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Immergrün fängt Druckwelle

Versuche mit Heckenpflanzen zeigen, dass sich gutes Stadtklima und Terrorschutz verbinden lassen.

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die rosa Kugel mit einem Durchmesser von gut 20 Zentimetern hat es in sich. Handelt es sich doch dabei um 3,9 Kilogramm PETN, einen Plastiksprengstoff. Die Kugel passt in einen Rucksack oder eine Tasche und könnte so für ein Attentat genutzt werden. Und um derartige Szenarien geht es hier, auf einem kahlen Sprengplatz inmitten der Kiefernwälder rings um Berlin. »Immergrüne Pflanzen können den Explosionsdruck deutlich mindern«, sagt Norbert Gebbeken von der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Deshalb wird in einem weltweit einzigartigen Versuch getestet, wie sich Kommunen durch Bepflanzung vor Anschlägen schützen können. Getestet werden auch Materialien wie Kettengeflechte. Und jetzt gibt es an diesem Donnerstagvormittag einen dumpfen Knall - der Sprengstoff ist explodiert. In fünf Meter Entfernung von drei Testpflanzen: Thuja, Berberitze und Eibe.

»Bisher«, so der Baustatik-Professor, »gibt es in Deutschland keine Regelwerke oder Empfehlungen für den baulichen Schutz urbaner Räume. Regelungen und Zertifizierungen existieren bisher nur für klassische Poller und für andere Fahrzeugsperren.« Die Diskussion in Deutschland zeige aber, dass man keine Verpollerung der Städte möchte. Gebbeken: »Also müssen wir diese neuen Möglichkeiten stadtplanerisch angepasster ›unsichtbarer‹ Schutzsysteme umsetzen.« Denn sogenannte Explosionsschutzpflanzen können im urbanen Raum sehr gut als Schutzelemente eingesetzt werden, die zudem mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen können: als Schutz, Begrünung zur Kühlung der Städte sowie als Verbindung natürlicher Lebensräume. Und in Kombination mit Pflanzkübeln und eingefassten Hochbeeten sind sie auch ein guter Durchfahrtschutz.

Deshalb untersucht Gebbeken auf dem Testgelände Technische Sicherheit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Horstwalde südlich von Berlin Heckenpflanzen auf ihre Schutzfunktion. Auftraggeber ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Der Hintergrund: die Bedrohung durch terroristische Angriffe, wie sie in den vergangenen Jahren in ganz Europa geschahen. Deshalb hat man im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ein spezielles Programm (»UGABE« - »Untersuchungen von Gebäuden und Aufenthaltsstätten unter hochdynamischen Belastungen durch Explosionen mit Erprobung der vorgesetzten und eingebauten Sicherheitsmaßnahmen an unterschiedlichen Gebäuden«) ins Leben gerufen. Gebbekens Forschungsauftrag ist es, herauszufinden, wie sich Pflanzen bei Explosionen verhalten und ob sie in der Lage sind, die Druckwelle abzuschwächen.

Mit dabei ist auch sein Assistent Paul Warnstedt, der 33-Jährige schreibt seine Doktorarbeit über die »explosionshemmende Nutzung von Heckenpflanzen« und kümmert sich jetzt um den Versuchsaufbau. Konkret sieht das so aus: Die rosa Sprengkugel wird in der Mitte auf einem Styroporblock abgelegt. Drumherum stehen in einem Abstand von fünf Metern die Pflanzen: rechts Eibe, in der Mitte Thuja, links Berberitze. Während der Explosion wird vor und hinter den Pflanzen der Druck gemessen, so kann die explosionshemmende Wirkung der Hecken gemessen werden. Nach der Sprengung werden die Pflanzen in Augenschein genommen. »Die Berberitze hat es kräftig erwischt«, urteilt Gebbeken und deutet auf die vielen Blätter am Boden. Gut weggekommen sind hingegen Eiben und Thujen. Was lässt sich nach den Sprengtest als Ergebnis festhalten? »Die Versuche haben gezeigt, dass immergrüne Pflanzen einen Explosionsdruck signifikant reduzieren können. Bei den Versuchen haben Nadelpflanzen, also Thuja oder Eibe, besser abgeschnitten als Blattpflanzen wie Berberitze, Bambus oder Kirschlorbeer«, so Gebbeken. Die Nadelpflanzen reduzieren den Explosionsdruck immerhin um bis zu 60 Prozent, die Laubgehölze um bis zu 35 Prozent.

Aber getestet wurden nicht nur Pflanzen, sondern auch Kettengeflechte. Gebbeken: »Ringgeflechte werden seit einiger Zeit gerne in der Architektur, Innenarchitektur und im Design eingesetzt. Sie sind landläufig auch bekannt als ›Kettenhemden‹, die im Mittelalter Soldaten vor Stich- und Hiebwaffen schützten. Wir stellten uns die Frage, inwiefern sie auch vor Explosionen und herumfliegenden Gegenständen schützen können.« Versuche mit Bombenfragmenten bestätigten die Annahme, dass Ringgeflechte fliegende Gegenstände und Splitter sehr gut auffangen können. Allerdings wurde der Explosionsdruck nur sehr wenig reduziert. Versuche mit Kettenvorhängen, an denen Wasser herunterrieselt, zeigten, dass sie so den Explosionsdruck um bis zu 50 Prozent reduzieren können. Von den Bürgern würden solche Ringgeflechte nicht als Terrorschutzelemente wahrgenommen, sondern als urbane Gestaltungselemente.

Jetzt sollen diese Ergebnisse aus den Tests mit den Pflanzen und den Kettengeflechten für die Städte brauchbar gemacht werden. »Hierfür ist es sinnvoll, dass Masterpläne für Kommunen erstellt werden, bei denen zumindest Polizei, Feuerwehr, Stadtplaner, Landschaftsarchitekten und Sicherheitsingenieure zusammenarbeiten«, sagt Gebbeken. Und für die Akzeptanz sei es auch wichtig, dass Bürger und die Wirtschaft beteiligt würden.

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