Die Proteste sind kein Strohfeuer

Frankreichs »Gelbe Westen« geben sich mit Ökosteuer-Verzicht nicht zufrieden

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die nicht nachlassende Protestbewegung der »Gelben Westen« zeigt Wirkung: Aus der Regierung von Emmanuel Macron kommen immer öfter widersprüchliche Ankündigungen und Zusagen. Während beispielsweise Premier Edouard Philippe in einer Ansprache am Dienstag für die umstrittene CO2-Steuer, die Treibstoff ab 1. Januar verteuern würde und die vor drei Wochen die Proteste ausgelöst hatte, ein Moratorium für sechs Monate versprach, hat Präsident Emmanuel Macron am Mittwochabend überraschend die CO2-Steuer komplett zurückgezogen. Doch während diese Geste vor drei Wochen noch Wirkung gezeigt hätte, geben sich die »Gelben Westen« heute damit nicht mehr zufrieden. Sie wollen weitere soziale Maßnahmen wie beispielsweise die sofortige Anhebung des Mindestlohns SMIC von heute 1185 Euro auf 1300 Euro netto und eine Mindestrente von 1200 Euro. Um dies zu finanzieren, fordern sie, die von Macron abgeschaffte »Reichensteuer« ISF zu reaktivieren. Auch dazu gaben verschiedene Mitglieder der Regierung widersprüchliche Stellungnahmen ab. Während einige Minister erklärten, die Frage werde »geprüft« und das sei »nicht ausgeschlossen«, hat Macron am Mittwochabend ein Machtwort gesprochen und die Wiedereinführung der ISF kategorisch ausgeschlossen.

Angesichts der Gefahr, dass es am kommenden Samstag, dem vierten Aktionstag der »Gelben Westen«, in Paris erneut zu Zusammenstößen kommt, hat Präsident Macron die politischen Parteien, die Gewerkschaften und die Unternehmerverbände aufgefordert, die »Gelben Westen« zu Besonnenheit, Gewaltverzicht und Gesprächsbereitschaft aufzurufen. Das ist ein Zeichen der Ohnmacht und zeugt davon, dass die Regierung sich nicht mehr im Stande sieht, allein für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Auf Initiative der Gewerkschaften CGT und CFDT haben die führenden Vertreter aller großen Gewerkschaftsverbände beschlossen, am Donnerstagabend zusammenzukommen und einen entsprechenden Aufruf zu formulieren.

Gleichzeitig sind in verschiedenen Branchen und Bereichen Streiks und Protestaktionen aufgeflammt. Ihnen gelingt zwar nicht der Schulterschluss zu den »Gelben Westen«, weil die absolut autonom und spontan bleiben wollen, aber sie wollen die momentane Schwäche der Regierung für die Durchsetzung ihrer Forderungen nutzen wollen.

Landesweit gibt es Protestaktionen von Bauern für kostendeckende Aufkaufpreise, von Schülern und Studenten gegen die sozial ungerechte Bildungspolitik und gegen höhere Studiengebühren sowie von Krankenwagenfahrern gegen neue Transportregeln im Gesundheitswesen. Einem Aufruf der Transportarbeitergewerkschaften von CGT und FO folgend, streiken ab Montag die Lastwagenfahrer für die Steuerfreistellung ihrer Überstunden. Für den 14. Dezember hat die CGT zu einem nationalen Streik- und Aktionstag für höhere Löhne aufgerufen.

Die politischen Parteien stellen sich unterschiedlich zur Bewegung der »Gelben Westen«. Der Parteivorsitzende der rechten Republikaner Laurent Wauquiez, der noch vor Tagen scharfmacherisch für die »Gelbe Westen« Position bezogen hatte, dem aber inzwischen offenbar deren soziale Forderungen zu weit gehen, ruft diese jetzt zu »Zurückhaltung« und »Verzicht auf Gewalt« auf.

Die Sozialisten, die Kommunisten und Anhänger der linken Bewegung La France insoumise wollen Anfang kommender Woche einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einbringen. Der dürfte zwar wegen der Mehrheitsverhältnisse im Parlament kaum eine Chance haben, dessen symbolische Wirkung aber nicht zu unterschätzen ist. Der Vorsitzenden der rechtsextremen Rassemblement National, Marine Le Pen, die die gegenwärtige Krise zu rassistischen Angriffen auf die Ausländerpolitik der Regierung nutzt, aber auch dem linken Politiker Jean-Luc Mélenchon, der sich nicht von der Gewalt radikaler Kräfte bei den Gelben Westen distanziert, wird von der Regierung und von gemäßigteren rechten wie linken Oppositionspolitikern vorgeworfen, dass sie »Öl ins Feuer gießen«. Sicher ist, dass die Proteste der »Gelben Westen« kein Strohfeuer sind. Das wird sich Frankreich auch am kommenden Wochenende zeigen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -