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»Was helfen einem Bauern Kaulquappen, wenn er keinen Fischteich hat?«
Nguyen Van Anh über mangelnde Partizipation bei den Förderprogrammen in Vietnam
Vietnam hat in den vergangenen Jahren beeindruckende Erfolge bei der Armutsreduzierung erzielt. Die ethnischen Minderheiten fallen aber immer weiter hinter den Landesdurchschnitt zurück. Warum?
Ein zentrales Problem ist der Mangel an fruchtbarem Land. Ein Großteil der ethnischen Minderheiten ist in der Landwirtschaft tätig, meist in sehr abgelegenen Bergregionen. Traditionell haben sie Wanderfeldbau betrieben, was bedeutete, dass sie die Felder nach der Ernte einige Jahre brachliegen lassen konnten. Heute hingegen stehen vor allem den armen Haushalten nur noch ganz kleine Parzellen zur Bewirtschaftung zur Verfügung. Für eine effektivere Nutzung der Böden müssten sie Techniken anwenden, mit denen sie nicht ausreichend vertraut sind.
Mit großen Förderprogrammen versucht die vietnamesische Regierung, die Lebensbedingungen ethnischer Minderheiten zu verbessern. Warum lassen die Erfolge auf sich warten?
Tatsächlich hat die Regierung in den vergangenen Jahren viel Geld investiert, vor allem was den Ausbau von Infrastruktur betrifft. Außerdem hat sie zum Beispiel die ärmsten Gemeinden mit Saatgut versorgt. Das ist an sich sinnvoll, wenn es sich um lokal angepasste Sorten handelt und die Bauern über Besonderheiten beim Anbau ausreichend aufgeklärt werden. Oftmals wird aber Saatgut verteilt, das für die Höhenlagen gar nicht geeignet ist oder aber es wird nicht optimal genutzt, weil die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen das entsprechende Wissen dazu fehlt. Besonders ärgerlich ist, wenn die Verteilungszeiten nicht mit den Aussaatzeiten übereinstimmen, weil der kommunale Finanzplan seinen eigenen Gesetzen folgt. Was soll ein Kleinbauer im Oktober mit Mais anfangen, den er erst im Februar säen kann? Er wird ihn entweder gleich verzehren oder auf dem lokalen Markt verkaufen. Ganz sicher aber kann er ihn nicht so lange lagern.
Kann man das nicht ganz leicht ändern?
Die ethnischen Minderheiten werden in die Ausrichtung und Bewertung dieser Förderprogramme kaum involviert. Viele Vietnamesen betrachten sie als vermeintlich rückständig, trauen ihnen nichts zu und hören deshalb erst gar nicht hin. Dabei wissen die Betroffenen meist am besten, was sie benötigen. Deshalb unterstützt CHIASE die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen nicht nur mit Schulungen dabei, ihre landwirtschaftlichen Flächen effektiver zu nutzen. Sondern wir setzen uns auch dafür ein, dass ihre speziellen Bedürfnisse bei der Konzeption von lokalen Förderprogrammen stärker gehört und berücksichtigt werden. Damit Bauern und Bäuerinnen, die Reis kultivieren, auch mit Reis unterstützt werden und die, die Hühner züchten, mit Hühnern - und nicht, wie es in der Vergangenheit vorgekommen ist, mit Kaulquappen, obwohl sie gar keinen Fischteich haben.
Welche Maßnahmen ergreift CHIASE, um Einfluss auf die staatlichen Programme auszuüben?
Die Förderprogramme werden bislang von einem Gremium koordiniert, das ausschließlich aus Regierungsvertreter*innen besteht. In der Gemeinde Ngoc Lam wird im Rahmen unseres Projektes mithilfe des Volkskomitees Ngoc Lam jedoch ein partizipatives Forum einberufen, in dem jeweils zwei Vertreter*innen der 14 Dörfer, insgesamt also 28 Personen, die Interessen der Gemeinde einbringen können und aktiv bei der Ausarbeitung von Maßnahmenplänen involviert werden.
Und das lassen die Regierungsvertreter*innen so einfach zu?
Auch die Regierungsvertreter*innen haben ein starkes Interesse daran, dass die Armutsrate in ihrer Gemeinde langfristig sinkt. Wir müssen also nur einige wenige überzeugen, sich einem partizipativen Ansatz zu öffnen. Beim Volkskomitee der Ngoc Lam Gemeinde haben wir das geschafft. Sollte sich dieser Ansatz bewähren, stehen die Chancen gut, dass dieser auch in anderen Gegenden von Vietnam angewendet wird.
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