• Kultur
  • Johann Georg Reißmüller

Der Kroate

Zum Tod des früheren »FAZ«-Herausgebers Johann Georg Reißmüller

In Krimis haben wichtige Protagonisten oft keine richtigen Namen, sondern Spezialbezeichnungen. Sie heißen dann »Der Grieche« (»The Wire«, zweite Staffel) oder »Der Türke« (»Der Pate«, erster Teil) oder »Honey Bunny« (»Pulp Fiction«). In dieser Logik könnte man den am Montag verstorbenen Johann Georg Reißmüller, der durchaus einen Sinn für das Komödiantische gehabt haben soll, »den Kroaten« der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« nennen. Denn er bekämpfte »die serbisch-kommunistische Macht, die sich Jugoslawien nennt«, wie sonst kaum ein bundesdeutscher Leitartikelschreiber. Im beginnenden jugoslawischen Bürgerkrieg forderte er für das sich 1991 abspaltende Kroatien Waffen, Geld und am besten eine militärische Intervention gegen die serbische »Herrenvolk-Mentalität«, die sich vor allem darin ausdrückte, dass die Zentralregierung in Belgrad sich weigerte, die Bundesrepublik Jugoslawien aufzulösen.

Der promovierte Jurist Reißmüller, dessen Familie 1946 aus dem tschechoslowakischen Litoměřice vertrieben worden war, arbeitete ab 1961 für die »FAZ«, wurde erst ihr Korrespondent in Belgrad, dann Chef des Ressorts Innenpolitik und 1974 einer von fünf Herausgebern, dessen dogmatische Kommentare der Zeitung die Richtung wie mit dem Vorschlaghammer einbimsten: Stets ging es gegen den Osten und die vermeintliche Schwäche des Westens.

Reißmüller habe »nicht nur Sozialdemokraten und Kommunisten« publizistisch vor sich hergetrieben, formuliert Berthold Kohler, der 1999 sein Nachfolger als Herausgeber wurde, in seinem Nachruf am Mittwoch, sondern auch die CDU-FDP-Regierung, als die zögerte, Kroatien und Slowenien als neue unabhängige Staaten anzuerkennen.

Dass sich das kroatische Nationalgefühl aus der faschistischen Diktatur speiste, als Kroatien im Zweiten Weltkrieg ein kleiner Staat von Hitlers Gnaden gewesen war, machte auf Reißmüller keinen Eindruck. Laut Kohler habe er sich auch in den Debatten, die in seiner Zeitung stattfanden, stets als »schussfest« erwiesen.

Griff Reißmüller die Serben von rechts an, bekam er dabei Unterstützung von der anderen politischen Seite: In der »Taz« warnte Kroatien-Korrespondent Erich Rathfelder vor einem »neuen Totalitarismus rot-brauner Provenienz« aus Belgrad.

Das war die große moralische Koalition, die die Rede vom Nationalgefühl, was immer die Ethnisierung politischer und ökonomischer Konflikte meint, in der bundesdeutschen Öffentlichkeit etablierte. Insbesondere der Autoritarismusvorwurf aus dem Mund der Autoritären spielt hier eine wichtige Rolle: Dieses Vorgehen wurde später von der Partei DIE PARTEI in dem Slogan »Inhalte überwinden!« auf den Punkt gebracht.

Folgerichtig begründete Außenminister Joschka Fischer 1999 die deutsche Beteiligung an den NATO-Luftangriffen auf Restjugoslawien mit der Parole »Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz«. Reißmüller aber ging damals in den Ruhestand. Zum Abschied sang er vor seinen Kollegen kommunistische Kampflieder wie »Stalin, Freund, Genosse«. Das findet die Bourgeoisie originell.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.