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Coca-Cola für Diabetiker
Bundesregierung und Wirtschaft geben sich auf der UN-Klimakonferenz als uneigennützige Klimaretter.
Jeden Morgen kurz vor acht, auf wenigen Quadratmetern, Stuhl an Stuhl, Laptop an Laptop, trifft im Verhandlungszelt der »Area G« die deutsche Regierungsdelegation zusammen. Heute sitze ich beim Morgenbriefing mit am Tisch. Wer die kleine Treppe zum deutschen Büro hoch klettert, der durchläuft einen Greenwashing-Spießrutenlauf. Visa Card wirbt mit grünen Bäumen für den grünen Kaufrausch und will Geld für Wälder spenden. IKEA verspricht ein Klima-Tischleindeckdich, durch Billy-Regale und Kuschelsofas würde am Ende mehr CO2 eingespart, als wenn man nichts beim Möbelriesen einkauft. Ein Hochglanzstand mit riesigen Flatscreens lässt Kasachstan als Klimaheld glänzen. Astana will vergessen machen, dass das Land weltweit auf Platz 4 landet, was die CO2-Intensität angeht, also Klimagase im Verhältnis zur Wirtschaftskraft. Polens Energieversorger-Verband PKEE hat einen Wald aufgebaut. Künstliches Vogelgezwitscher im Ohr laufe ich über glänzende Rohkohle unter Plexiglas zur Frühbesprechung.
Im Delegationsbüro verhandeln zwei Handvoll Expertinnen und Experten die Positionen der Europäischen Union, die auf den Konferenzen immer mit einer Stimme spricht. Neben mir die angereisten Abgeordneten der anderen Fraktionen, die AfD fehlt. In den laufenden Verhandlungen geht es um brennende Fragen, ein Regelwerk soll die Staaten die nächsten hundert Jahre auf Klimaschutz einstellen: Wie werden CO2-Einsparungen angerechnet, wann werden Klimaziele überprüft? Gelten dieselben Klimaschutzregeln für Industriestaaten und die Länder des Globalen Südens? Wie werden die Klimagelder vom Norden in den Süden fließen und wie viel? Bekommen die stark von der Klimakrise betroffenen Gesellschaften finanzielle Entschädigungen für Schäden und Verluste?
Schon jetzt ist klar: Die bisher beschlossenen Klimaziele aller Staaten reichen nicht, das Weltklima steuert auf eine Erhitzung auf über drei Grad zu. Dabei sind die Klimaziele nicht einmal verpflichtend, so unverbindlich ist das Pariser Klimaabkommen. US-Friedensnobelpreisträger Al Gore rüttelt im Plenum noch einmal auf, in Polen gebe es jährlich rund 47.000 vorzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung. In Pakistan würden im Frühjahr vorsorglich Massengräber ausgehoben, für die vielen Hundert Hitzetoten im Sommer. Auch ein Treffen mit Klimazeugen am Nachmittag zeigt, wie die brennende Erde und klimawandelbedingte Zyklone die einfachen Menschen in Mark und Bein trifft. Gestern brachte Enele Sopoaga, Ministerpräsident des vom Untergang bedrohten Inselstaates Tuvalu den ganzen Saal zum Aufstehen: »Retten wir Tuvalu, dann retten wir die ganze Welt«.
Doch das sorgt bei den deutschen Verhandlern nicht für Stress. Stattdessen »business as usual«. In den Medien verkauft Umweltministerin Schulze Deutschland auf der Weltbühne als »Vermittler«. Wie bitte? Dass der größte Klimasünder in ganz Europa, der seine Klimaziele gerade um fast zehn Prozent verfehlt, »vermittelt« ist in etwa so, als würde Coca Cola einen Diabetiker-Kongress ausrichten.
In der EU gehört Groko-Deutschland zu den Ländern, die sich gegen stärkere Klimaziele stellen. Berlin macht Lobby gegen höhere CO2-Grenzwerte für Autos. Die Bundesregierung von Union und SPD ist offen gegen die Klimaentschädigung armer Länder. Da hilft auch die Verdoppelung der deutschen Gelder für den grünen Klimafonds wenig. Der soll ab 2020 pro Jahr 100 Milliarden US-Dollar für Energiewende und Klimaanpassung nach Asien, Afrika und Lateinamerika pumpen. Und so ist die Bilanz des Tages ernüchternd. Nach außen gibt Deutschland den moderierenden Klimaengel. Die Wirtschaft macht auf grün. Doch leuchtet der Heiligenschein pechrabenschwarz, wir laufen längst auf heißen Kohlen.
Lorenz Gösta Beutin ist Klima- und Energiepolitiker der Linken im Bundestag und noch bis Freitag in Katowice.
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