. Vom Typhus genesen, rafft er sich auf und praktiziert erneut als Arzt.
Die turbulenten Massenszenen und Bürgerkriegsepisoden des Romans wirken operettenhaft. Petljuras Truppen gleichen Räuberbanden, ihre Kommandeure Hasardeuren, die Privatkriege führen. Das beste Beispiel dafür ist der Fähnrich Spoljanski, Literat, Bombenwerfer und Lebemann, der Skoropadski wie Petljura für »Schweinehunde« hält und im entscheidenden Augenblick den Einsatz der ihm anvertrauten Panzerfahrzeuge sabotiert (Spoljanski ist Viktor Schklowski, der diese Ereignisse 1923 in seinem Roman »Sentimentale Reise« schildert).
Dreizehn Kapitel der »Weißen Garde« wurden 1925 in der Zeitschrift »Rossija« veröffentlicht, die kurz darauf einging. Zwei der insgesamt drei Teile kamen 1927/29 in Paris heraus, 1928 in deutscher Sprache in Berlin das an den Roman locker angelehnte Drama »Die Tage der Geschwister Turbin«.
Nachdem alle drei Romanteile 1966 in der Sowjetunion erscheinen konnten, wurden weitere Fragmente entdeckt. Alexander Nitzberg hat sie in die vorliegende Ausgabe aufgenommen. Seine Übersetzung unterscheidet sich stilistisch grundlegend von der Larissa Robinés 1969 bei Kultur und Fortschritt und im ersten Band der Werkausgabe bei Volk und Welt (1992). Nitzberg betrachtet »Die Weiße Garde« als »ein Werk des radikalen Modernismus, experimentell, fragmentiert, oft genug kryptisch«, vergleichbar mit der poetischen Prosa Andrej Belys und anderer Futuristen. Bulgakow verfremde Personen und Topografie, arbeite exzessiv mit dem Bewusstseinsstrom, verdrehe Grammatik und Syntax, mische das Russische mit schlechtem Ukrainisch, wähle riskante Partizipialkon-struktionen, Metaphern und Bilder, setze Klangballungen (Alliterationen, Reime) ein. Nitzberg, der schon den Bulgakow’schen Romanen »Meister und Margarita«, »Das hündische Herz« und »Die verfluchten Eier« eine neue Sprachform gab, hat diese Kunstgriffe des Autors in seiner atemberaubenden poetischen Nachdichtung konsequent realisiert.
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